Heft 
(1885) 47
Seite
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Deutsche Noman-Bibliothek.

Wohlan, es sei! Aber ich verlange von ihm schon heute die Bestimmung von Ort und Stunde! Nur der Tod entschuldige den Fehlenden!" Jobst war aufgesprungen. Bleich, unbefriedigt schritt er im Zimmer hin und her. Oettinghaus ging.

Verleugnet hatte sie ihn also auch diesem Manne gegenüber! Und keine Genugthuung hier für die erlittene Schmach! Und wenn er morgen Abend mit ihr daheim eintraf... Ihm graute vor dem Moment. Als beneideter junger Gatte war er vor wenigen Wochen hinausgefahren, und er kehrte zurück, namenlos elend! Diejenige, der er diese unnatürliche Ehe verdankte, sie hatte sich vielleicht der Verantwortung schon entzogen, er fand sie als Leiche, und Oppen- stein, der schwache, gebrochene Mann, war fortab ein Spielzeug in den Händen dieses jungen Weibes ...

Seines Weibes? Aber sie war es nicht mehr, war es nicht gewesen! Mochte aus ihm selbst, aus seiner Familie werden, was da wolle; nur in die Hände seines Vorgesetzten wollte er zu seiner Recht­fertigung vertraulich die Wahrheit legen ... Aber auch das war ja nutzlos! Sein Abschiedsgesuch wollte er in die Hände seines Chefs geben und dann . ..

Oettinghaus kehrte zurück mit den bündigsten Erklärungen. Er schleppte seinen unglücklichen Freund mit sich und lieferte ihn erst am späten Nachmittag im Hotel ab.

Hier sagte man Jobst, die Frau Baronin sei schon am Mittag zum Nordbahnhof hinausgefahren, um ihn dort zur Abreise zu erwarten.

Niemand vermochte Auskunft zu geben, mit welchem Zuge Bettina Wien verlassen.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Einsam, mit vergrämtem Antlitz, den abgehärmten Körper in schwarzem Anzug, saß Baron Oppenstein in seinem Arbeitszimmer. Tiefe Furchen hatten sich ihm über die Wangen und um das Kinn gegraben, seine Augen waren zurückgesunken, seine Schläfen hatten gelbliche Farbe. Die mageren Hände auf den Knieen, das Kinn auf der Brust, so saß er trauernd in dem einen Flügel der Wohnung in dem andern stand die Leiche seiner Gattin ausgebahrt.

So hatte sie ihn plötzlich verlassen, für immer und nicht ganz ohne seine Schuld! Die Wochen hindurch, seit Bettina fort, hatte er ihr täglich Bitteres gesagt, es für unmöglich erklärt, daß das Kind glücklich werden könne, und ihr nicht verziehen, daß es so schnell von seiner Seite gekommen.

Ein gastrisches Unwohlsein, an dem sie seit Jahren schon litt, hatte sie Abends befallen nach dem letzten mit Heftigkeit geführten Zank, und das hatte dießmal so schnellen und bösen Verlaus genommen, daß der Arzt am Morgen das Schlimmste befürchtete.

In der dritten Nacht, als Oppensteiu, gefoltert von Selbstvorwürfen und mit dem festen Vorsatz, jeden Zank mit ihr fernerhin zu vermeiden, wenn sie ihm erhalten bleibe, an ihrem Bette saß, sie ängst­lich beobachtend, da der Arzt eine Verschlimmerung gefürchtet in dieser Nacht war Leonore aus dem Zustande fast gänzlicher Bewußtlosigkeit erwacht, in welchem sie die Krankheit erhalten.

Ihre Hand tastete suchend auf der Bettdecke; er nahm sie schonend und ries leise ihren Namen. Sie drückte seine Hand, als wolle sie ihn näher an sich ziehen, und er beugte sich über sie, in diesem Lebens­zeichen eine günstige Wendung erhoffend.

Guido!" Sie suchte die Augen zu öffnen, aber die Lider fielen wieder zu. Oppensteiu sah mit Schrecken in ihr Antlitz, über dem er schon den Schatten des Todes zu gewahren meinte. Mit An­strengung bewegte sie die trockenen Lippen.

Ich bin bei Dir!" tröstete er.

Guido," flüsterte sie, während ihre halb kalten Finger seine Hand umklammerten,ich kann nicht sterben vor Angst! Bettina hat uns, seit sie fort, keine Zeile geschrieben, ich habe viel Sorge um sie ausgestanden." Sie schwieg, sie vermochte nicht weiter...Guido," stöhnte sie, wie vom Todeskampf schon ergriffen,ich kann Dir nicht sagen. . . mir fehlen Stimme und Gedanken.. . Versprich mir. . . was auch geschehen mag ... Bettina... nie diesen ... Geiger. . . Niemals . . . Heilig sollst Du. . . es mir geloben .. . Niemals gibst Du . . . es zu!"

Ich gelobe es!" ächzte Oppenstein mit kaltem Schweiß auf der Stirn, als könne er durch dieses Gelöbniß ihr Leben erhalten. Aber Eiseskälte lief ihm aus der von der Sterbenden umklammerten Hand durch den Arm, über Brust und Nacken.Leonore!" schrie er ans. Aber sie war nicht mehr.

Ihre letzten Gedanken hatten sich mit dem Kinde beschäftigt, ihr Geist, stärker, als er je geglaubt, hatte sich im Todesringen noch einmal aufgerafft, um ihm, dessen Schwäche sie kannte, ein Versprechen ab­zufordern, und mit diesem hatte sie dann sterben können.

Erst als er sie verloren, erkannte er, was sie ihm gewesen; erst als er in seiner Verlassenheit die eigene Unselbstständigkeit empfand, sah er ein, wie unentbehrlich ihm, der ihre Erziehung stets be­mängelt, bei seinem phantastischen Wesen eine nüchterne, positiv denkende Gefährtin gewesen. Sie war eine biedere Natur ohne weiten Horizont, selbst ohne höheren Ehrgeiz; Alles, was er darüber hinaus von ihr begehrt, waren ungerechte Forderungen gewesen, die sie nicht erfüllen konnte; er sah es jetzt ein, da sie von ihm gegangen.

Weder von Bettina noch von ihrem Gatten war auf seine Depesche bis jetzt Antwort eiugetroffen. Kamen sie, waren sie unterwegs warum keine Nachricht, die ihn hätte aufrichten können?

Er, der Gatte Bettina's, war ihm kein Bedürfniß, nur sie, das Kind, dessen Nähe ihn stets mit Frühlings- athem umwehte. Wäre diese Heirath nur um wenige Wochen hinausgeschoben worden, so hätte er Grund genug gehabt, Bettina nicht von seiner Seite zu lassen; sie hätte ihm ein Ersatz für die Selige werden können; er hätte sie auch nicht mehr gequält mit seinen Lehren, denn er hatte ja eigentlich nie Ursache gehabt, über sie Zu klagen; nur die Dahingeschiedeue hatte stets an dem Kind zu tadeln gefunden und zwar grundlos denn jene erste kleine Verirrung war ja längst vergessen und selbst in der Todesstunde noch Gefahr gesehen!

So saß er also allein. Die Dienerschaft hatte