1096
Deutsche Roman-Bibliothek.
wie ein reuiger Schulknabe an ihre Thür Zu pochen und noch einmal um Verzeihung zu bitten. In tiefster Zerknirschung oerließ er das Zimmer und das Haus, dessen Flur beim Mangel anderer Gäste nur matt beleuchtet. Er wollte hinaus in die Abend- lnst; die Einsamkeit draußen sollte ihm Rath geben.
Und so lag er auf einem moosigen Steinblock unter einer Rüster, mit deren Zweigen das Monden- licht ihn wie mit einem beweglichen Netz umstrickte.
„Mein Traum ist zu Ende . . . und nach vier Wochen einer Ehe, in denen ich der Bräutigam meiner Frau geblieben l ,Du darfst nur eine reiche Partie machen, nachdem Dein Bruder ein armes Mädchen ans gräflicher Familie genommen/ schrieb mir die Mutter, ,denn Du weißt, wie traurig es um uns steht, wenn wir Alles zurückzahlen müssen, was leider schon verzehrt ist; es kann Dich Deine und Deines Bruders Carriere kosten.' — Gott weiß, wer ihnen so Nachtheiliges über Bettina's Herkunft gesagt, als die Hochzeit schon vor der Thür; ich liebte Bettina, ich glaubte durch sie auch meine Familie Zu retten; ,aber um diesen Preis nimmermehr!' schrieb der Bruder und die Mutter pflichtete ihm bei. Was ist Geburt ? Die Nothwendigkeit, daß der Eine von der Fürstin, der Andere von der Bettlerin geboren werde! Es ist wahr, ich hätte nicht um sie werben dürfen ohne ihrer Pflegemutter Versicherung, daß sie adoptirt und reich ausgestattet werde, denn was ist dieses Soldatenleben! Hält' es nicht seine äußere Poesie, es wäre das eines armen Teufels, der entbehren und gehorchen muß! Man hat wohl nöthig, es mit bunten Farben auf- zuputzen! Im Frieden ist man der elend besoldete Knecht der Ordre, der nach fremden Töpfen schielen muß, der Distelfink der Gesellschaft, der so lustig sein buntes Kleid trägt und bei Zeiten sinnen muß, sich in den Hanfsamen Zu setzen; im Kriege ist man der Landsknecht, der Morgens dem Bauern das Huhn vom Hofe nimmt und Mittags vielleicht schon die Kugel in der Brust hat! ... Ich schätzte mich also glücklich vor Tausenden meiner Kameraden, ein so schönes und Zugleich reiches Weib gesunden zu haben. Es wäre ja auch Alles noch gut gegangen, hätte mich nicht der Teufel verführt, in einem Augenblick des Ingrimms diesen Brief zu schreiben und seine Vernichtung zu vergessen! ... Und was jetzt, wenn ich mit ihr zurückkehre, um das glänzende Heim Zu beziehen, das uns die gute Frau inzwischen ansstatten wollte. Ich bin kein Romanheld; mein Dienst und meine Soldatenehre gehen mir über Alles, aber ich werde ein Spott meiner Kameraden, wenn Oppenstein sich nicht in's Mittel legt; und wird er das thun, da er gegen diese Ehe und schon durch das Ausbleiben der Meinigen so verstimmt war? Wird er, wenn sie mich bei ihm verklagt, zu den Opfern bereit sein, um die ich ihn zur Rettung meiner Familie angehen muß, mit der ich als Offizier stehe oder falle?"
Vom Thurm der Dorfkirche hallten Zehn gellende Schläge durch das Thal. Er blickte hinüber zum Hotel. Bettina's Fenster waren noch erleuchtet. Langsam trat er den Rückweg an. Hinter der Halde hielt er inne. Bettina, in weißem Nachtgewande,
das im Schein der Zimmerkerzen wie rothes Gold leuchtende Haar aufgelöst über die Schulter wallend, erschien im Fenster, die Arme auf die Bank desselben gelehnt, sehnsuchtsvoll hinausschauend. Er stand, bis sie im Fenster verschwunden, und da war's ihm, als bemerke er im Zimmer den Schatten einer zweiten Frauengestalt.
„Mein Weib seit vier Wochen!" knirschte er. „Ich schäme mich des Wortes! Diese Reisemarschallsrolle muß ihr Ende haben! Hier draußen, wo uns Niemand sieht, kann ich selber mich schließlich nur verachten, aber daheim werden es auch Andere thun!"
Immer das Fenster beobachtend, schritt er auf das Haus zu, begehrte unten in der leeren Gaststube eine Flasche Wein und stürzte den Inhalt einiger Gläser hinunter.
„Es kommt ein Wetter herauf!" sagte ihm der Wirth. Er hörte nicht und stand auf. „Ein Wetter, ja! Auch mir ist's so!" brummte er auf der Treppe.
Oben in dem vom Mondenlicht erhellten Flur huschte eine schlanke weibliche Gestalt an ihm vorüber und verschwand in einer der anderen Thüren. Der Kleidung nach war's dieselbe, die er an Bettina's Seite aus der Wiese gesehen.
Nicht wissend, was beginnen, aber erhitzt vom Wein und von innerer Aufregung, stand er im Zimmer. Bettina war noch nicht zur Ruhe. Geschehen mußte etwas Zur Rettung seiner Gatteuehre; aber das Bewußtsein der eigenen Schuld lähmte seine Willenskraft. Da hinzu kam der Gedanke, daß er einem andern Willen gegenüber, dessen Zähigkeit er kennen gelernt.
Ein Windsturm pfiff eben durch das Thal, dessen ihm unbekannte Vorboten die Wölkchen über dem Sattel der Alpen gewesen. Sein geöffnetes Fenster schlug gewaltsam zu, auch das neben ihm in Bettina's Zimmer. Eine Wolke schob sich vor den Mond, ein Donner krachte, der Blitz schlug vor ihm Mitten in das Thal, die Felsenwände der Berge erhellend. Er trat an Bettina's Thür und legte fest die Hand auf den Drücker. Sie war verschlossen.
„Ocssne!" ries er mit gebietender Stimme.
Keine Antwort. Er wiederholte sein Verlangen. Wieder umsonst. Das Blut stieg ihm in's Gehirn; die morsche Thür des alten Dorfwirthshauses zitterte unter seinem Druck, das Schloß löste sich von derselben. Er stand vor Bettina, die sich eben, seinen Befehl nicht achtend, ruhig entkleidet hatte.
Mit großen, unwillig erstaunten Augen blickte sie ihm entgegen. Sie beugte sich Zu der Kerze, um sie Zu löschen; Walbeck's Hand kam ihr zuvor; er stellte das Licht hinter sich.
„Ich habe mit Dir zu sprechen," begann er, während sie die Brust mit den Armen bedeckte, ohne Furcht, ihn mit drohendem Blick von sich haltend.
Ein flammender Blick mit der unheimlichen Glut des Hasses gab ihm Antwort. Die Miene der Verachtung, die ihn begleitete, brachte auch sein Blut zum Sieden.
Sie griff schweigend zu dem über dem Stuhl hängenden Peignoir. Walbeck's Auge glitt leidenschaftlich über die junonische Gestalt, als sie bei dieser Bewegung Brust und Nacken preisgab. Dieß