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Deutsche Noman-Gibtiothek.
wird heute dort seinen Zauberbogen führen; man verspricht sich einen herrlichen Abend, wie man ihn in dieser kunstsinnigen Familie gewöhnt ist."
Ein Sturzbach, wenn er sich über Walbeck's Haupt ergossen, würde dieselbe Wirkung auf ihn gemacht haben wie dieser Name. Das Halbdunkel des Kaffeehauses verbarg dem Kameraden Walbeck's Todesblässe. Nur als dieser das Kinn auf die Brust senkte, ward er aufmerksam.
„Laß uns hinausgehen! Es ist zu heiß hier!" bat Jobst aufspringend. Sein Kamerad folgte ihm auf die Straße. Hier hängte Walbeck sich in dessen Arm.
„Ich nehme Deine Einladung an! Ich langweile mich hier!" sagte er, den Arm drückend. „Aber ich bitte um Eins: stelle mich dem Herrn unter einem andern Namen vor; ich habe meine Gründe."
„Meinetwegen! Uebrigens wird eine Unzahl von Gästen da zusammenkommen; willst Du unbeachtet sein, so werde ich Deinen Namen so murmeln, daß er nicht verstanden wird. Wo treffen wir uns um zehn Uhr? Mein Dienst beschäftigt mich bis dahin."
„ In demselben Kaffeehaus. Ich werde prompt sein."
Mit wild arbeitendem Herzen irrte Jobst allein in den Straßen umher. Der Tag war noch so lang. Er sah sich bereits im Glanz der Lüstres, inmitten der Gesellschaft, und... Bettina...
Sein Blut kochte, seine Hände ballten sich. Er sank im Stadtpark ächzend auf eine Bank und starrte Pläne schmiedend vor sich in den Kies.
Dieser Verrath war himmelschreiend. Abgekartet erschien ihm Alles. Und diese kupplerische Wiener Freundin! Und er, der Dupe eines umherziehenden Musikanten!... Den Tod schwur er ihm mit knirschenden Zähnen... Und doch war Jener vielleicht weniger schuldig, als sie! Was fragte ein Mensch wie dieser nach einer Frauentugend! Ein abenteuernder Virtuose, dem sich die Weiber an den Hals warfen! Sie war die Schuldige! Und klar ward ihm jetzt Alles. Oppenstein hatte ihm ja erzählt, daß er den jungen Künstler schon in Nizza kennen gelernt und in sein Haus gezogen, daß er auch in München trotz seines Unwohlseins ihn habe anhören müssen ... Schon in Nizza mußte Bettina also... und in München noch hatte sie ihn gesehen ...
Eisig lief es ihm über den Rücken. Mit diesem Verrath im Herzen war sie sein Weib geworden; über den feierlichen Kirchenakt hinweg, und als sei ihr dieser nur eine Farce gewesen, hatte sie den strafbaren, verbrecherischen Muth, ihrer geheimen Leidenschaft fortzuleben, in ihrem Gatten einen Lästigen zu sehen, der ihr nur im Lichte stand . . .
„Hölle und Teufel," knirschte er, „trüge ich nicht den Rock des Königs, wäre ich frei wie Andere, Herr meines Willens... Aber ich werde ihn ja dennoch ablegen müssen, auch mein Bruder, der sich ein Weib aus fürstlichem Geschlecht nehmen konnte, mir die Rettung der Familienehre vor den Gläubigern überlassend, und sich trotzdem noch zum Richter über mich aufwarf... Zum Richter!... Daß er aber Recht haben mußte, er und die Mutter!... Was wissen sie von ihr und ihrer Herkunft? Warum sind sie nicht offen gegen mich?"...
Er erhob sich und taumelte sinnverworren durch die Anlagen. All' seine Gedanken galten schließlich nur dem Abend. Er wollte sehen, von ihr unbemerkt wollte er beobachten, und dann... Hier war er zu Ende.
Es war Abend, als er heimkehrte. In seiner Stimmung war es ihm nicht eingefallen, daß seine Gattin zu dieser Soiree erst Toilette machen müsse. Die Stubenmagd sagte ihm auf seine Frage, die gnädige Frau habe sich bereits umgekleidet und sei, nachdem sie wahrscheinlich auf ihn gewartet, fortgefahren.
Auf seinem Tisch lag ein Zettel. Lola schrieb, sie erwarte ihn in ihrem Zimmer. Er fand sie vor dem gepackten Reisekoffer.
„Es war mir ein Bedürfniß, Ihnen Adieu zu sagen! Ich reise morgen zeitig. Bettina nahm noch meine Hülfe bei ihrer Toilette in Anspruch." Lola sprach das sehr verstimmt, sogar traurig.
„Seit wann sind Sie ihre Kammerjungfer?" fragte Jobst bitter.
„O, es war nur ein Freundschaftsdienst! Sie haben Bettina den Tag hindurch nicht gesehen?"
„Wie Sie fragen!"
„Habe ich Sie irgendwie verletzt, Herr von Walbeck?" Lola ließ sich nieder und faltete die Hände im Schooß.
„Ja! Sie waren nicht aufrichtig! Sie wußten nothwendig auch, wen sie in dieser Soiree finden werde."
Lola starrte ihn erschrocken an. Sie sah erst jetzt, wie bleich und weiß sein Gesicht.
„Herr von Walbeck, ich fühle mich schon verlassen und unglücklich genug, um Schonung erwarten zu dürfen. Bin ich schon gestraft für meine Unbesonnenheit, mich so allein in die Welt hinaus zu wagen, so wünsche ich doch nicht..."
Jobst sah, daß das Mädchen Thränen im Auge hatte. Die Verlassenheit, die Aussichtslosigkeit, dazu noch ein herrisches Benehmen Bettina's heut Abend gegen sie, die ihr vorgeschlagen hatte, sie könne als Gesellschafterin bei ihr bleiben — Alles hatte den Muth des Mädchens wieder gebrochen. Bettina, die sich jetzt als reiche Frau erschien, war ihr gleichgültig geworden, für Walbeck empfand sie aufrichtiges Mitleid.
„Sie müssen meiner Stimmung schon Einiges zugute halten," sagte er, ihre Hand nehmend. „Sie haben auch Recht, wenn Sie mir einen Verweis geben; was können Sie dafür, daß ich ein Narr war. Reisen Sie mit Gott, und sollten wir uns nicht Wiedersehen..."
Lola behielt unbewußt seine Hand. Sie erhob sich.
„Herr von Walbeck," sagte sie mit niedergeschlagenen Augen, „ich bin ein verzogenes, thörichtes Geschöpf, ich habe mich sehr unglücklich gemacht, als ich, die Unehre von meinem Haupt Zurückweisend, die mein Vater durch seinen Bankerott über uns brachte, eigensinnig in die Welt hinausging, wo mir auch nur die Wahl zwischen der Schande oder der Flucht in die Heimat zurück übrig blieb. Mir graut vor meiner nächsten Zukunft, aber so unglücklich wie Bettina hoffe ich nicht zu werden. Ich habe Ihre Ruhe und Langmuth bewundert; Sie konnten nur so