Die tolle Sctty von Hans Wachcnhusen.
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war sein Weib, das ihm nur ein einziges Mal zaudernd die Lippen gereicht — so kalte Lippen, als habe er die einer Marmorstatue berührt; sein Weib, das ihn bisher unter tausend Ausflüchten umhergezerrt! Hier zum ersten Mal, in dieser idyllischen Einsamkeit, an der zu rasten es ihrer Laune gefallen hatte nach dem geräuschvollen Hotelleben, das ihn angesichts fremder Menschen zum Nachgeben gezwungen — hier sah und hörte sie Niemand. Draußen tobte der Sturm, er heulte um die Bergwände, sauste durch die hohen Rüstern.
In beiden erhobenen Armen schwang sie eben das Peignoir über den blendenden Nacken, bleich vor Entrüstung, von dem eigenen Gatten so überrascht zu sein, das Auge gesenkt.
Ein Donner übertobte ihren Aufschrei. Jobst hatte den Arm um ihren Leib geschlungen, er preßte sie an sich, sein heißer Athem berührte ihr Antlitz; ihre Hände suchten machtlos sich unter dem Druck des kräftigen Mannes gegen seine Brust zu stemmen.
Ein Windstoß schnob eben wieder in's Zimmer herein. Das Licht erlosch unter demselben. Dunkelheit deckte das Ringen Beider, das eines in Verzweiflung widerstehenden Weibes, das schließlich ohnmächtig in seinen Armen zusammenbrach und aus denselben wie um Gnade flehend auf die Kniee sank, aber wieder aufschnellte und, die Thür hinter sich aufstoßend, in dem dunklen Gang verschwand.
Betäubt, erschreckend vor seiner That, mit schweißbedeckter Stirn stand Walbeck. Er sah die weiße Gestalt vor sich in der Thür verschwinden. Die Vorstellung, mit welcher Heftigkeit sie sich seiner Berührung widersetzt, durchrann sein Gehirn, seinen Rücken wie ein Eisstrom; ächzend preßte er die Hände vor die Stirn, die eben sich gewaltsam an Dem hatten vergreifen müssen, was ihm von Rechtswegen gehörte, an seinem eigenen Weibe.
Er trat in die offene Thür, in den dunklen Gang und lauschte athemlos mit wild pochendein Herzen. Der Zickzack des Blitzes erhellte für einen flüchtigen Moment den Flur. Sie war verschwunden.
Geistig todt, das Auge vor dem kommenden Morgen schließend, warf sich Jobst angekleidet auf sein Lager. Kein Schlummer kam in sein Auge, kein Geräusch sagte ihm, daß Bettina in ihr Zimmer zurückgekehrt.
Siebmzehntes Kapitel.
Das so wunderbare Wiederbegegnen mit ihrer Freundin war Lola wie eine unmittelbare Gottesfügung erschienen. Als sie sich, durch Walbeck's Erscheinen gescheucht, von Bettina getrennt, war sie, ohne ihren Unglücksgenossen Adieu zu sagen, diesen voraus zum nahen Bahnhof geeilt, um ihr Koffer- chen zu holen und für die Nacht ein Obdach in dem Wirthshause zu nehmen.
Vom Fenster aus sah sie die armen Schicksalsgenossen davonziehen, nachdem sie vergeblich nach ihr gesucht; sie hätte es nicht vermocht, ihnen Allen einzeln die Hand zu reichen, aber mit Thränen in den Augen schaute sie ihnen nach.
Mit Thränen! Wie viele hatte sie geweint seit
Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 28.
sie, ohne eine Vorstellung von der Lage und Bedeutung der Stadt, in die man sie sandte, vertrauensselig nach langer Reise in dieser eingetroffen und sich in einem zwar romantisch gelegenen, aber armen Landstädtchen sah, dessen Theater in dem großen Bauernschuppen einer Wiese aufgeschlagen war.
Die weite Reise hatte ihre Baarschast bis auf ein Geringes gekostet. Der Direktor hatte ihr gesagt, als sie bleiben zu wollen erklärt, er gebe morgen die „Räuber", sie solle über Nacht die Rolle der Amalie lernen; sie sei nicht schwer in seiner Bearbeitung. Um sie gleich auch als Sängerin vorzuführen, könne sie Zu Anfang des dritten Akts anstatt „Schön wie Engel, voll Walhallas Wonne" etwas Anderes Zur Guitarre singen; nur dürfe es nichts Lustiges sein, etwa „Freudvoll und leidvoll" oder dergleichen.
Trostlose Tage und Nächte kamen für das unerfahrene Mädchen, das sich so trotzig flügge gemacht und in die Welt hinausgegangen war. Entbehrung, Demüthigung von Seiten des Schauspieldirektors, Rohheit, Leichtsinn und Galgenhumor ihrer „Kunstgenossen", beleidigende Anträge von Seiten junger Beamten, Gendarmerielieutenants, einiger jungen Gutsbesitzer, endlich des Direktors selbst und als Wohnung ein Dachstübchen über dem Kuhstall — das war Alles, was sie erreicht! Sie mußte lerneu, was ihr in die Hand gegeben wurde, Schimpfworts hören, wenn sie „wie eine Gans gespielt" hatte, weil sie dem Direktor nicht zu Willen sein wollte, und als der Monat um, war der Letztere eines Morgens verschwunden.
Allerdings war eines Abends während der Vorstellung einer Gesangsposse ein fremder Herr erschienen und auch auf die Bühne gekommen, der mit dem Direktor bekannt war, ihr die größten Schmeicheleien wegen ihrer Stimme gesagt, sich ihren Namen notirt und ihr allerlei Versprechungen gemacht hatte; aber er war abgereist und hatte nichts mehr von sich hören lassen.
Das war also die Kunst, von der sie geträumt! Eine Kunst, sein Leben zu fristen, wie der Komiker der Truppe sagte, der sich an die Spitze stellte, um in den kleinen Ortschaften der Umgegend die Vorstellungen fortzusetzen.
Sie war jetzt noch die Glücklichste von ihnen Allen, denn sie konnte zurückreisen, konnte die verpfändete Garderobe wieder ersetzen, um daheim sich nicht schämen Zu brauchen, wenn sie reuig wieder vor die arme Mutter trat.
Aber es war zu viel, was ihr Bettina gegeben. Sie erschrak, als sie die Goldstücke zählte. Sie pochte deßhalb am Abend an Bettina's Thür, aber sie fand diese in einer Aufregung, die sie nicht zu Worte kommen ließ.
„Geh'! Laß mich!" bat Bettina, als Lola ihr gesagt, daß sie drüben bis zum Morgen ein Zimmer genommen. „Vielleicht seh' ich Dich heute noch!"
Angekleidet hatte sich Lola aus das Lager geworfen, um gleichgültig gegen das draußen heraufziehende Unwetter, gegen die erstickende Glut im Zimmer, mit aufathmendem, sich heimwärts sehnendem Herzen ihre Pläne zu machen, als die Thür
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