Heft 
(1885) 47
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Die tolle Betty von

Dir wenige Wochen darans noch Anderes schreiben können!" rief der Bruder.Wir schwiegen, da Ge­schehenes nicht Zn ändern war. Weißt Dn denn, daß Deine Frau ihrer sogenannten Pflegemutter eigenes Kind, daß ihr Vater ein Bruder Oppenstein's ist, der vor Jahren unter sehr gravirenden Um­ständen die Armee verließ, nach London ging, dort unter einem andern Namen auftrat und eine gewisse Leonore Lautner heirathete, diese mit einem Kinde sitzen ließ und sie zwang, Zur Bühne zn gehen, das Kind aber hier fremden Leuten zu übergeben? Weißt Dn ferner, daß diese Lautner die Tochter eines Musiklehrers, eines, wie man sagt, sehr genialen, aber leichtsinnigen Mannes war, der, wegen Wechsel­fälschung verhaftet, sich selbst das Leben nahm und seinem in London etablirten Bruder die Sorge für seine Tochter überließ?... Wir erfuhren das Alles erst nachträglich, während Du ans der Hochzeitsreise, weil dieser Lautner in meinem jetzigen Garnisonsort gelebt hat; aber wir schonten Dich, da Dn diese Allianz einmal geschlossen, ohne vorher unseren Rath zu hören; ist diese also eine so unglückliche, wessen Schuld ist es?... Aber zum Teufel, was soll denn jetzt werden?" ri'ef er mit heißem Gesicht und auf­springend.Versöhne Dich mit ihr und mit Oppen- stein!"

Jobst schaute ihm achselzuckend nach.

Wie weit Dein Herz plötzlich geworden, das so eng urtheilte, als es sich um mein Wohl handelte! Ihr schontet mich! Erinnerst Dn Dich nicht des Spottes in Deinem Briefe? Du hofftest damals noch auf einen günstigen Ausgang des Prozesses; ich that es nicht!"

Wende Dich an ihre Mutter!"

Die ist nicht mehr! Allerdings durste Oppen­stein keine Aufforderung fühlen, euch diesen Tod anzuzeigen. Wollte Gott, sie lebte noch! Ist sie auch die Stifterin dieser unglücklichen Ehe, so achte ich doch ihr Andenken. Sie war ein wohlwollendes, gutes Wesen; selbst in dem, was Du gegen sie sprachst, finde ich keinen Vorwurf für sie; Oppenstein machte eben, wenn auch wahrscheinlich unbewußt, nur gut, was sein Bruder an ihr verschuldet. Ich sehe darin eine Konsequenz des Schicksals, das ihn trieb, des Bruders Schuld zu sühnen; unbewußt sage ich, denn ich halte ihn einer Lüge nicht für fähig."

Du thnst, als kümmere Dich unser ganzes Un­glück nicht!"

Gott weiß, was in mir vorgeht!" rief Jobst mit zitternder Stimme;und Dn, auch die Mutter, ihr solltet es mit mir empfinden! Ich habe nicht das Recht, zu sagen: ich hatte auch euer Wohl, eure Rettung vor Augen, als ich um dieses Mädchen warb; es war das eine jener Handlungen, in denen wir kurzsichtig genug unser Lebensglück erblicken. Ich tauge nicht zum Romanhelden; ich sah dieses Mädchen plötzlich in Oppenstein's Hanse, in dem ich seit Jahren verkehrte; ich fand sie schön, originell, Alles staunte sie au wie ein Geschöpf, das aus dem Rahmen der Alltäglichkeit wie ein Wunderbild herans- trat. Ihre Mutter erst gab mir den Math, sie Zu begehren, und sie ward mein, ehe ich den Mnth

Deutjche Ronian-Vibliolhck. XII. 2l.

Hans Wachen Hufen..

hatte, selbst daran zu glauben mein, so schnell, wie sie mir wieder verloren! Frage nicht, was mich zwingt, den Schmerz über diesen Verlust in mir zu bekämpfen. Vielleicht gibt die Zukunft euch Recht; in mir selbst lebt eine Ahnung davon, die mich veranlaßte, bereits meinen Abschied zu begehren. Meine Kameraden waren dagegen; heute macht Deine Hiobspost ihn unerläßlich... Hast Du mir noch mehr zu sagen?"

Jobst hatte sich mit finsterer Resignation er­hoben; verlegen um eine Antwort auf diese Frage schaute sein Bruder vor sich hin.

Und was gedenkst Du darnach zu thun?" fragte er rathlos.

Ich habe die Zuversicht, in der Ingenieurschule meinen Platz namentlich für die Maschinenkunde zu finden, für die man mich sogar suchen wird; wenn nicht, so finden meine Kenntnisse Verwendung im Civildienst, den ich vielleicht sogar vorziehen werde. Aber Du? Gestatte mir dieselbe Frage. Aus Rück­sicht für den erlauchten Oheim Deiner Frau tratest Du vor einem Jahr erst zur Kavallerie über."

Des Bruders Antlitz färbte sich hoch; er verstand den Sinn dieser Frage.

Wir haben uns also wohl Beide keinen Vor­wurf zu machen!" antwortete er schroff.

Du kamst nicht Zu diesem Zweck und mir ist ein solcher fern. Aber noch eine Frage: was wird aus der Mutter? Du kennst ihre Ansprüche! Von Seiten unserer siegreichen Verwandten ist keine Rück­sicht zu hoffen; ich habe stets vor den: Ausgang dieses Prozesses gezittert, den ihr mit so großem Vertrauen führtet... Doch laß uns heute abbrechen! Seit dieser Stunde muß ich mir mein Leben auf einer ganz neuen Basis aufbauen. Für mich wär's genug mit dem einen Schiffbrnch gewesen. Hast Du mir noch Anderes, etwa von der Mutter, zu sagen?"

Der Bruder stand da mit zusammengepreßteu Lippen, die Hand auf die Stuhllehne gestützt.

Nein!"

So sag' ihr von mir, ich sei für den Moment wohl ein armer, beklagenswerther Mensch, aber ich verschließe mich nicht dem Glauben, es sei am besten so, wie es das Schicksal gelenkt. Ich hatte die Hoffnung, selbst glücklich zn werden und der Mutter Alter sorglos zu machen; es hat nicht sein sollen, wie ich es dachte, aber vielleicht gelingt es mir anders, und so gehe ich denn unverweilt an die Gründung einer neuen Existenz... Du verzeihst!" Er reichte dem Bruder die Hand.Du findest mich zu Hause, wenn Du das Bedürfniß fühlen solltest..."

Der Letztere ging mit finsterer Miene. Die ge­ringe Sympathie, welche durch Ungleichheit der Charaktere zwischen beiden Brüdern existirte, hatte dieß Wiedersehen nicht fördern können. Walbeck stand sich sammelnd da, als sein Bursche ihm einen jungen Mann meldete, der um diese Stunde bestellt zu sein behaupte.

Ganz recht! Führe ihn in mein Arbeitszimmer!" Die Arme gekreuzt, schaute er vor sich.So sind sie Beide, auch die Mutter! Als ihr feindlicher Vetter gestorben, erwartete ich, daß Dagobert, sein

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