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Deutsche Roman-Bibliothek.
Und Walbeck, dieser harmlose Mann, wußte nichts davon, er hatte nicht einmal eine Ahnung von dem, was in und mit seiner Gattin schon vorgegangen, ehe sie ihm die Hand gereicht... Gewiß, er war sehr unglücklich, mehr, als er selbst wußte!
Mitfühlend schaute sie ihn an, fürchtend, daß er ein ähnliches Gefühl für sie haben müsse, wenn er sie unter dem Komödiantenvölkchen bemerkt; jedenfalls mußte er es seltsam finden, daß sie, ein so junges Ding, ohne Schutz auf Reisen.
„Sagen Sie mir, wie urtheilen Sie über eine Ehe, wie ich sie mit Bettina führe!" fragte er, vor sich niederschauend. „Sie sind Ihre Freundin."
Lola erschrak vor der Frage.
„Eben deßhalb bin ich wohl nicht befugt..."
„Doch! Wenn Sie ehrlich sind! Sie sahen, daß ich es an keiner Aufmerksamkeit fehlen lasse! Alles drängt mich zu dem Verdacht, daß vor ihrer Heirath irgend eine andere Liebe..."
Lola erröthete, als er sie so scharf horchend anblickte. Walbeck's Antlitz entfärbte sich jäh. „Ihr Schweigen bestätigt meine Frage!"
„O nein! Sie mißverstehen mich!"
„Ich brauche Ihnen als einer Freundin Bettina's meinerseits nichts zu verhehlen. Ich war wohl blind und... Ich sehe selbst jetzt ein, ich hörte zu sehr auf die Versicherungen ihrer Pflegemutter, die mich blendeten. Wenn ich Bettina sah, täuschte mich mein Entzücken über sie in dem Grade, daß ich nur die Vorstellung hatte: sie wird, sie muß Dich ja wieder lieben! Ihre Mutter versicherte mich stets, sie gehöre zu den Naturen, die nicht äußern können, was in ihnen vorgeht... Ich fürchte aber, ich errathe jetzt, daß sie Grund hatte, dieß nicht zu thun ... Aber warum ließ sie geschehen, was wider ihr Herz war? Sie scheut jede Berührung mit mir, als sei sie durch heilige Schwüre vor derselben gehütet. Sie hat sich vielleicht Zu einer Entsagung entschließen können, die über ihre Kräfte geht; sie drängt deßhalb Zum Bruch, ich sehe es, denn sie treibt mich an eine Grenze, an der ich mich selbst verachten muß. Ich bin Offizier, ich unterliege dem Urtheil meiner Vorgesetzten und meiner Kameraden; ein einziges, absichtliches oder unwillkürliches, unbewachtes Benehmen gegen mich in deren Gegenwart, die auch mir Pflichten auserlegt... Ich zittere davor!... Sagen Sie mir Alles!" bat er, über den Tisch hin ihre Hand ergreifend. „Ich muß wissen! Wer ist dieser Andere? Ich erinnere mich, — aber das ist nur so ein Gespenst, das hier vor meiner aufgeregt grübelnden Phantasie auftaucht... An jenem Abend, als ich Sie in der Soiröe bei Oppenstein sah... Ich saß neben ihr... Die Mutter hatte mir an dem Tage schon die bündigsten Versicherungen gegeben ... Als jener junge Virtuose auftrat, sah ich sie in einer so seltsamen Erregtheit. .. Aber ich entschuldigte sie, die Damen alle waren ja hingerissen... Sagen Sie mir," — er preßte heiß und heftig ihre Hand, sie anflehend, die gesenkten Augen zu ihm aufzuschlagen, damit er darin lesen könne — „ich beschwöre Sie um Wahrheit, Aufrichtigkeit! Wenn ich den Muth hätte, sie selbst zu fragen, sie würde nicht zögern, mir den Todesstoß zu geben... Es ist Feigheit,
daß ich von Ihnen zu hören begehre... Gestehen Sie mir die Wahrheit!"
Lola, auf diese Frage am wenigsten vorbereitet, machte Mime, sich wie verletzt zu erheben und dadurch ihre Verlegenheit zu decken. Er hielt krampfhaft ihre Hand.
„Herr von Walbeck," sagte sie, „es ist unpassend von mir, in Bettina's Abwesenheit mit Ihnen... Ich fühlte es bereits vorhin. Sie verzeihen mir..."
„Sie weigern mir die Antwort, weil Sie die Wahrheit verweigern, die Lüge scheuen! Ich bedarf dieser Antwort nicht mehr!" — Jobst ließ ihre Hand und starrte sie mit von Ueberzeugung entstelltem Gesicht an. „Ich bitte Sie nur um Eins! Lassen Sie mich jetzt nicht allein! Gönnen Sie mir den Trost, eine Seele bei mir zu haben... Ihre Gegenwart wird mich von einer Tollheit abhalten... O, ich reime mir ja Alles! Deßhalb drängte sie plötzlich hieher, deßhalb wechselte sie so verrätherisch die Farbe, als dort an jenem Platz gestern Abend der Name genannt wurde; die Qual der Eifersucht mochte sie plötzlich foltern, als man von einer russischen Fürstin sprach . . . Ist es nicht furchtbar, unerhört! Mit dem Verrath im Herzen reichte sie mir die Hand! Das Weib eines Soldaten, dessen ganzes Dasein bis in den intimsten Winkel hinein durch die Rücksichten für feine Stellung beherrscht wird, es jagt einem fahrenden Musikanten nach, den eigenen Gatten verhöhnend, mit dem es vor wenigen Wochen erst an den Altar getreten... mit einer Lüge im Herzen!
„Und meine Mutter, mein Bruder!" Er verhüllte, die Arme auf den Tisch stützend, beschämt das Antlitz. „Aber fürchten Sie sich nicht vor mir!" bat er, wiederaufblickend, da sie theilnehmend ihren Platz ihm gegenüber behalten. „Sie sollen mich wieder ruhig sehen! Einem Soldaten ist nicht gestattet, was Anderen vergönnt sein mag! Diese Zunge ist geknebelt, diese Hände sind gebunden durch die eiserne Kette des Dienstes! Fürchten Sie keine Exzesse! Was ist denn hinzugekommen zu meinem Unglück! Nichts als die Erkenntniß der Umstände, die es mir bereiteten! Gebe der Himmel ihr nur so viel Kraft, diese unselige Leidenschaft einstweilen vor der Welt zu verbergen! Was in mir vorgeht, was ich erdulde, ich muß es ja auch in mich verschließen, wenigstens so lange, bis . .. Mein Gott, ich weiß ja noch nicht, was ich in einer Lage, wie der meinigen. .. Mit Bewußtsein gelogen hat sie das Wort, das sie vor dem Altar gesprochen, verhöhnt den Segen des Priesters schon von dem Moment ab, da er auf feinen Lippen erklungen, verhöhnt auch mich, dem sie diese Lüge gesagt ! Jede Stunde von dem Abend ab, wo sie ihre Pflegeeltern verließ, jede Minute, in der ich nur um einen Schimmer ihrer Zuneigung so vergeblich rang, steht mir jetzt klar in ihrer Bedeutung vor Augen. Ich verstehe jetzt jeden ihrer Blicke, der mir sagte: ,Du ringst umsonst, warum warst Du der Thor, meiner Lüge zu glauben!' Aber was kann ein Mädchen vermögen, das daheim auf Händen getragen wurde, das Dasein, die ganze Existenz eines Mannes zu vernichten, der ihm nichts zuleide gethan, als