1086
Deutsche Noman-Bilitiothek.
gegriffen war, kam dieser Paroxismus als wahre Erleichterung. Eszter bemusterte sich bald und es brauchte nicht viele Zeit, damit sie einsah, daß der Tod ihres Vaters nicht das Moment sein konnte, welches den sichtbar überwältigenden Eindruck auf Taroczi hervorgebracht hatte. Taroczi verließ endlich Eszter und sagte ihr nur zwei Worte: „Welches Unglück!"
Sie sah ihn den Tag über nicht mehr.
Am folgenden traf er sie bei sich im Hause; sie machte Vorbereitungen in der Küche. Der Koch fehlte. Nun erzählte sie ihm kurz, wie es ihr während dieser langen, langen Zeit ergangen war. Schon Szabo Ghuri habe sein Kreuz mit den Leuten gehabt. Der Trunkenbold von Koch habe eine förmliche Verschwörung unter dem Gesinde angezettelt und es habe gerichtlich eingeschritten werden müssen, um die Rädelsführer aus dem Hause zu bringen. Der Koch und einer der Berese (Ochsenknechte) hatten zwei Zugochsen verkauft und saßen noch in Tömlöcz; „ganz unten," fügte Eszter bei; auch die Zselleren (Erbpächter) hätten sich geweigert, ihren Zins zu zahlen. Die Werber hätten den Leuten die Köpfe noch weiter verdreht und Ordnung habe kaum mehr- aufrecht bestanden, als der Vater starb; alle Gutsbesitzer hätten das Gleiche zu leiden gehabt, aber der Name des Herrn von Taroczi und noch etlicher Altkonservativer habe die Sache erschwert und die Ortsrichter hätten mehr Politik getrieben, als ihre Pflicht gethan, seine Güter mit mehr Vorspann und Beiträgen belegt, als die Jener, welche entschieden aus nationaler Seite standen. Eines der Wagenpferde sei auch umgestanden, zwei Reitpferde wurden requirirt; sie besitze zwar die Scheine dafür, aber fürchte, daß sie nicht viel Werth seien; alle Augenblicke käme Einquartierung, bald von kaiserlicher Seite, bald von neu assentirten Rekruten, man rede von Landsturm da und dort; Geld sei gar keines da, ihr Vater habe schon zugesetzt, was er besessen, und so seien ihr die Verhältnisse über den Kops gewachsen; sie habe schreiben müssen und danke Gott, daß der Herr zurück sei.
Abends ging Taroczi zu Eszter und erzählte ihr seine Geschichte. Als er zu der Zeit gekommen war, wo er Eszter's Brief erhalten und von seiner Frau kategorisch die Abreise gefordert hatte, endlich allein abgereist sei, schrie Eszter laut auf. „Um Gottes willen!" rief sie, „da bin ich schuld, daß Sie Ihre Frau zurückgelaffen haben!" und Todtenblässe überzog ihr Gesicht.
Taroczi gab sich alle Mühe, sie zu beruhigen und ihr begreiflich zu machen, daß, wenn nicht diese, so doch eine andere Veranlassung zum Bruche geführt haben würde, der — er sehe es ein und erinnere sich genau dessen, was Eszter ihm damals gesagt habe — der doch unvermeidlich gewesen wäre.
„Welch' Kuvik bin ich doch!" unterbrach ihn Eszter, „welch' ein Todtenvogel — aber Herr — Sie hatten arg Unrecht, ihre junge, unerfahrene Frau im Stiche zu lassen — wenn sie nicht nach Hause zurückkehrt — was dann? Und kann sie, wird sie kommen?"
„Ich glaube nicht, daß sie je wieder zu mir
kommt; sie wird Zu ihrem Vater gehen — aber an Glück ist nicht mehr zu denken, das Beste wäre, sich gleich zu trennen."
„Schon wieder?" sagte Eszter, den Kopf sinken lassend. „Schrecklich!"
Taroczi brach das peinliche Gespräch ab und ging aus Geschäfte über, mit deren Behandlung der Abend verfloß.
Fast vier Wochen vergingen mit nothdürftigen Versuchen, die wirthschaftlichen Verhältnisse der Güter Zu regeln. Es gelang nur wenig. Nahezu alle jüngeren Gutsbesitzer waren Ablegaten oder Honveds; die Parteien stellten sich schroffer gegen einander und Taroczi's Lage wurde von Tag zu Tag schwieriger.
Er mußte Partei ergreifen und, wenn er die nationale Sache aufgäbe, sich in eine Stadt zurückziehen. Alle Abende brachte er bei Eszter zu, aber von Jda redeten sie nie. Wenn Taroczi in: Zweifel war, was er unternehmen, auf welche Seite er sich stellen sollte in der großen nationalen Frage, dann schien sie zagend und zögernd doch sür Anschluß an die vaterländische Bewegung zu stimmen, wie schwer ihr das Herz auch wurde und wie widerlich ihr auch die Ausschreitungen waren, unter denen sie zu leiden hatte.
„Wenn die gute Sache auch schlecht geführt werde," sagte sie eines Abends, als böse Nachrichten aus den Komitaten gekommen waren, „so bliebe einem Manne doch nichts übrig, als sich ihr zu widmen; denn die Sache des Gegners könne doch keine gute sein und auf Seite der Walachen könne das Recht nimmer stehen."
Noch etliche Abende saß Taroczi bei Eszter, Zumeist schweigend und träumend, ost sah er ihr in's klare Auge, in's liebe Antlitz, und trübe Bilder tauchten in ihm auf. Vergleiche zog sein Sinn und Jrrthnm erschien ihm sein ganzes Leben.
Es war an einem der ersten Juniabende des Jahres 1848, daß Taroczi das letzte Mal bei Eszter saß. „Morgen gehe ich fort," sagte er ihr, nachdem er fast zwei Stunden bei ihr Zugebracht hatte, ohne mehr als Ja und Nein geredet zu haben. „Morgen reise ich; ich übergebe Dir mein Haus, thue, was Du willst, was Du kannst, jedenfalls wirst Du's besser treffen als ich. Hier hast Du etwas Geld," er gab ihr eine Brieftasche, „es ist nicht viel, aber einiges muß ich selbst behalten, ich thue, was ich muß, und nehme Abschied. Sollte ich nicht mehr wiederkehren, so hat der Prokurator Pataki die nöthige Weisung und Alles das, was er braucht, um abzuschließen. Leb' Wohl, Eszter!"
Eszter erhob sich langsam; wieder stand sie in ihrer Lieblingsstellung vor ihm; sie spielte an der Unterlippe.
„Daß Gott Sie segnen möge, daß Gott der Herr Sie leben lasse — ^ ur Isten äläja meZ, 8,3 ur Istsu eltesss!"
Sie gab ihm ihre Hand, und was er nie bisher gethan, er küßte die Hand, und was sie nie früher für möglich gehalten, sie ließ sich die Hand küssen.
Taroczi fuhr nach Maros Vasarhely, ließ sich den Honveds einreihen; man wollte ihn zum Offizier machen, er lehnte ab, nicht einmal Korporal wollte