1112
Deutsche Roman-Bibliothek.
Mentone auf's Papier: „Ich reise morgen." Er rief einen Gehilfen und hieß ihn das Blatt mit Windeseile Zum Telegraphenamt tragen. Dann athmete er tief auf und besann sich. Was hatte er gethan? Mit ein paar Federstrichen hatte er seinem ferneren Leben eine neue Bahn vorgezeichnet; wohin sie ihn führen werde, wer vermochte es ihm vorherzusagen? Die Sorgen des Tages starrten ihn an; unentbehrlich schien er sich, wo er war. Arbeiten häuften sich auf seinem Pult, dringende, unaufschiebbare Arbeiten, die er seit langen Jahren gewohnt war, persönlich zu erledigen. Um ihn ging Alles den altgewohnten, hastigen Gang; Telegramme liefen ein von der Erde Enden; wichtige Entscheidungen waren in der Frist weniger Minuten Zn treffen. Und aus diesen: verwickelten, beständig schnurrenden Mechanismus, den Arthur's Wille trieb, Arthnr's scharfer Blick über
wachte — sein Associs hatte ihm, dem Jüngeren, bereitwillig den schwierigsten Posten überlassen — sollte er ansscheiden! War es denn möglich, daß er davonging? Würde nicht Alles daheim aus den Fugen gehen, schon während er mit dem Tod um die Wette nach Mentone eilte?
Und Arthur verwünschte das gute Herz seiner Cousine Klara Holder, welches sie genöthigt hatte, jenen verhängnißvollen Brief in den friedlichen Lauf seiner Tage zu schleudern, verwünschte seine eigene Weichmüthigkeit, seine unbegreifliche Weichmüthigkeit, die ihn überwältigt hatte wie einen Knaben.
Schon aber flog die Botschaft, die er sich hatte abringen lassen, auf dem Grunde des Ozeans nach Osten, und Arthur Ueberweg war nicht der Mann, der ein einmal gegebenes Versprechen zurücknahm.
(Fortsetzung folgt.)
Die ioiie
elty.
Roman
von
Hans Wachenhusen.
(Fortsetzung.)
Neunzehntes Kapitel.
>re Gesellschaft der Frau von Ertel war zahlreicher, als diese selbst erwartet. Obgleich keine geborene Wienerin, doch eine der tonangebenden lustigen Frauen, wie sie die Lebewelt dort so vielfach aufweist, machte sie mit ihrem um die dreißig Jahre altern Gatten die Honneurs in der graziösesten Weise.
Und glücklich war sie, ihre intimste Pensionsfreundin ihren Gästen vorstellen zu können, als diese in schwarzem, mit Silbergrau garnirtem Seidenkleids, eine junonische, Alle überraschende Gestalt, Brust und Nacken von blendender Weiße, das im Schein der Lüstres so dunkelgoldig knisternde Haar nur mit schüchternen Blümchen geschmückt, an ihrer Hand in den großen Salon trat.
Mit Bewunderung hingen die Blicke der Kavaliere an der stolzen Gestalt; sich beugend vor dem majestätischen Zauber dieser fremden Erscheinung, folgten ihr die der Damen, als Bettina wie eine Königin die Huldigung der Herren empfing. Man fragte. Niemand kannte sie.
Die Säle füllten sich um so schneller, da der Musiksaal abgesperrt war; die Schleppen der Damen hemmten die Bewegung und gestatteten kaum die Entwicklung der Gruppen, als plötzlich eine neue Sensation durch die Säle ging, der Name Balsado
von Mund zu Munde flog und Alles, die schöne Fremde vergessend, sich zum Empfangsaal drängte.
Camill, von Herrn von Ertel begleitet, nahm die allgemeine Aufmerksamkeit wie etwas schon Gewohntes hin, obgleich sein Stern doch erst vor Monden am Himmel der Kunst aufgegangen. Sein Antlitz erschien etwas angekränkelt, es trug die Blässe des Ueberdrusses; seine großen, dunklen Augen gaben unter den schwer liegenden Lidern nur matte Blitze von ihrem Feuer; in phantastischer Nachlässigkeit lockte sich sein Haar über der weißen Stirn und den leicht geaderten Schläfen, seine schlanke, elastische Gestalt in makellos eleganter Salonkleidung trug sichtbar die Wucht künstlerischen Erfolges aus ihren noch ungewohnten Schultern. Balsado's ganzes Auftreten war das eines von der Gesellschaft schnell verwöhnten und von ihren Ansprüchen an seine Person belästigten, modernen, jungen Virtuosen.
Er kannte einen Theil der Gesellschaft bereits, reichte hie und da Einem die Hand, begrüßte lächelnd ihm bekannte Damen, ließ sich mit Galanterie Andere vorstellen und das Auge darnach schwärmerisch über die ihn Umdrängenden gleiten.
Im großen Salon schien er aufzuathmen. Aber hier bemächtigte sich die schöne Wirthin seiner und führte ihn Zu ihren intimeren Freundinnen, die dieses Glückes schon harrten.
„Meine Freundin Bettina! ..." stellte sie diese vor. „Aber Sie kennen sie ja schon! Sie hatte, wie sie mir sagte, früher als wir den Vorzug!" Damit wandte sie sich, Beide einander überlassend,