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Deutsche Roman-Bibliothek.
lichste Sohn wäre. Er bedürfe dringend einer Stütze, theilen Sie mir mit. Erwarten Sie etwa von mir, daß ich Krankenwärter bei ihm werde, oder als Hülfsarbeiter in sein Geschäft eintrete 2 Er mag sich einen Pfleger miethen und fein altmodisches Geschäft an irgend einen ehrgeizigen Krämer abtreten — mir ist's gleichgültig, was er thnt. Ich wünsche fernerhin nicht mehr mit Ansprüchen behelligt zu werden, die nicht den Schatten einer Berechtigung haben. Bestellen Sie dieß zu Hause und entschuldigen Sie, daß ich mir versagen muß, Ihnen weitere Zeit Zu widmen."
Fortan blieb Arthur von jedem Ansturm auf sein Herz verschont. Auch hatte er seltener als je zuvor Veranlassung, der Vergangenheit zu gedenken; denn es kamen unruhige Zeiten und die Gegenwart nahm sein Sinnen vollauf in Anspruch. Der Süden begann den Kampf für seine Selbstständigkeit. Arthur, als gründlicher Kenner des rebellischen jungen Staatenbundes, unterschätzte die Widerstandskraft desselben von Anfang an nicht. „Baumwolle wird theuer werden," sagte er zu seinem Asfocia und lagerte Tausende von Ballen in seinen Speichern. Der Nutzen daran war enorm, als Arthur nach langem Warten zum Verkauf schritt; nun aber erhob sich die Frage, wie die Menge des einkommenden Geldes vorteilhaft anzulegen sei.
Es war die Zeit, in welcher nach vielen verlorenen Schlachten der Norden sich zu einer letzten, gewaltigen Anstrengung zusammenraffte. Viele Kleinmütige gab es damals überall, welche die Sache des Nordens verloren gegeben hatten; die Schuldverschreibungen der Regierung in Washington gingen betteln um Käufer. „Der Süden wird den kommenden Stoß nicht mehr aushalten," sagte Arthur, „das Ende des Krieges steht vor der Thür. Kaufen wir von unseren Bundesobligationen so viele, als wir bezahlen können!"
Wiederum hatte Arthur Recht. Nach Sherman's kühnem Zuge quer durch den Süden bis zur atlantischen Küste folgten die Schlachten um Richmond, folgte der gänzliche Zusammenbruch des Aufstandes. Nun stürzte sich allenthalben das Kapital gierig auf die verachteten Papiere und machte theure Bissen daraus. Arthur verkaufte. Genug des Mammons floß jetzt Zurück zu ihm; er hätte die Hälfte des Grundes und Bodens feiner Vaterstadt damit erwerben können.
Als dämonische Macht schwebt das Geld über Denjenigen, welche mehr davon besitzen, als sie verbrauchen können. Es strebt zurück in den Verkehr; es will sich umtreiben, will sich mehren. Die unbesonnenen Köpfe verdreht es, die besonnenen erhellt es; von jenen flieht es, diesen trägt es sich zu. Was bei Arthur sich angesammelt hatte, ging befruchtend wieder aus; er verwandelte es in Fabriken, worin Viele ihre Arbeit in Brod umfetzen konnten. Und noch immer strömte es zu und heischte Beschäftigung. Arthur diente dem Tyrannen, so lange die Sonne am Himmel stand, und fand in diesem Dienst sein Genüge, der Zeit vergessend, die auch mit ihm dahinsuhr.
Eines Morgens fand der Fleißige auf seinem
Pult einen an ihn persönlich adressirten Brief, der ihm unter den übrigen aufsiel. Die Aufschrift in deutschen Buchstaben war unverkennbar von einer Damenhand, der Poststempel Mentone. Eine deutsche Dame, die von der Küste des mittelländischen Meeres an ihn schrieb — sonderbar! Arthur öffnete den Brief mit mehr Neugier, als er sonst bei Entfaltung eines beschriebenen Blattes Papier zu empfinden pflegte. Er blickte nach der Unterschrift. „Klara Holder" las er. Wer in aller Welt war Klara Holderd Was sollten ihm die zierlichen Schriftzüge der Unbekannten mittheilen, die vier Oktavseiten bedecktend
Arthur begann Zu lesen; er wurde gestört. Znm ersten Mal in feinem kaufmännischen Leben gab er zerstreute Antworten. Rasch führte er das Ende des unwillkommenen Besuchs herbei. Er schloß sich ein und las langsam weiter. Als er zu Ende war, stützte er den Kopf in beide Hände und verfiel in tiefes Nachdenken. Nach einer Weile fuhr er auf und machte eine Bewegung, als ob er das Blatt zerreißen wollte; doch besann er sich, glättete es bedachtsam vor sich aus und vertiefte sich nochmals in den Inhalt.
Er las: „Geehrter Herr Vetter! Es ist mir zweifelhaft, ob Sie wissen werden, daß Sie eine Verwandte haben, die berechtigt ist, sich Ihre Cousine zu nennen. Erlauben Sie deßhalb, daß ich mich Ihnen als Enkelin Ihrer Tante Friederike vorstelle. Ich muß indessen fürchten, daß diese einfache Angabe nicht genügen wird, da Sie zwar einer Meta Bugenhagen sich erinnern werden, schwerlich aber wissen, was aus derselben geworden ist."
Arthur unterbrach seine Lektüre. „Meta Bugen- hageu!" sagte er sinnend. „Die Gespielin meiner Jugend! Mein Schützling, als ich Knabe war! Hatte ich das kleine Mädchen mit den blonden Zöpfen doch ganz vergessen! Sie muß mit ihrer Mutter zu uns in's Haus gezogen sein, als ihr Vater starb. Richtig; ich erinnere mich jetzt. Onkel Bugenhagen war ein vornehmer Humbug, der wild gelebt hatte, früh starb und meiner aristokratischen Tante Friederike unerwarteterweise nichts hinterließ als leere Kisten und Kasten. Als ich Europa verließ, war Meta in Pension. Und diese, ohne Zweifel erwachsene Klara Holder will schon ihre Tochter feind Ist's denn möglich? So viele Zeit ist über mir dahingegangen, feit mir Meta den Abschiedskuß gab d"
„Ich muß deßhalb," schrieb Klara Holder weiter, „zu Ihrer Orientirung hinzufügen, daß meine Mutter, als sie noch sehr jung war, ein Verhältniß mit meinem Vater anknüpfte. Ihre Tante Friederike, welcher Stand und Herkunft des Schwiegersohns nicht genügten — mein Vater war Maler und der Sohn eines Volksschullehrers — widersetzte sich dieser Verbindung auf's Aeußerste. Als die Liebenden trotzdem heiratheten, nachdem meine Mutter sich durch heimliche Flucht der Gewalt ihrer Verwandten entzogen hatte, wurde sie von ihrer Familie ausgestoßen. Die Arme ist nun lange todt; in der Ehe, die sie eingegangen, hat sie keinen Ersatz für die aufgegebenen Bequemlichkeiten des Lebens gefunden. Zart von Gemüth, konnte sie nicht ertragen,