Heft 
(1885) 47
Seite
1114
Einzelbild herunterladen

1114

Deutsche Nomaii-Bililiothek.

überall!... Ist Dir etwas widerfahren? Du bist erhitzt und wirst plötzlich so bleich!"

Frau von Ertel war ihr, von einem Diener ge­folgt, im Salon entgegen getreten. Ihr war jene fremde Erscheinung in der Galerie so unheimlich ge­wesen, daß sie sich überzeugen wollte, was da vor­gefallen sein könne.

Ich hatte mich nur eine Minute in Dein Ge­wächshaus zurückgezogen, um dem ersten Tanz aus­zuweichen!" Bettina lächelte Zerstreut, aber doch niit täuschender Unbefangenheit.

In das Gewächshaus? Und ist Dir dort nichts begegnet?"

Nichts! Was sollte mir begegnen?" Sie schaute doch befangener, schon heimlich erschreckend, in jener Richtung.

So komm'! Man vermißt Dich! ... Es ist gut!" winkte die Wirthin dem Diener und zog Bettina mit sich fort.

Zwanzigstes Kapitel.

Unter dem Hämmern der Pulse in seinen Schläfen erwachte Jobst am nächsten Morgen spät aus einer Betäubung, in die er erst gegen Tagesanbruch ge­sunken.

Auch was gesteru Abend geschehen, erwachte mit allen Schrecken in seinem Gedächtniß. Er schloß die Augen vor Grauen, lag minutenlang noch brütend da, preßte die Hände ans die Stirn, um das Toben der Gedanken zu ersticken, und sprang dann aus, gejagt von einer Furcht, die ihn plötzlich überfallen.

Aus seinem Tisch lag eine Depesche. Mit un­sicheren, zitternden Händen und glasigen Augen öffnete er.

Auch Das noch!" Die Depesche entfiel seinen Händen. Er stand wie verloren, vernichtet.

Oppenstein schrieb ans seine an ihn gerichtete Depesche, daß er früher als beabsichtigt, heimkehren werde: seine Frau sei schwer erkrankt; der Arzt fürchte das Schlimmste. Er erwarte ihn und Bettina auf's Schleunigste.

Was gestern geschehen, trat in seinem zerfahrenen Geiste zurück. Seine Gönnerin, der er sich so ver­pflichtet geglaubt, der er jetzt sein ganzes Elend zu danken hatte, auf dem Sterbebett! Und er selbst vor dem Grabe seines ganzen Lebensglücks!...

Er raffte sich zusammen, kleidete sich in Hast an und trat in den gemeinschaftlichen Salon, hinter welchem Bettina's Zimmer lag.

Diese erschien eben in der Thür desselben; sie war im Morgengewande, ihr Haar war flüchtig auf­geheftet, ihr Antlitz erwärmt, als fei sie bereits draußen gewesen. Mit apathischer Miene wollte sie vor ihm sich in's Zimmer zurückwenden.

Ich bitte!" rief er in gebietendem Ton. Bettina schaute erstaunend über die Schulter zurück.Hier die Meldung, daß Deine Pflegemutter auf dem Sterbebette! Man erwartet uns!" Er warf die Depesche auf den Tisch.

Bettina's Gesichtsmuskeln zuckten flüchtig. Sie schwieg und schaute noch zweifelnd auf das Papier.

Die Konvenienz zwingt mich, obgleich ich sonst wenig Aufforderung fühle." Er verbiß, was seine

Aufregung ihm Herzloses diktirte.Mache Dich fertig!"

In Bettina's Antlitz zuckte es wieder. Sie zögerte, wandte sich ab und wollte zurück.

Ich habe meiner Freundin versprochen, heute..."

Wem hast Du versprochen?"... Jobst vertrat ihr mit glühender Stirn den Weg.Sie wird Dich heute wenigstens umsonst erwarten!"

Bettina hob die Achsel.

Ich war bis dahin zwar nur Dein Reisemarschall, heute gebiete ich als Dein Gatte... so lange ich es eben noch bin!"

Ein spottendes Lächeln war die Antwort. Jobst durchfröstelte es eisig; er empfand ein Gefühl der Verachtung für dieß Weib, das er so sehr geliebt. Er sah sie mit den Augen, mit denen er sie gestern Abend gesehen, dort über dem Stuhl hing noch die Robe, die sie gestern Abend abgelegt.

So lange Sie es noch sind? ... Ich bin be­reit, Ihnen diese Zeit zu kürzen, und nur das könnte mich veranlassen, Ihrem Befehl zu gehorchen." Sie ließ sich in den Sessel nieder und kreuzte die Arme unter der Brust.Nicht wahr, Herr von Walbeck, Sie hassen mich endlich?"

Jobst stand vor dieser Frage entwaffnet; sie klang ihm, als dränge sie gewaltsam zum Ende, und auch er verlangte nach demselben. Ein finsterer Blick suchte sie in ihre Grenzen znrückzuweisen; sie ertrug ihn und wandte sich überdrüssig zum Fenster.

Ich bin überzeugt, meine Pflegemutter bereut in diesem Augenblick auf dem Sterbebett, was sie gethan, als sie mich zu dieser unseligen Verbindung zwang. Wenn sie stirbt, mag sie es jenseits ver­antworten, daß sie mich an einen Mann zu schmieden suchte, der nur mein Vermögen begehrte. So weit es in ihrer Macht lag, mich zu zwingen, gehorchte ich. Sie wußte, daß ich einen Andern liebe, dem zu entsagen mich keine Gewalt der Erde zu zwingen vermag. Sie erhielten eben uur meine Hand; ich bin inzwischen selbstständig geworden und nehme sie zurück... Hassen Sie mich! Es wird uns Beiden nichts Anderes übrig bleiben. Versöhnen Sie sich mit Ihrer Familie und sagen Sie ihr, ich erwiedere ihre Gefühle für mich im vollsten Maße! Baron von Oppenstein, mein Vater, wird mit mir vollkommen einverstanden sein, wenn ich ihn überzeuge, welche Gesinnungen diese Familie für die seinige hegt. Ich denke, wir find hiemit zu Ende!"

Bettina wollte sich entfernen. Der Blick voll Verachtung, mit welchem sie ihn maß, brachte sein Blut zum Sieden.

Weib!" rief er, ihren Arm erfassend.Danke es dem Himmel, der diesem fahrenden Buben gestern Abend den Gedanken eiugab, die Gesellschaft Deiner kupplerischen Freundin durch die Thür des Gewächs­hauses zu verlassen, ehe ich ihm eine Kugel durch sein eitles Gehirn jagen konnte! Nicht ich hatte den Mnth, um Dich zu werben; Deine Pflegemutter Mai­es, die mich ermunterte! Aber Gott behüte mich, sie zu schmähen, die es in ihrer Kurzsichtigkeit gut mit uns Beiden gemeint! Ich war toll genug, von einem Mäd­chen Glück oder wenigstens Einverständniß zu erhoffen, das die Schwäche, die Liebe seiner Wohlthäter, wie