Die tolle Betty von Hans Wachenhusen.
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„Ich will mit ihr sprechen, ihr zu Herzen reden!" Oppenstein war der Ueberzeugung, daß damit Alles geordnet werde.
„Du? Na, da hätte sie ihren Geiger schon, aber dann wär's noch die Frage, ob er sie will? Kannst Du denn wissen, wie weit es zwischen ihnen schon gekommen und ob er sie überhaupt je ernstlich gewollt?"
„Du bist toll!" Oppenstein erhob sich und wickelte sich stolz in seinen Hausrock; er wollte nichts mehr hören. Was sie ihm gesagt, machte ihn verwirrt; er empsand eine gewisse Beschämung bei dem Gedanken, daß ein Körnchen Wahrheit darin sein könne; ja, die Angst stieg ihm zum Gehirn, daß Alles wahr sein könnte. Er verließ das Gemach mit unsicherem, aber schnellem Schritt, warf sich in seinem Arbeitszimmer hin, stöhnte, sprang wieder aus, fragte den Diener nach Bettina und verlangte eiligst, angekleidet zu werden.
Die Letztere erhob sich erst gegen Mittag; sie gab vor, unwohl zu sein, wollte in ihrem Zimmer speisen, empfing am Nachmittag die Pflegemutter mit leidendem Antlitz und wünschte ungestört zu bleiben.
Die Baronin hatte sich vorgenommen, ein ernstes Wort mit ihr Zu sprechen; vielleicht errieth Bettina dieß und beugte dem vor. Als die Erstere sie schonend verlassen, sank sie in ihrem Hauskleide auf dem Divan wieder in ihre Apathie zurück.
Sie hatte die Nacht hindurch keinen Schlummer gesunden. Die Leidenschaft für den Künstler jagte das junge Herz in den heftigsten Schlägen; Liebe, Eifersucht, das Bewußtsein, daß ihn morgen schon sein Berus ihr wieder entführe, der Gedanke, was Alles geschehen könne, wenn er fern... Er wollte kommen heut Abend, um ihr Lebewohl zu sagen... Lebewohl! Das Wort war ein Herzeusschrei, der zwischen ihren Lippen erstarb, sie ausjagte, bis sie in Verzweiflung, mit Schluchzen wieder hinsank.
Vom Strande des Mittelmeers bis hieher hatte sie ihm folgen können und hier saß sie jetzt, eine Gefangene, während er seinen Adlerflug wieder fortsetzte, — seinen Triumphzug, bewundert, angebetet von tausend begehrenden Augen! Sie sah alle die Anderen ihm Kränze flechten, sie ihm auf das Haupt drücken. Es war eine furchtbare Qual, diese Vorstellung, die ihre Phantasie in's Ungeheuerliche vergrößerte. Nach ihrer Meinung gab es ja nur eine Liebe, eine ewige, unwandelbare, und diese konnte nur er einflößen, der ihr als die Verkörperung alles Göttlichen erschien.
Mit fast unzähmbarer Sehnsucht erwartete sie deßhalb den Abend. Camill sollte Rath geben, und was er wollte, dazu war auch sie entschlossen.
Unbemerkt schlich sie, als es dunkel geworden, in Lola's Zimmer hinauf.
Als die Baronin vor dem Schlafengehen Bettina in ihrem Zimmer aussuchte, war diese eben erst zurückgekehrt. Sie fand das Mädchen im Hauskleid auf dem Lager, bleich, über Kopfweh klagend, die Augen schließend, als sie zu ihr trat, um nach ihrem Puls zu fühlen.
„Du erschreckst mich!" sagte sie, über die mit kaltem Schweiß bedeckte Stirn und das aufgelöste.
über das Kissen gebreitete Haar streichend. „Ich will Dich nicht aufregen," fuhr sie fort, sich mit den beunruhigendsten Vorstellungen kopfschüttelnd an das Bett setzend. „Ich errathe vielleicht die Veranlassung Deines Fiebers, aber es ist nicht heute die Zeit zum... Warum brennen alle die Lichter?" fragte sie, da sie jetzt erst alle Kerzen der beiden Kandelaber aus Vettina's Toilette angezündet sah. „Du solltest Dir Ruhe gönnen."
„Ich muß Licht haben!" Bettina wandte das Gesicht ab. Sie hatte selbst nicht gewußt, warum sie, als Camill fort, all' die Flammen hatte anzünden müssen. Ihr war so bange, allein mit ihren Gedanken; sie fürchtete sich vor sich selbst und ihrem Bewußtsein.
„Walbeck war heute bei uns; ich mußte ihm zu meinem Bedauern sagen, Du fühltest Dich unwohl."
Bettina antwortete nicht. Frau Leonore saß minutenlang sinnend, unschlüssig. Es mußte etwas geschehen sein, was das Mädchen derart erregte. Sie sprach ihr vergeblich zu; Bettina hörte nicht, sie lag mit geschlossenen Augen da und versagte ihr den Puls.
Sie machte sich Vorwürfe, stundenlang in der Stadt gewesen zu sein. Endlich beschloß sie, Bettina sich selbst zu überlassen.
„Nimm die Tisane, die ich Dir schicken werde, und fühlst Du Dich nicht besser morgen, so senden wir zum Arzt. Jetzt suche zu schlafen."
„Ja!" Sie streckte die nackten Arme in die Höhe und ließ die Hände über die Stirn sinken, so erwartend, daß die Pflegemutter gehen werde. Mit matter Stimme erwiederte sie den Nachtgruß.
Als Jene hinaus, richtete sie sich wieder auf. Sie konnte nicht ruhen; jede Haarwurzel stach sie wie Dornen, sie riß das Nachtgewand auf, schüttelte das Haar über die Schulter und stand mit herabhängend gefalteten Händen inmitten des Zimmers.
„Er hat mir Alles ehrlich gestanden," flüsterte sie vor sich hin. „Er ist arm, wie glänzend auch seine Umstände erscheinen mögen. Sein Vater war ein reicher Nobile, der die gefeierte deutsche Säugerin in Neapel heirathete und sein Vermögen in thörichtem Aufwand nnt anderen Frauen verschwendete. Seine Mutter zog sich verarmt nach ihres Gatten unnatürlichem Tode in eine kleine italienische Stadt zurück, wo auch sie starb. Ein Spekulant, der des Knaben großes Talent entdeckte, ließ ihn mit bedeutenden Kosten ausbilden, und ihm ist Camill jetzt wenigstens für ein Jahr verpflichtet gegen einen ganz geringen An- theil! Jener Italiener, der ihn begleitet, beutet während dieser Zeit sein schönes Talent aus; er ist sein Sklave, während die Welt ihm unterthan; er schleppt ihn auch morgen von mir, wenn der Tag anbricht! Camill gelobte mir, wiederzukehren, sobald ... o so lange!" ... Thräneu rannen über ihre Wangen; sie barg das Antlitz in den Händen.
„Und auch ich bin Sklavin dieser Beiden hier, die mich mit ihrer Zärtlichkeit erdrücken, Sklavin dieser vier Wände, während er hinauszicht, und inzwischen wird sich ihm Alles zu Füßen legen, Neich- thum, Schönheit... Alles!" Sie Zog sein Bild aus ihrem Busen und kniete vor ihm nieder. „Mein Liebling, mein Abgott, würdest Du ein armes Mädchen lieben können? Die reichsten, die schönsten