Die tolle Setty von Hans Wachenhusen.
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ich sehe, in strafbarster Weise mißbrauchte! Ja, ich war thöricht genug, endlich noch zu hoffen, daß wenigstens die Erkenntniß des Pflichtgefühls Dich zu einein äußerlich freundlichen Einvernehmen führen werde, aber Du tratest erst meine Geduld, dann meine Ehre mit Füßen, und ich schwöre Dir, ich werde thun, was meine Pflicht als Ehrenmann mir gebietet. Wie Du dann mit der Kirche, die Du belogen, mit dem Himmel, den Du gelästert, Dich absurden magst, das sei Deine Sache! Erwarte hier meine Ordre; heute Abend eilen wir an das Sterbebett Deiner Pflegemutter, deren Liebe Du nie verdientest!"
Jobst verließ sie, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und warf sich vor dem Hotel in einen Fiaker. Er wollte zu Oettinghaus, um von ihm einen Dienst zu begehren, der ihm unerläßlich.
Gewaltsam beschwichtigte er unterwegs das gegen die Brust pochende Herz; was er wollte, war allerdings in höchster Aufregung beschlossen, aber es mußte kalt und heute noch ausgeführt werden.
Oettinghaus war eben vom Dienst zurückgekehrt. Er empfing auf dem Sopha liegend Walbeck mit den Worten:
„Du kommst mir gerade recht; ich habe mit Dir ein Hühnchen zu rupfen! Du stellst Dich einem alten Kameraden gegenüber, als reisest Du allein aus Gesundheitsrücksichten, und verschwandest gestern Abend, während ich das Glück hatte, einer wunderbar schönen Frau vorgestellt zu werden, die Deine Gattin ist! Heißest Du das Freundschaft? Und wo bliebst Du gestern?"...
Oettinghaus gewahrte erst jetzt das verstörte Gesicht seines Kameraden.
„Laß die Worte! Ich komme in einer Angelegenheit, die keinen Aufschub leidet. Du siehst in mir einen unglücklichen Menschen, der Deine Hülfe begehrt."
„Und ich habe Dich gestern als das Gegentheil beneidet! Rede! Was gibt's?"
Walbeck erzählte mit gepreßtem Athem. Er sagte Alles. Oettinghaus kraute sich hinter dem Ohr.
„Es ist doch gut, daß das Gewächshaus bei Ertels einen eigenen Ausgang hat!" sagte er nach- denkeud. „Es wäre nichts als ein Mord aus Eifersucht oder Rache gewesen und die Annalen der Armee hätten einen sehr unangenehmen Vorfall zu verzeichnen gehabt. Ich soll also den Geiger fordern, nicht wahr? Ich, sein größter Bewunderer! Keine der Damen wird mich mehr ansehen, wenn ich helfe, ihren Abgott umzubringen! . . . Aber was bleibt mir übrig!" Oettinghaus erhob sich kopfschüttelnd und schnallte den Säbel um. „Er wohnt hier drüben im Hotel. Du erlaubst doch, die Sache zu arran- giren..."
„Wie Du willst! Nur heute noch!"
Oettinghaus ging. Jobst fühlte, wie seine gewohnte Ruhe wieder in ihn zurückkehrte; nur die Ungeduld peinigte ihn.
Nach einer halben Stunde rasselte Oettinghaus wieder mit dem Säbel herein. Er warf mit verdrossener Miene das Käppi auf den Tisch.
„Verfluchte Geschichte das, lieber Freund! Ich war bei ihm und fand ihn mit seinem Manager
und seinem Diener, der eben packte. Ich stellte mich ihm vor und bat ihn um Gehör unter vier Augen. Er erklärte, beeilt zu sein, er müsse noch heute nach Pest, wo er morgen zu konzertireu habe; iudeß er hörte mich an, oder vielmehr: ich hörte ihn an. Darnach bist Du vorn moralischen Gesichtspunkt aus betrachtet in der üblen Lage, gar keine Ehransprüche an ihn zu haben... Geduld, Freund!" beruhigteer Walbeck, als dieser auffuhr. „Ich muß gestehen, der Geiger benahm sich als Gentleman, tadellos, sage ich Dir! Hätte das einem Musikanten gar nicht zugetraut! Er erklärte bei seinem Ehrenwort, nichts von Deiner Vermählung mit dem Fräulein von Oppenstein, überhaupt gar nichts von einer Beziehung zwischen ihr und Dir zu wissen. Er habe auch gestern in ihr nur das Fräulein von Oppenstein gesehen, das er in Nizza kennen gelernt, und da er sie verehre, sie um ein Rendezvous gebeten, ohne zu ahnen, daß er Jemandes Rechte dadurch verletze. Dennoch — ich wiederhole, er benahm sich anständig! — sei er bereit, Dir jede Revanche zu geben und übernehme ausdrücklich diese Verpflichtung, aber unter einer Bedingung, zu der ihn die erwähnten Umstände berechtigten. Er sei seinem Impresario bis zum nächsten Frühjahr verpflichtet, nicht nur durch hohe Konventionalstrafe, wenn er durch eigene Schuld oder eigenen Willen dessen Interessen schädige, sondern auch durch die billige Rücksicht gegen diesen Herrn, dem er seine ganze Ausbildung verdanke, dessen ganze Existenz von seinem Leben abhänge. Er bedaure dieß, aber es sei Künstlernsance so. An demselben Tage aber, zur selben Stunde, in der er seines Kontraktes ledig, stehe er Dir zur Verfügung, an jedem Orte, wohin Du ihn laden werdest...
„Was also thun, Walbeck? Ich erklärte ihm, Deinen Willen erst einznholen, Dir aber gestehe ich: es würde mich Ueberwindung kosten... Er nahm mein Kartell mit einer Ruhe hin, als komme ich, ihn zu einem Frühstück einzuladen, und ich setze meinen Kopf zum Pfände, daß er sich Dir zur Stunde zur Verfügung stellen wird. Man sprach freilich gestern davon, daß er im Herbst eine Rundreise durch Amerika machen werde, aber er stellt sich Dir, verlaß Dich darauf!"
Walbeck hatte ihn, vor sich hinstarrend, mit verschränkten Armen angehört.
„Was Du hier bei uns thust," fuhr Oettinghaus fort, „geschieht zwar auf fremdem Boden, Du trägst Deine Uniform nicht, indeß überlege dennoch! Ein Duell mit ihm gibt einen furchtbaren Eklat! Niemand weiß bis jetzt von der Veranlassung; ich verließ die Soiree gestern erst spät; aber durch dieses Duell wird alle Welt davon erfahren. Valsado hat, wenn auch unbewußt, Deine Ehre schwer verletzt, das ist wahr, und er selber erkennt es an; geschieht nun das Duell erst später, so erhältst Du Deine Genugthuung zur Rettung Deiner Ehre vor Dir selbst, und das ist ja der Zweck desselben. Entscheide jetzt! Ich muß zu ihm zurück, denn er ist auf dem Punkt, abzureisen."
Walbeck hatte ihn mit steigender Aufregung angehört. Oettinghaus legte ihm jetzt die Hand auf die Schulter und sprach ihm Vernunft zu.