Heft 
(1885) 46
Seite
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Deutsche Noman-Oibliothek.

Erzähle!" unterbrach Bettina sie schnell und vorwärts schreitend.

Nun also, der schöne Plan, gründlichen Unter­richt zu nehmen, ward mir vereitelt. Mein Bruder hatte das Geld Du weißt ja gefunden und, mir Schlimmes zutrauend, die Banknoten verbrannt. Der Thor, der nicht wußte, daß gerade die Noth zu Schlechtem treiben kann! Die trieb mich dann also Zu einem Theateragenten. Er war ein schlechter Mensch; ich kannte ja seinen Ruf nicht. Jndeß war er bereit, meine Stimme zu prüfen. ,Ganz vortreff­lich!' rief er. ,Schade, daß Sie arm sind! Haben Sie mit Ihrem Gesicht denn nicht Jemanden, der sich's was kosten ließe, um Sie auszubilden?'. . . Ich verstand den gemeinen Sinn seiner Frage nicht. Er nannte mich ein Gänschen, mit dem nichts an­zufangen sei; er wolle aber sehen, sagte er endlich, was sich machen lasse.

Ich kam wieder und wieder; er hielt mich hin und sandte mich dann zu einem Herrn, der großen Einfluß an der königlichen Bühne habe; wenn der meine Stimme höre, werde er sich für mich ver­wenden .. . Laß mich schweigen davon!" ries Lola erröthend.In voller Verzweiflung verließ ich diesen Mann und wandte mich an einen andern Agenten. Der rieth mir, ich solle, wenn ich so arm sei, wenig­stens auf der Bühne erst Fuß fassen, ein Engage­ment annehmen, in dem ich zuweilen kleine Gesangs- partieen bekommen könne. Es sei da eben eins bei einer kleinen Bühne frei; ich solle vorläufig nehmen, was sich biete.

Allerdings war der Ort entfernt, aber mein Geld reichte gerade noch zu dieser Reise. Was wußte ich, wohin ich ging! Drüben, einige Meilen von hier itt dem kleinen Bergstädtchen kam ich endlich an. Der Direktor, ein dicker, grober Mensch, empfing mich mit der niederschlagenden Erklärung, die Stelle sei schon besetzt, ich komme zu spät, wenn ich aber für die Hälfte der Gage bleiben wolle, so sei es ihm recht ... Was blieb mir übrig! Und wenn er nur wenigstens diese Hälfte gezahlt hätte! Nach kaum vier Wochen ließ er seine ganze Gesellschaft in der größten Noth, nachdem er Alles verpfändet, und wir sahen uns gezwungen, ohne Coulissen hier in den Städtchen und Dörfern umher Vorstellungen zu geben, um unser Leben Zu fristen.

Ach, und das ist ein elendes Leben! Ein Kamps mit der Noth, dem Hunger sogar; aber Du sahst, sie verlieren den Muth nicht; Manche von ihnen sind dieses Elend gewöhnt, und da sie herzensgute Menschen sind, darf auch ich den Kopf nicht hängen lassen; sie sind so freundlich gegen mich; während sie selbst darben, haben sie noch Mitleid mit meinem Schicksal. Was ist doch jetzt aus allen meinen schönen Träumen geworden! Ich weine die Nächte hindurch, wenn ich auf der elenden Streu liege, die uns die Bauern vergönnen, aber tagsüber muß auch ich froh erscheinen. Du sahst sie ja, die Armen, sie stellen sich vor, sie seien auf einer Gebirgsreise; nur wenn wir be­zahlen sollen, endet es als Trauerspiel."

Du Aermste! Kann ich etwas für Dich thun?"

O, wenn Du wolltest! Aber ich wage es ja nicht! Wüßtest Du, welch' ein Elend diese Sorte

von Kunst ist und wie ich mich schäme... Du er­schienst mir wie eine Botin des Himmels."

Sag', womit ich Dir helfen kann! Wir reisen morgen früh, vielleicht nach Wien ... was weiß ich!"

Nach Wien?" Lola blickte so erschreckt.Thu' es nicht!" flüsterte sie, Bettina's Arm drückend. Thu' es um Deiner Ruhe willen nicht!"

Sprich deutlicher!"

Sieh' hier, dieß Zeitungsblatt fiel mir unter­wegs in die Hände; es ist ganz neu. Du wirst lesen und dann nicht nach Wien gehen, denn ... Du würdest ihm begegnen!"

Bettina's Antlitz flammte auf. Sie entriß Lola's Hand das Blatt und trat damit hinter die Schlehen­sträuche. Mit heißen Augen überflog sie eine Stelle des Inhalts, knitterte das Papier wieder zusammen, barg es bei sich und trat wieder auf die Wiese.

Walbeck's Gestalt tauchte eben vor ihr auf; er stand aus einer Halde, das Alpenglühen betrachtend.

Die Meinigen brechen aus!" flüsterte Lola zurückschauend.Ich muß fort, Bettina!" Sie schaute diese so bittend an.

Bettina verstand sie und drückte ihr ihre Börse in die Hand, diese mit Heftigkeit pressend.

Ich danke Dir, Lola!"

Walbeck näherte sich eben. Lola entfernte sich, ihm ihr Antlitz versteckend. Bettina empfing ihn mit verstörter Miene; sie versagte ihm schweigend jede Auskunft über ihre Begegnung, als er diese zu begehren schien, und richtete mit Ungeduld ihre Schritte in's Haus. Zögernd hielt Walbeck in der Thür inne, da sie seiner nicht achtete, und ließ sie die Treppe hinanschreiteu.

In Bettina's Herzen tobte ein Sturm. Sie hatte noch und noch einmal gelesen. Camill feierte in Wien unglaubliche Triumphe.Die ganze Gesell­schaft liegt dem gottbegnadeten schönen Künstler zu Füßen," so schloß der begeisterte Artikel. Die Arme aus den Tisch stützend brach sie in Schluchzen aus.

Ihre Stirn sank in die Hände und so lag sie, bis plötzlich Walbeck's ungeduldiges Eintreten sie erschreckte.

Hoch aufgerichtet wie zur Abwehr empfing sie ihn; das Blut färbte ihr Stirn und Wangen.

Kann ich keine Sekunde sein, Herr von Wal­beck, ohne von Ihnen ..." Sie Zögerte, das Wort auszusprechen.

Belästigt zu werden!" ergänzte er, ihrem zürnen­den Auge begegnend. Seinen Vornamen hatte sie noch nicht über ihre Lippen gebracht; jetzt war er für sie Herr von Walbeck.

Sich fassend zu einer Erörterung, die ihm end­lich unausweichbar und willkommen erschien, trat er zum Fenster und schloß dasselbe. Er sah die lustigen Gäste unten abziehen. Auch er in seiner bis dahin künstlich niedergehaltenen Erbitterung war bereit.

Darf ich fragen, was Dich in solche Aufregung versetzt und was Dich zu einer solchen Anrede be­rechtigt?"

Bettina hielt an sich; sie preßte die Hand aus die Brust. Dann heftete sie das Auge fest und mit Ueberlegenheit auf ihn. Mit krampfhaftem Zucken ihrer Mundwinkel ries sie: