Die tolle Betty von Hans Wachcnhusen.
1093
er begriff, daß diese neue Situation sie beengte. Er hatte einen Urlaub von sechs Wochen, die Baronin hatte ihm eine stattliche Reisekasse eingehändigt. Sein Dienst, seine Carriöre hatten ihm nie erlaubt, ein fremdes Land zu sehen; er fühlte sich also doppelt glücklich, wie er da seinem schönen Weibe gegenübersaß, obgleich auch er bald einige Beklommenheit empfand, als diese immer schweigsamer ward.
„Kannst Du mich denn nicht ein ganz klein wenig lieb haben?" fragte er am Morgen in Paris, als sie aus ihrem Schlafgemach getreten und apathisch ihm gegenüber am Frühstücktisch Platz nahm. Er reichte ihr die Hand über den Tisch. Sie nahm dieselbe mit trägem Lächeln, aber regungslos lag die ihrige in der seinigen. Er beugte sich über den schönen, so rosig aus dem Morgengewande schimmernden Arm und drückte einen Kuß auf denselben.
Sie vergaß die Antwort, wünschte dann aber eine Promenade durch die Stadt und die Umgegend zu machen. Sie war theilnehmend während der mehrstündigen Fahrt, zeigte Interesse für Alles, nur nicht für ihn. Am Abend nach dem Theater fühlte sie sich wie gestern sehr ermüdet und suchte ihr Zimmer. Jobst hörte mit Ueberraschung, wie sie wiederum die Thür hinter sich schloß.
Er suchte verstimmt ein Boulevardcafe und kehrte noch verstimmter erst gegen Mitternacht zurück. Bettina's Thür war verschlossen.
So vergingen ihm acht Tage in unerträglich nervöser Stimmung. Er blieb freundlich und zuvorkommend gegen sie. Ein Brief, den er aus Deutschland erhielt, schien ihm Verdruß zu bereiten. Inzwischen bemerkte er an seiner jungen Frau eine wachsende Unruhe.
Sie wünsche Paris Zu verlassen und sehne sich nach der Schweiz, äußerte sie eines Morgens.
Ihm war das recht. Seine Lage hier war unerträglich; Bettina erhielt ihn tagsüber fortwährend in Athem und war dann am Abend stets total erschöpft.
Aber auch in der Schweiz hatte sie keine Ruhe. Sie suchte rastlos die schönsten Punkte, zog ihn in den Kurorten in das bunte Treiben der Gäste und verlangte stets am Abend weiter zu reisen. So verbrachte er mit ihr die Nächte in Diligencen und Eisenbahncoupes.
Zu seinem Erschrecken hatte sich Bettina's bisher wenigstens freundliche Theilnahmlosigkeit schon bei der Abreise von Paris in ein kaltes Ablehnen der Dienste verwandelt, die er ihr stets mit derselben Aufmerksamkeit bot. Sie schloß sich auch geistig vollständig gegen ihn ab, wich seinem Blick aus und zeigte ihm zuweilen merkbare Unfreundlichkeit.
„That ich Dir etwa unbewußt etwas zu Leide?" fragte er endlich ernst und mit Nachdruck.
„Nein!" Ihr Ton klang so öde.
„Zum Teufel, bin ich denn eben nur ihr Kurier?" rief er endlich, als sie sich wieder auf ganze Stunden in ihr Zimmer eingeschlossen, um ihre Toilette zu machen. „Das muß anders werden; ich ertrage es nicht! Ich sehe freilich, daß sie auch für die übrige Männerwelt ganz gleichgültig und die Aufmerksamkeit derselben gar nicht beachtet, daß überhaupt ihre Natur für Aeußerungen des Herzens nicht veranlagt,
daß sie vielleicht gar kein Herz besitzt, aber was bin ich ihr?"
Bettina Zog ihn weiter mit sich, immer des Nachts reisend, und so waren denn vier Wochen seines Urlaubs verstrichen. Endlich wünschte sie gegen Abend an einem idyllischen Punkt des Salzkammerguts zu rasten. Walbeck nahm die nöthigen Zimmer in dem einzigen, eine herrliche Aussicht auf die Alpen bietenden, ländlichen Hotel, in dessen Vorgarten er eine lustige Reisegesellschaft sich niederlassen sah.
Eine Komödiantengesellschast, wie es schien, beobachtete er nach kurzem Imbiß vom offenen Fenster aus, dem glücklichen Völkchen, Alten und Jungen, zuschanend, das da unten seine Scherze trieb. Und wie er dastand, vernahm er vor sich plötzlich eine volltönende, durch das Thal schallende Mädchenstimme. „Um stets heiter und glücklich zu leben" sang sie da unten im Garten, ein ganz hübsches Geschöpf, umgeben von ärmlich und theils abenteuerlich gekleideten Männern und Frauen, von denen Einer den Gesang auf einer Guitarre begleitete.
„ Wie wenig diese Leute gebrauchen, um froh zu sein!" Walbeck sah, wie die Sängerin, nachdem sie geendet, sich schnell erhob und ihre Gefährten verließ. Er hätte ihr gerne noch zugehört.
Eben färbten sich die Riesenwände der Berge zur Rechten von ihm mit dem herrlichsten Alpenglühen. Er trat in's Zimmer. „Bettina, willst Du nicht den herrlichen Anblick ..."
Bettina's Zimmer war leer. An's Fenster zurückkehrend, sah er sie am Arm eines bescheiden gekleideten Mädchens den Garten verlassen und auf den weiten Wiesenplatz vor demselben treten.
„Ei, ei! Eine Bekanntschaft! Ich müßte sehr irren ... Es ist dieselbe, die ich vorhin singen gehört . . . Das Gesicht des Mädchens sollte mir nicht ganz fremd sein!" Er schritt in den Garten hinab und suchte sich ihnen zu nähern, Beide aber mieden ihn und verschwanden hinter einer Schlehenhecke.
Wie er nämlich war auch Bettina durch den Gesang überrascht worden, mehr aber durch die Sängerin. Sie winkte derselben mit dem Taschentuch, eilte hinab in dem Moment, wo Walbeck das Fenster verlassen, und sah Lola vor sich, die ihr er- röthend und dann wieder erbleichend entgegengekommen.
„Um Gottes willen, Du hier?" rief sie, des Mädchens Hand drückend. „Wie kommst Du . . ."
Lola zog sie mit sich fort. Sie schämte sich, zu zeigen, wie abgehärmt und mager sie aussah.
„O, das ist eine traurige Geschichte!" klagte sie. „Daß es mir so hat ergehen müssen! Ich hatte ja keine Fürsprache! Aber ich weiß nicht, ob ich in meinen jetzigen Verhältnissen noch Du sagen darf..."
„Gewiß! Wir sind doch die Alten! Erzähle!" Bettina zog sie mit sich fort.
„Also Du weißt doch, daß ich damals, als unsere Familie das Unglück betroffen, zum Theater zu gehen beschloß."
„Kein Wort weiß ich davon! Du warst plötzlich verschwunden. Du sprachst mir nur von Deinem Gesangunterricht."
„Und Du bist inzwischen schon verheirathet? Und wirklich mit ..."