Heft 
(1885) 47
Seite
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diele des Lebens von W. Berger.

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Sinne hatte, war kein Boden in New-Orleans. Der strebsame Ungeduldige mußte indessen seine Sehn­sucht nach einem günstigeren Terrain für seine Wage­lust noch volle fünf Jahre ungestillt bei sich tragen. Da erst wandten sich plötzlich die Verhältnisse so zu seinen Gunsten, daß er die Südstaaten endgültig verlassen konnte.

Einer der Chefs des New-Aorker Mutterhauses wünschte sich zur Ruhe zu setzen; der andere ersuchte Arthur, an des Scheidenden Stelle zu treten. Da­mit hatte der Deportirte nach zehnjährigem, unaus­gesetztem Bemühen das Ziel erreicht, das er sich vorgesetzt Kaum dreißig Jahre alt, war er Teil­haber in einem Handlungshause allerersten Ranges und durfte sich erlauben, mit stolzem Selbstgefühl herabzusehen auf das väterliche Geschäft jenseits des Ozeans.

Niemand aber widmet jahrelang seine besten Kräfte, fein Sinnen und Trachten irgend einem Gewerbe, ohne daß dieß Gewerbe seiner Natur ein eigenthümliches Gepräge verleiht. Hat man die Ge­danken eine geraume Zeit immer durch dieselben Kanäle getrieben, so nehmen sie schließlich den be­kannten Weg von selbst, und andere Psade, die man sie Zuschlägen lassen möchte, erweisen sich als zu­gewachsen.

Dieß erfuhr auch Arthur jetzt. Eben fing der Handel an, sich des rasch wachsenden Telegraphen­netzes zu bedienen. Verkehrserleichterungen führten die Nothwendigkeit herbei, die bisherige Art des Betriebes vollständig umzugestalten. Der Handel wurde zu einem interessanten, ja geistreichen Spiele. Arthur konnte dieß Spiel, welches täglich Zu neuen Kombinationen reizte, nicht entbehren. Es war nicht länger der Kapitalerwerb, dem er nachjagte, nicht länger die Position, zu welcher er sich empor zu arbeiten suchte. Die Periode des Strebens lag hinter ihm; gewonnen hatte er, was Glück und Beharrlich­keit dem Ringenden auf seinem Gebiete der Thätig- keit verleihen können. Dennoch trieb es ihn weiter und weiter; beutelustig aus alter Gewohnheit, lauerte er mit unausgesetzter Wachsamkeit im Centrum eines Geschäftes, dessen Fäden über den ganzen Erdball liefen.

Was war doch aus dem Idealisten geworden, der einst für ein Utopien fein Leben hatte einfetzen wollen! Arthur, obgleich fast ausschließlich in ameri­kanischer Gesellschaft verkehrend, traf dennoch zuweilen mit einem jener deutschen Flüchtlinge aus den besseren Ständen zusammen, die nach dem Siege der Reaktion hinübergepilgert waren, um unter der überschweng­lich gepriesenen republikanischen Regierungsform die vielbesungene Freiheit Zu suchen, die Freiheit und ihr bürgerliches Fortkommen. Beides war ihnen schlecht geglückt. Schon wollte auf die Geschichte ihrer Leiden Niemand mehr hören. Anfangs Zwar hatten die Amerikaner, mit allen Empörern sym- pathisirend, die nicht im eigenen Lande wohnen, ihnen thatkräftiges Mitleid entgegengetragen; bald aber waren der besiegten Revolutionäre ans Europa, die lärmend ihre Gastfreundschaft in Anspruch nahmen, Zu viele geworden. Man ließ sie fallen; gegen die importirten politischen Theorieen kehrte sich die Spott­

lust der Eingeborenen, der früher Eingewanderten. Die armen Exilirten! Verloren trieben die Meisten in dem Gewühl, zu alt, um zu lernen, zu eigen­sinnig, um sich zu schicken. Spurlos untergegangen sind sie bis auf einige Wenige in der wilden Jagd nach dem köstlichen Dollar, an welcher die bittere Nothwendigkeit sie zwang, theilzunehmen.

Arthur ließ sich die Geschichte der deutschen Er­hebung von 1848 von Landsleuten erzählen, die thätigen Antheil daran genommen hatten. Ver­wundert, befremdet schüttelte er den Kopf. Wie eine uralte Mär erschien ihm, was er hörte. Vergilbt, verwittert waren die Blätter, auf denen die Geschichte den thörichten Versuch seines Volkes verzeichnet hatte, zur Einheit zu gelangen. Arthur verschwieg, daß er auf dem Punkte gestanden, an diesem Versuch sich zu betheiligen; er schämte sich seines damaligen kindischen Opfermuthes, schämte sich der schönen Be­geisterung seiner Jünglingsjahre. Wie war er doch seitdem so kalt-vernünftig geworden! Halb mitleidig, halb verächtlich sah der in fremder Lebensform Be­fangene hinüber auf das Volk zwischen Rhein und Belt, von dem er stammte. Vergebens, so meinte er> immer vergebens werde dieß Konglomerat eifer­süchtiger Stämme aus den angewachsenen Fesseln uralter Sonderung zur Einheit streben. Und wenn je ein armer Emigrant seiner Nation, dessen Herz im Vaterlande geblieben war, sich Hinreißen ließ, von kommenden Tagen der Freiheit zu schwärmen, dann hatte Arthur nur Worte des Hohns für den Gimpel, der von dem gebeugten Halme erwartete, daß er sich aufrichte.

So hatte Arthur mit seiner Vergangenheit ge­brochen und sein früheres Selbst verstand er nicht mehr. Mit seiner Heimatstadt war er ohne Ver­bindung. Hin und wieder allerdings stellte ein so­eben von dort angekommener junger Glücksjäger sich ihm vor und bat den Einflußreichen um Protektion. Kurz fertigte Arthur die Zudringlichen ab; er hatte weder Zeit noch Luft, sich Landsleuten gefällig zu erzeigen. Auch einige Abgesandte seines Vaters oder Solche, die er dafür hielt, suchten im Laufe der Zeit Zutritt bei ihm, neugierige, geschwätzige Leute, die bei Gelegenheit einer Geschäftsreise sich wahrscheinlich erboten hatten, die Versöhnung zwischen dem jungen und dem alten Ueberweg zu Stande zu bringen. Sie Alle empfingen schroffe Abweisung; noch immer wallte Arthur's Blut auf, wenn er des Vaters gedachte.

Mit besonderer Bitterkeit brach er gegen den letzten Besucher dieser Art los.Sie meinen wohl," sagte er,weil mir zum Guten ausgeschlagen ist, was mir Böses Zngefügt wurde, ich sollte deßhalb die Hand segnen, die mich in die Fremde stieß d Ein solcher Schwächling bin ich nicht. Daß ich etwas geworden bin, danke ich mir selbst; berathen hat mich Niemand, geholfen hat mir Niemand. Als ein neuer Mensch, frei von allen Verpflichtungen, habe ich den Boden dieses Landes betreten, und Keinem bin ich seitdem eine Verpflichtung schuldig geworden. Sie sagen, mein Vater werde alt, werde gebrechlich. Das ist der Lauf der Natur; ich ver­möchte nichts daran zu ändern, wenn ich der zärt-