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Die tolle Getty von
Zu einigen anderen Damen, deren Augen, nach gleichem Vorzug verlangend, auf dem Künstler ruhten.
Dieser reichte mit scheinbar kalter Höflichkeit Bettina die Hand, aber Beider Blicke sagten sich mehr, als die Umgebung gewahrte.
„Bettina! Und hier!" flüsterte er, während Beider Hände noch heiß in einander lagen. „Ich muß Dich sehen, sprechen. . . nach dein lästigen Konzert. Du wirst mir ein Zeichen geben!"
In Bettina's Antlitz wechselten Blässe und Glut. Nur ein Blick gab ihm Antwort, denn wieder trat Frau von Ertel mit einigen Damen heran.
Des Künstlers Auge traf sich noch einmal mit dem Bettina's, ehe die klebrigen sie trennten. Bal- sado sprach der Wirthin den Wunsch ans, den Konzert- saal bald öffnen zu lassen; er fühle sich ermüdet und bitte im Voraus um Verzeihung, wenn er sich zeitig entferne. Inzwischen suchte sein Blick heimlich Bettina, die mit flackerndem Auge ans die jetzt plötzlich eintretende Bewegung schallte.
Am Arm des Wirthes schritt auch sie in den Konzertsaal. Scheinbar in sich versunken, aber mit kaum zähmbarer Unruhe im Herzen lauschte sie hier Balsado's Spiel. Alle ihre Sinne schienen in ihrem Auge konzentrirt; ihre Hand, auf den Ellenbogen gestützt, hielt krampfhaft das Taschentuch an das Kinn; sie hörte nicht, was Alle entzückte. Sie erwachte mit Hellen Augen wie aus einem Traum, ein Bann fiel von ihr, als Camill geendet, und in fieberhafter Ungeduld suchte sie den Blick des von dem Enthusiasmus der Gesellschaft Bestürmten.
Die Gäste vertheilten sich wieder in den Sälen; ein anderer Künstler wühlte noch ans den Tasten des Flügels; man schenkte ihm kaum Aufmerksamkeit.
Bettina vermied es ängstlich, sich in eine Unterhaltung ziehen zu lassen; unstät war sie bald hier, bald dort in den Gruppen, dann wieder stand sie lauschend, spähend in einer der tiefen Fensternischen, das Taschentuch zwischen den Zähnen, die Augen heimlich blitzend und wachend.
Nur den Einen mit steigender Eifersucht beobachtend, sah sie nicht, wie sie selbst beobachtet wurde. Jobst war mit seinem Kameraden Oetting- haus während des Konzertes eingetreten, eine Vorstellung also unmöglich gewesen. Er hatte sich von Letzterem getrennt und, während dieser enthusiastisch dem Geiger zuhörte, zwischen den Köpfen der Zuhörer nach Bettina gelugt. Als dann Alles in die Säle zurückströmte, hatte er, immer sie im Auge behaltend, Allen unbekannt, die bescheidensten Winkel gesucht und jetzt erst, als er znsammenschreckend Bettina aus der Nische treten und, als fliehe sie die Hitze des großen Salons, sie in eine von Orangen bestellte Glasgalerie davon schweben sah, schlich er im Rücken der Gesellschaft an der Wand entlang ihr nach und barg sich hinter den großen Blättern eines Philodendron, denn — Balsado trat eben vor ihm in die Galerie.
Er wußte genug. Ein Schwindel bemächtigte sich seines Gehirns; zitternd zerknickte seine Hand einen der saftigen Blattstiele, als er sich vorbeugte, um den Schatten seines Rivalen am Ende der Galerie in das kleine Gewächshaus verschwinden zu sehen.
Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 21,
Hans Wachenhusen.
Eines Moments bedurfte er zur Fassung; dann mit Todesblässe im Antlitz, mit voll kaltem Schweiß bedeckter Stirn, gebeugt unter die überhüngenden Blätter, vertiefte er sich in den Spiegelgang.
Der Flügel im Kouzertsaal begann eben zum Tanz zu rufen; die Paare rangirten sich im großen Salon; ihm war das nur ein wüstes Getöse im Ohr, das mit dem Sturm seines Gemüths in ihm ein furchtbares Orchester bildete.
Er sah zwischen den Blättern einer großen Musa hindurch sein Weib inmitten des kleinen Gewächshauses, sah, wie Bettina, die Stirn auf die Schulter eines Mannes gebeugt, dessen Arm auf ihren Hüften ruhte, und . . .
Seine Hand fuhr zur Brusttasche, sein Arm streckte sich aus, der Revolver blitzte im Lichte der Spiegelwände.. .
„Bettina, bist Du hier?" erklang plötzlich hinter ihm eine Frauenstimme.
Die Waffe sank. Jobst schaute geisterbleich mit unheimlich weit geöffneten Augen zurück auf die junge Wirthin, die ihre Freundin vermißte und vor ihm wie vor einem Gespenste zurück in den Salon schwankte.
Eine Sekunde stand er regungslos.
„Nicht hier! Er entgeht mir nicht!" murmelte er, die Waffe zurücksteckend. Aber die Sekunde ward ihm zur Ewigkeit einer Höllenqual; das gewaltsame Zurückdrängen und Ueberwinden seines Entschlusses erschütterte ihn konvulsivisch; das Blut tobte in seinem Gehirn.
„Nicht hier!" Er taumelte zum Ansgang der Galerie, der jungen Frau nach, die zitternd und verwirrt ihren Gatten suchte, um ihm von ihrem Gesicht zu erzählen.
Mit schlotternden Gliedern stand die kräftige Männergestalt, wild in dem Saal aus die an ihm vorüberfliegenden Paare schauend. Nicht der Gedanke an die Rache war's mehr, der ihn noch festhielt; — die Furcht, man könne sein Weib dort überraschen, bannte ihn noch. Er wußte; aber wenn auch die Welt seine Schmach erfuhr!
Unfähig, sich aufrecht zu erhalten, sank er hinter dem Philodendron gegen den Pilaster, seine Hände klammerten sich rückwärts an die Wand. Jede fernere Sekunde ward ihm eine neue Ewigkeit. Aber er mußte wachen, er selbst, der Gatte!...
Minuten verstrichen. Der Flügel drüben schickte seine Tanzmelodieen herüber; Walbeck sauste und brauste es in den Ohren, im Gehirn, die tanzenden Paare sprangen wie Irrsinnige an seinem Auge vorüber...
Endlich verstummte die Musik; die Tanzenden verloren sich . .. Und an ihm vorüber, mit erhitztem Antlitz, gerade vor ihm, die Stirn hinter dem Taschentuch versteckend, rauschte Bettina, furchtsam umherblickend, ob sie beobachtet werde, nur ihn nicht gewahrend, in den Salon.
Sein Arm zuckte ans. Aber ein anderer, sein wüstes Gehirn jäh durchkreuzender Gedanke hemmte diese Bewegung. Wie ein Rasender stürzte er in die Galerie...
„Aber Bettina, wo warst Du? Ich suchte Dich
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