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Deutsche Noman-Bibliothek.
sich öffnete und Bettina in noch erregterem Zustand hereintrat und sie wieder mit sich in ihr Zimmer zog.
„Ich sehnte mich wirklich nach Dir, Bettina! Du hast mir noch nicht erzählt . .. Aber Du bist so außer Dir. Was ist ..."
„Frage nicht!" ries sie. „Was ich gethan, ich Hab' es mir leichter in seinen Folgen vorgestellt; aber ich werde sie tragen und überwinden! O, Du weißt ja nicht, es ist eine unerträgliche Qual, von einem Manne gefolgt, ja ich darf sagen, verfolgt zu werden, dessen Berührung mir verhaßt, vor dem ich fliehen möchte, wenn ich seine Schritte höre, vor dem ich zitternd mich verberge, wenn die Nacht kommt... o, so viele angstvolle Nächte!"
Lola schaute sie kaum begreifend an. Bettina erschien ihr so groß, so gewaltig.
„Du hast also ..." fragte sie zweifelnd.
„Frage nicht! Seine Berührung wäre mein Tod! Aber muß ich ihn nicht auch noch verachten, da er als Mann eine so unwürdige Stellung neben mir duldet? Und was für ein Gefühl könnt' ich denn noch für ihn haben?"
„Aber was soll er denn thun?" fragte Lola, staunend über die majestätische Pose, in der sie plötzlich vor ihr stand.
„Frage nicht!" wiederholte sie noch einmal heftig. „Mich ausgeben soll er, mir seine lästige Gegenwart ersparen, wenn er das Ehrgefühl eines Mannes besitzt! Würde ich als Weib dieß erdulden? Hältst Du mich für fähig hiezu?"
„Nein, gewiß nicht! .. . Dich nicht!" gab Lola, verschüchtert durch Bettina's Exaltation, zu, während diese an das offene Fenster trat.
„Er kommt! Ich sehe ihn dort unten! Sobald er sein Zimmer drüben betritt, geh', Lola, denn ich verschließe das meinige! . . . Noch Eins, was ich Dir sagen wollte!" Sie ergriff Lola's Arm. „Du kehrst doch heim, nicht wahr? Du könntest mich begleiten bis ... bis nach Wien! Es ist kein Umweg für Dich. Willst Du?"
„Gern! Aber wird er..."
„Es ist mein Wille! Vielleicht reisen wir auch von Wien noch zusammen. Sei morgen bei Tagesanbruch bereit. Hörst Du?"
Lola ging und kaum eine Viertelstunde später schon sah sie Bettina erhitzt und erschöpft wiederum bei sich eintreten. Sie fragte nicht, Bettina's Erscheinung sagte ihr genug. Diese verlangte nur, die Nacht in ihrem Zimmer bleiben zu dürfen.
„Gott im Himmel, welch' eine Ehe!" seufzte sie, als sie resignirt, aber zufrieden das Licht löschte und sich zur Nacht auf den elenden Sessel zurückzog. „Ich wenigstens bin aus dieser entsetzlichen Lage gerettet und das soll mir eine Lehre gewesen sein!"
Am frühen Morgen fah Jobst zwei Damen anstatt einer zur Reise gerüstet erscheinen. Bettina's Benehmen war von einer ruhigen Glätte, die ihn unwillkürlich an den Baron Oppenstein erinnerte.
„Fräulein Goldmann, die auf der Reife ist, will so freundlich sein, mich bis Wien zu begleiten," stellte sie Lola unbefangen vor. „Wir trafen uns hier durch Zufall."
Jobst biß sich auf die Lippe.
„Nach Wien! Also auf den Heimweg! Sie kommt meinen Wünschen zuvor. Diese Begleitung wird uns von peinlichem Zwang befreien!"
Achtzehntes Kapitel.
Es war Abend, als das junge Paar mit Lola Wien erreichte und im Speisesaal des Hotels in der Leopoldstadt erschien. Der Salon füllte sich. Die Theatervorstellungen waren zu Ende. Rings umher sprach man von ihnen. Beide hörten gleichgültig zu.
Bettina war unterwegs durch ihre Begleiterin theilnahmvoller und gesprächiger als sonst gewesen. Jetzt, wie sie dafaß, noch im Reisegewand, erbleichte sie plötzlich, dann wallte das Blut mit doppelter Gewalt ihr zum Antlitz zurück, als sie Lola's Blick begegnete.
Sie hatte neben sich einen Namen nennen gehört, der ihr das Herz erbeben machte. Camill hatte an diesem Abend sein letztes Konzert gegeben; man sprach mit Begeisterung von ihm. Sie lauschte; auch Walbeck hatte den Namen vernommen. Sie gab sich Mühe, gleichgültig zu erscheinen. Und jetzt sprach man weiter von Camill, von seiner die Frauenwelt hinreißenden Person, seinen Erfolgen bei derselben. Eine immens reiche, schöne russische Fürstin, eine junge Wittwe, sollte bis zur Tollheit in ihn verliebt sein; sie hatte ihm heute einen Lorbeerkranz mit Brillantfrüchten überreichen lassen. Man hatte beim Heimgehen auf der Straße erzählt, ihr Wagen habe am hintern Ausgang des Konzertlokals gehalten, die schöne Russin habe ihn nach dem Konzert in ihre Wohnung entführt.
„Welch' ein Glück diese Künstler haben!" warf Jobst spöttelnd hin. „Aber ich erinnere mich, er hatte ja dasselbe auch bei uns!"
In Lola's Wesen war seit ihrem Mißgeschick eine merkliche Veränderung vorgegangen. Sie war in sich gekehrt. Wenn sie mit Bettina allein war, fühlte sie sich eingeschüchtert durch deren exaltirtes Wesen, durch die Gewalt einer Leidenschaft, aus der diese kein Hehl machte; ihr pochte das Herz, wenn sie Bettina mit dem Gatten sah, bei der Frage, was daraus werden solle. Sie empfand also auch, was jetzt eben in Bettina vorging.
Letztere hörte Walbeck's Rede nicht. Sie ward maßlos zerstreut und unruhig. Die Hitze des Tages habe ihr Wallungen verursacht, sagte sie zu Lola und bat diese, sie in ihr Zimmer zu begleiten.
Jobst blieb allein. Auch ihm ward das Herz kleiner, je näher sie der Heimat kamen.
„Wären die verdammten Schulden nicht!" rief er, die Stirn in der Hand wälzend. „Meine eigenen drücken mich nicht, aber die der Familie! Ich werde in ihr daheim immer einen gegnerischen Advokaten bei Oppenstein haben, und dieser unselige Brief, den ich ihr zurückgab ... Sie geht auch mit bestimmtem Plänen um, will keine Versöhnung. Sie wird also Zu einem Eklat drängen! Bin ich denn, um des Himmels willen, ein Mensch, der einem Weibe einen solchen Abscheu einflößen kann? Und eine Scheidung nach wenigen Wochen, nach der Hochzeitsreise! Man würde mit Fingern auf mich weisen, meine Kameraden würden über mich lachen; mein Chef, der ohnehin