Die tolle Betty von Hans Wachenhusen.
1117
Ordre, Niemand zu ihm zu lassen; er konnte nicht sprechen, die Stimmmuskeln schmerzten ihn, seine Nerven zuckten, über seine Augen legte sich zeitweise ein Schleier, hinter welchem er die Selige zum Himmel schweben zu sehen glaubte.
Die Dunkelheit brach bereits herein. Er fürchtete diese seit dem Sterbesalle. Alle Gasflammen seiner Wohnung hätten ihm nicht so viel Helle bereiten können, wie er brauchte, damit auch der kleinste Gegenstand um ihn her keinen Schatten werfe. Er hatte sogar die Nacht bei Hellem Lichtschein geschlafen. Schatten waren ihm furchtbar seit diesem Tode, und wie dieß bei zunehmendem Alter und wachsender Gebrechlichkeit ist, seine Gedanken führten ihn zu seiner ersten Jugend zurück; er glaubte, wenn er so in sich versank, wieder im Kloster zu sein, sah die Madonnenbilder und die der schönen Büßerinnen, hörte die salbungsvolle Stimme des Bruders Lorenz und das feine, hochgeschraubte Organ des Abtes und vernahm die vollen, brausenden Töne des Harmoniums, das Rauschen der alten Ulmen, unter deren Aesten er Petrarca's Sonette gelesen.
Und dabei fuhr er wohl lächelnd aus, denn diese Erinnerungen waren ihm jetzt so süß und lieb, seit er die Außenwelt mit all' ihren Enttäuschungen kennen gelernt; seine Gedanken knüpften sich rückwärts an jene schöne, gesühlswarme Zeit; aber er schauderte in sich zusammen, wenn er um sich blickte, und — der Abend kam, leichte Schatten hefteten sich um ihn an Alles, was im Zimmer.
Er wagte nicht zu schellen, um die Ruhe der Seligen nicht zu stören. Sein Diener hätte schon kommen müssen, denn der kannte doch seine Instruktion. Er lauschte; und da war es ihm endlich, als vernehme er Stimmen in den anderen Zimmern. Auch das hatte er auf's Strengste verboten; aber augenblicklich waren sie ihm beruhigend, denn es ward dunkel und er fürchtete sich.
Da kam sein Diener. Die Thür öffnete sich. Aber er vernahm nicht die Schritte desselben, vielmehr ein Rauschen über den Teppich. Frische Abendluft wehte ihn an; er ahnte ihre Nähe wie durch magische Uebertragung; er wandte furchtsam, nervös das Antlitz und — Bettina, sein Kind, lag vor ihm auf den Knieen, das Gesicht in den Händen aus seinem Schooß bergend, während ein Schluchzen den schönen Körper erschütterte.
„Du bist da! Du bist gekommen, mein armes, theures Kind, um mit mir zu trauern über den Verlust der Unersetzlichen, die wir Beide vielleicht nicht genugsam gewürdigt!"
Er sprach mit zitternder Stimme, ihr die Hände auf das Haar legend, das er so gern gestreichelt; dann wie elektrisirt hob er ihr Antlitz aus seinem Schooß und schaute mit thränenfeuchtem Auge in das schöne, bleiche Antlitz, dessen Lider noch die dunklen Augen bedeckten.
„Du kommst Zu spät, armes Kind! Der Tod raffte sie schnell dahin! Sie verlangte nach Dir, die Du die ganze Sorge ihrer treuen, hingebenden Seele warst, und die Sehnsucht nach Dir machte ihr den Abschied vom Leben so schwer! Aber ich segne Dich, daß Du kamst, Dich, die Du fortab
mein einziges Kleinod sein wirst!... Aber was ist Dir? Du wagst nicht, zu mir auszublicken, hast kein Wort des Trostes für mich . . . Deine Hände sind heiß, Deine Pulse fiebern . . . Und wo ist erd Steht er bereits am Sarge Derjenigen, die es so wohl mit ihm gemeint, ohne mir zum Gruß seine Hand gereicht zu habend... Du wendest Dich ab! Du sprichst nicht? . . . Sag' mir, was ist geschehend Ich erwartete vergeblich von euch eine Antwort, ihr vergaßet uns auch während eurer Reise... Bettina!" rief er, ihre Hände fest und angstvoll pressend und zu sich aufziehend. „ Du zitterst!... Wo ist Dein..." Er schaute umher mit weit geöffneten Augen. „Gestehe mir: ist etwas geschehend Rede, ich beschwöre Dich!"
Bettina, das Antlitz verhüllend, wand sich zu seinen Füßen. Sie begann laut zu schluchzen, barg das Gesicht wieder in seinem Schooß und dann erst dasselbe erhebend, die Hand ans das Herz pressend und tief, mit Anstrengung nach Luft ringend, sprach sie dumpf vor sich hin:
„Ja, es ist geschehen! Ich habe ihn verlassen! Er hat mich verhöhnt, verspottet, Dich, uns Alle! Er nannte mich eine obskure Person, als habe er mich von der Straße aufgelesen, als sei ich eben nur gut genug, um seine Schulden zu bezahlen ... Es ist gesprochen!" seufzte sie, das Taschentuch vor die Stirn pressend, dann diese wie im tiefsten Schmerz senkend. „Der Augenblick, vor dem mir graute, der dieses Geständnisses, ist vorüber! Es war mir furchtbar, Dir neuen Schmerz bereiten zu sollen, aber es mußte geschehen, ob Du mir auch zürnen werdest! Mir bleibt nur ein Trost: daß sie es nicht erlebte..."
Und wieder barg sie das Antlitz, wieder schluchzte sie, bis Oppenstein den Arm um ihre Taille legte und sie auf die Stirn küßte zum Zeichen seiner Verzeihung.
„Blick' mich an, mein Kind!" flüsterte er, als solle Niemand ihn hören, ihr Kinn stützend und ihr in's Auge schauend, als sie dieß endlich erhob. „Ich zürne Dir nicht! Wer vermöchte das! Lebte die Selige noch, sie würde die Bestätigung dessen sehen, was meine feste Ueberzeugung war. Aber jetzt fasse Dich, Kind! Es steht uns morgen noch Schweres bevor! Was ihn betrifft, wird es meine Sache sein, zu untersuchen, inwieweit er es hat wagen können..."
Sie hob ihre Arme zu den seinigen und blickte flehentlich zu ihm aus.
„Du wirst ihn nicht hören! Er wird Dir die Unwahrheit sagen! Hier nimm!" Sie zog Walbeck's Brief an den Bruder aus dem Busen. „Lies, dieß wird Dir Alles bestätigen, Dich überzeugen, daß ich ihn hassen muß, daß Du ihn verachten sollst! Schwöre mir, nachdem Du gelesen, daß sein Fuß unsere Schwelle nicht berühren soll, denn Du wirst mir gestatten, bei Dir zu bleiben, nicht jene Wohnung zu betreten, die für ihn und mich..."
„Wenn ich lese, was Du mir sagtest, so sei es! Ich gestatte Niemanden, Dich zu beleidigen!" sprach er feierlich.
Bettina erhob sich. Sie hatte im Sturm erreicht, was sie geplant, und um dem Ende dieser Szene die rechte Weihe zu geben, sprach sie lant genug vor