Heft 
(1885) 47
Seite
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Die tolle Setty von Hans Wachenhusen.

Die schwarze Robe, die sie am Abend abgelegt, hing über dem Stuhl; sie Zog die Hand zurück, die sich darnach ausgestreckt.

Immer schwarz und wieder schwarz! Mir friert das Herz!" Sie hüllte sich in ihr Weißes Neglige und that die Kassette in ihr Taschentuch.Ich möchte lieber schlafen; ich bin todmüde!"

Durch die dunklen Gemächer schwebend, erreichte sie Oppenstein's Schlasgemach. Der barmherzige Bruder erhob sich und gab ihr Raum am Bette.

Er verlangt dringend nach Ihnen!" flüsterte er.

Bettina gab ihm einen Wink, sie mit dem Kranken allein zu lassen. Sie selbst wolle wachen, er möge wieder gehen; man bedürfe seiner nicht mehr. Dann dicht an das Bett tretend, schaute sie in das bleiche gelbe Antlitz.

Oppenstein schien ihre Nähe zu empfinden; er öffnete die glanzlosen Augen und streckte die Hand nach ihr ans. Bettina berührte dieselbe mit Ueber- windung, denn sie war kalt und zitternd.

Bleib' Du bei mir!" bat er.Ich fürchte mich vor dem fremden Mann! Ich fühle mich besser! Wir wollen reisen! Vielleicht heute noch!"

Er hatte sich mühsam aufgerichtet, blickte so bange und scheu um sich und klammerte sich an sie. Dieses halbe Priestergewand des Barmherzigen, als er, gegen Morgen zu sich kommend, es bemerkte, hatte ihn an­fangs erschreckt, dann ihm wieder Erinnerungen an seine Klosterjugend geweckt. Er hatte die Ulmen wieder über sich rauschen gehört, hatte sich mit dem Bruder Lorenz in die Welt hinausziehen und dann auch den barmherzigen Bruder vor seinem Bette ge­sehen, wie er in Paris nach langer Krankheit zum Bewußtsein zurückgekehrt; dann endlich erbrach er in seinen Phantasieen den Brief seines unglücklichen Bruders, der ihn um Hülfe anflehte, und sah das kleine Bild desselben unter den Briefen Leonorens...

In seiner Angst hatte er nach Bettina verlangt, und wie sie vor ihm stand, fühlte er sich beruhigt. Nur sein Kopf schmerzte, seine Nerven waren im traurigsten Zustand.

Ob es denn noch immer nicht Tag werde! Die Nacht sei so entsetzlich lang!" fragte er so flehentlich, als sie das Antlitz abwandte.

Ich bin müde! Todmüde!" Die Spannung ihrer Nerven war in der That in eine gänzliche Er­schlaffung übergegangen. Sie entzog ihm die Hand; mit herabhängenden Armen und gesenktem Haupt stand sie neben dem Bette.

So ruhe Dich aus... dort auf dem Divan!" bat er.Ich bedarf ja keines Wächters! Mir ist besser! Nur in meiner Nähe möcht' ich Dich haben!"

Sie sank neben seinem Lager auf den Stuhl, ihr Kinn fiel auf die Brust; die Augen halb schließend, die Hände im Schooß, blickte sie mit trauernder Miene vor sich.

Ich möchte fort von hier!" flüsterte sie.Weit fort! Es ist so unheimlich hier!" Ihre Hand preßte sich auf die Brust, um die innere Unruhe zu bändigen.

Du hast ja Zu bestimmen! Dieser kleine An­sall gestern war gar nicht der Rede Werth! Ich will mit dem Arzt ein vernünftiges Wort sprechen. Er hat die Sache viel schlimmer angesehen, als sie

war . .. Die Papiere gestern Abend ..." Er­schien sich derselben erst jetzt zu erinnern und blickte verlegen znm Tisch.Du hast die Papiere..."

Ich verschloß sie in der Kassette, als ich sie fand!"

Du lasest... sie nicht?"

Bettina schüttelte schweigend und überdrüssig das Haupt und lehnte dasselbe zurück.

Sie enthielten auch nichts Wesentliches . .. Nein, gar nichts derart! . . . Leonore besaß ein ruhiges, den Stürmen unnahbares Gemüth . . . Die Lektüre regte mich nur auf. Du wirst mir den Schlüssel der Kassette geben." Prüfend und heimlich beobachtete er Bettina's Profil; er sah sie in dumpfem Hinträumen, aber beunruhigend war ihm trotzdem die heftige Bewegung ihrer Brust. Seit Leonore nicht mehr war, fehlte ihm ein vertrantes Wesen, das ihm half zu verstehen, was in diesem so ungewöhnlichen jungen Weibe Vorgehen könne, und das machte ihn ängstlich, erregte in ihm das Verlangen, ihr in Allem entgegenzukommen.

Der Tag kam inzwischen herauf. Oppenstein erkannte deutlicher, als es die matte Nachtlampe ge­stattet, Bettina's Züge. Er richtete sich auf. Beider Blicke begegneten sich jetzt. Er erschrak vor dem ihrigen, aber er verstand ihn nicht. Der Schirm des Nachtlichts hatte das Bett geschützt, jetzt beleuchtete der Morgenschimmer sein ansgerichtetes Antlitz.

Stirbt er denn nicht?" fragte Bettina's kaltes Auge, in seine Züge starrend. Sie schüttelte sich wie im Morgenschauer.

Ich fühle mich merklich besser!" sagte er, sie tröstend.Ich wollte, der Arzt ließe mich in Ruhe. Sobald es hell geworden, will ich anfstehen. Laß uns inzwischen plaudern. Du bist betrübt! Du solltest Dich nicht verstimmen lassen."

Bettina schüttelte das Haupt.

Wie ich Dich so ansehe, Kind, ist es mir, als habest Du noch einen besondern Kummer ans dem Herzen. Bin ich Deines Vertrauens etwa nicht Werth? Siehst Du nicht, daß ich Alles thne, um Dich glücklich zu machen?"

Abermals dieselbe stumme Bewegung. Er legte bittend seine Hand auf die ihrige.

Schütte mir Dein Herz aus! Sei überzeugt, ich bin zu Allem bereit, was Du begehren kannst."

Du warst es nie!" Ihr Ton klang rauh und trotzig.Wärest Du es gewesen,' ich würde glücklich sein!" Bettina sah ein, daß sie noch mit dem Leben­den zu rechnen habe.

Oppenstein erschrak; sie entzog ihm ihre Hand.

Bettina!" ries er vorwurfsvoll.

Wer hat mich diesem Walbeck in die Arme ge­liefert! Wer anders als ihr!"

Bettina, Du lästerst die Verklärte! Sie meinte es gut mit Dir! Sie sagte mir wiederholt, Du müssest mit Gewalt von dem überzeugt werden, was Dein Glück sei!"

Habe ich etwa diese Ueberzeugung gefunden? Ueberzeugtest Du selbst Dich nicht von dem Unrecht, das ihr an mir begangen, als ihr..." Sie preßte die Hände vor die Stirn und seufzte.

Aber um Gottes willen, Kind!" Oppenstein