1076
Deutsche Roman-Bibliothek.
betteln um einen Blick aus Deinen himmlischen Augen, und wenn ich jetzt käme und sagte: ,Hier bin ich, nimm mich hin!' Würde eine Bettlerin so zu einem Königssohn sprechen dürfen? Und sie nennen Dich ja den Geigerkönig von Gottes Gnaden! Nein, ich darf zu Dir nur kommen wie die Königin Balkis zu Salomo."
Der Gedanke durchbebte sie mit schauriger Freude. Lächelnd, wie von einem beglückenden Gedanken erfaßt, hob sich ihr Blick verklärt und haftete auf dem von den Wachskerzen so hell beleuchteten Spiegel.
„Wie die Königin von Arabien," flüsterte sie, in der magischen Glasfläche ihr bleiches Antlitz, das dunkel glühende Auge, den weißen Arm, den entblößten Nacken betrachtend. „Morgen nehme ich den Kampf mit meiner Pflegemutter auf! Ich habe mehr Gewalt über ihn als sie; er selbst soll mir eine reiche Ausstattung versprechen, und sollt' ich warten auf Camill bis zum Herbst, wo er frei sein wird, ich werde es vermögen, wenn ich nur an ihn denken, seiner gewiß sein darf."
Ohne sich auszukleiden, streckte sie sich auf das Lager. Ihre Augen schlossen sich wohl zeitweise, aber die großen Pläne, die sie beschäftigten, gewährten ihr keinen Schlummer. Sie vernahm die Schläge der Uhr im Korridor; eine Stunde kroch langsam der andern nach. Die Ermattung in zweiter schlummerloser Nacht lullte sie endlich in einen Zustand des Unbewußtseins.
Als die Uhr fünf Schläge that, fuhr sie jäh vom Kissen auf. Der Morgen graute durch die Vorhänge des Zimmers, die Wachslichter waren tief herabgebrannt, zum Theil schon erloschen und füllten das Gemach mit dem Geruch verkohlter Dochte.
„Mein Liebling erwacht gewiß jetzt eben wie ich, um mit Tagesanbruch.. ." Der Gedanke, daß er, ehe der Tag ganz ausgegangen, schon fern von ihr, machte sie erzittern. Sie öffnete die Vorhänge. Drüben über die Front des Hauses legte sich eben das matte Morgenlicht. Sie öffnete das Fenster. Die Luft erfrischte ihre Lunge.
„Lebe wohl!" hauchte sie, sich auf das Lager zurückstreckend. „Ich werde jetzt ganz verlassen sein; auch die Freundin oben ist fort; aber er ist ja bei mir, an den ich denke!"
Dreizehntes Kapitel.
Während der folgenden acht Tage hatte Baron Oppenstein einen schwierigen Stand. Seine Gattin arbeitete mit Zäher Konsequenz ans ihr Ziel hin, und was sie bisher nie gewagt, das gelang ihr jetzt mit den unumstößlichsten Beweisen in der Hand, nämlich das Götter- oder Götzenbild seines Lebens, das ideale Weib, zu zertrümmern und ihm einleuchtend zu machen, daß das Weib überhaupt hie- nieden keine andere Aufgabe Zu erfüllen habe, als eine brave Hausfrau und Mutter zu werden. Dazu habe ihm der Schöpfer alle Instinkte gegeben, und wenn sich diese vorher ein wenig austobten, das schade nicht. Ein Mädchen müsse man nicht konfus machen mit all' solchem „Brimborium"; mit zehn Worten könne man ihr gerade so gut sagen, was recht und unrecht, im Uebrigen aber wolle jedes
Mädchen den Hof gemacht haben, und wenn man es so absperre, wie er es gethan, bleibe natürlich nicht aus, daß es sich heimlich verliebe; so eine erste Liebe falle aber immer auf den „Verkehrten". Und das sei nun das Resultat, das er und die hochgelobte Frau von Schüller Zu Stande gebracht!
Oppenstcin wußte bereits Alles aus Bettina's Munde. Aber gerade dieser Undank des Künstlers, dessen Ruhm er mitbegründen geholfen, empörte ihn am meisten. Offen hatte sie ihm schon am Tage vor Camill's Abreise ihre Liebe für diesen gestanden, mit einem Aufwand zärtlicher Worte hatte sie ihn auf ihren Knieen um seine Zustimmung augefleht. Aber was es ihn auch kosten mochte, Undank sah er auch in ihrem Herzen für all' seine Sorge und Liebe, um die er betrogen werden sollte.
Der Anblick dieses Mädchens war ihm unentbehrlich geworden, mochte er es selbst in Thränen sehen. Verließ sie ihn, um mit einem fahrenden Künstler hinauszuziehen — der Gedanke war ihm schon unerträglich — was war ihm dann noch das Leben an der Seite seiner prosaischen Gattin, die ihm sogar schon über den Kops zu wachsen drohte? Sein kaltes Dasein bedurfte des Sonnenscheins, den dieses junge Wesen ausstrahlte.
„Ich will Dir nach Ablauf eines Jahres Antwort sagen," gab er endlich nach. „Zeigt mir bis dahin dieser junge Mann, daß er Dich wahrhaft liebt und Deiner Werth ist, so reden wir weiter darüber. Vertraue meiner besseren Einsicht und Erfahrung: Künstler wie dieser sind unzuverlässig in der Liebe! Auch Deine Pflegemutter, die in ihrer Jugend sich der Kunst gewidmet hatte, die diese Leute — eine ganz besondere Klasse — genauer kennt als ich, ist dieser Meinung. Ihr Eigennutz, ihre Eitelkeit heimst Alles ein, was ihnen die Welt für ein Stündchen ihr von ihnen gewährten Genusses so überschwenglich entgegenbringt, aber sie sind für das praktische Leben ungreifbar wie Nebelbilder und undankbar für Den, der ihnen mehr gibt, als sie mit ihrem Stündchen der Illusion unseren Sinnen gewähren. Geh' und höre auf den Rath der Mutter!"
Bettina verließ mehrere Tage hindurch grollend ihr Zimmer nicht. Die Baronin saß wohl bei ihr und redete Vernunft, aber sie hörte sie nicht. Oppenstein stand Qualen des Verlangens nach seinem Kinde aus. Als seine Frau ihn weich werden sah, griff sie zu dem Mittel, das sie sich für das Aenßerste reservirt: die Kammerjungfer sei bereit, zu beschwören, sie habe gesehen, wie Bettina sich Abends in dem Zimmer „des Mädchens da oben" ein Rendezvous mit dem Geiger gegeben; der Ruf Bettina's sei also der Diskretion einer Magd anheimgegeben, die sie ohnehin nicht in ihrem Dienst zu behalten wünsche.
Oppenstein zitterte bei der Enthüllung; sie schnitt ihm tief in's Herz. Sein Ideal mit der himmlischen Mission hatte ihm Leonore unbarmherzig Zertreten! Er wollte es schon billigen, daß ein Mädchen ohne Welt- und Lebenskenntniß sich in einen ihrer Unwürdigen verlieben könne, aber sich so weit zu vergessen, das war ein Hohn für seine Erziehung.
Er wollte sie nicht sehen. Er sah sie auch wieder zwei Tage lang nicht, während derselben schmiedete