Heft 
(1885) 48
Seite
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Siele des Lebens von W. Serger.

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nun sieht der Sanguiniker schon seine Zukunft als gesichert an und sein Kind in Batist und Spitzen. Hoffentlich wird etwas daraus, damit meine Großnichte ihr Recht bekommt!

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Ueber Arthur habe ich von einem Bekannten gehört, der in New-Orleans gewesen ist. Kalt wie Eis, unnahbar wie eine Klippe im brandenden Ozean nennt ihn Jener. Und das mein Sohn? Kann denn der Mensch durch Versetzung so sehr aus der Art schlagen? Es ist kaum glaublich. Was die Jugend an Bildung empfangen hat, kann nicht ver­loren gehen; es muß sich entwickeln, früher oder später. Arthur kalt wie Eis! So war er nie. Unnahbar! Arthur, der mit Jedem verkehrte, der alles ihm Zugetragene lebendig ergriff und mit ab­sonderlichen Gedanken umspann, der weit zugäng­licher sich zeigte, als mir recht war! Es muß ein Jrrthum sein.

*

Unruhige Zeiten! Ueberall entzünden sich Kriege. Aus der kurzen Aera der Revolutionen hat sich un- vermuthet eine Aera der Eroberungen entwickelt. Ueberall verschieben sich die Grenzen der Staaten; unter Kanonendonner wächst Gleichartiges zusammen. Wieder ist Macht das Loosungswort geworden wie vor ein paar Menschenaltern. Dabei hebt sich der Verkehr in wunderbarer Weise; die neuesten Erfindungen haben in Handel und Wandel ein Drängen und Treiben hervorgerufen, als ob Geld und Geldeswerth von Jedem zu Haschen sei, der nur tüchtig mitznlaufen versteht. Ich kann's nicht mit- machen; ich bin zu alt und ungelenk geworden; dennoch kann ich nicht hindern, daß ich bisweilen vom Strom mit fortgerissen werde. Dann möchte auch ich von dem Dampf und der Elektrizität etwas profitiren. Meist geräth's übel; mit altmodischen Begriffen läßt sich der Geist einer neuen Zeit nicht zwingen. Wenn doch Arthur neben mir stände! Was kann ihm das fremde Land bieten, das er nicht auch hier haben könnte?

Die Tapetenfabrik in Lüttich hat Bankerott ge­macht; Holder ist außer Arbeit. Er sei stark ver­wildert, berichtet mir ein zuverlässiger Gewährsmann; er soll sich dem Trunk ergeben haben. Und noch immer hat er das Kind bei sich! Das geht nicht länger an; Meta's Tochter muß gerettet werden. Bei Friederike Hab' ich meine Nachrichten angebracht; sie indessen ist seltsam gelassen und thut so, als ob ihr die Existenz der kleinen Klara ganz aus dem Gedächtnisse gekommen sei. Doch weicht sie mir aus, so viel sie kann. Es ist, als ob sie sich vorgenommen hätte, alles Gemüse, dessen sie habhaft werden kann, in Büchsen einzusetzen. Damit beschäftigt sie sich den ganzen Tag und geht unmittelbar aus der Küche zu Bett.

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Es hat mir keine Ruhe gelassen; von ihren Töpfen weg habe ich Friederike geholt und die Sache Zur Sprache gebracht. Da ist denn herausgekommen, was ich kaum für möglich gehalten hätte: sie ist

bange gewesen, ich werde den Vorschlag machen, ihre Enkelin zu uns zu nehmen. Und sie fürchtet sich vor dem unschuldigen Wesen; es ist ihr ein leben­diger Vorwurf; sie will sich's uni jeden Preis aus den Augen halten, will gar nicht daran erinnert sein, daß es da ist. Freilich lag mir jener Vor­schlag im Sinn; jetzt muß ich versuchen, passende Pflegeeltern für die kleine Klara zu ermitteln. Einst­weilen will ich mich mit Holder in Verbindung setzen; er wird froh fein, wenn ihm die Last abgenommen wird.

Antwort von Holder. Und welche! Er weigert sich auf das Entschiedenste, sich von seinem Kinde zu trennen. Er sei vollauf im Stande, für dasselbe zu sorgen, und verbittet sich jede Einmischung in seine Privatangelegenheiten. Wahrscheinlich hat er wieder eine Anstellung gefunden und ist nun oben­auf. Was sollte ich machen? Ich habe ihm zurück­geschrieben, er möge sich noch einmal besinnen; wir seien jederzeit, jetzt und später, bereit, uns des Kindes anzunehmen. Damit wird die Frage zur Ruhe ge­kommen sein. Friederike scheint seelenvergnügt dar­über; nachdem sie, so lange Holder's Antwort aus­stand, die nothwendigsten Besorgungen und Besuche aufgeschoben, ist sie jetzt zu Hause kaum noch anzu- treffen. Mich berührt diese Wendung peinlich; ich merke, daß ich im Geheimen dennoch gehofft habe, das kleine Wesen auf einem Umwege in mein Haus zu bringen, in dieß melancholische Haus, worin zwei alternde Leute so rührend bemüht sind, ihren Kum­mer vor einander zu verstecken, ohne daß es gelingen will.

Arthur ist nach New-2)ork übergesiedelt und als Kompagnon in eine große amerikanische Firma ein­getreten. Das ist meine heutige Hiobspost.Auch Dein Kind ist Dir verloren," hat sich Friederike nicht enthalten können, mir zu sagen. Es war fast, als ob sie sich darüber freute. Verloren! Nein, noch nicht; ich kann's, ich will's nicht glauben. Aber eine Reihe von einsam zu verlebenden Jahren liegt vor mir; darüber täusche ich mich nicht. Und das Eine kommt zum Andern. In der Geschäftswelt braut ein böses Wetter. Wir Alten mögen Wohl znsehen, daß wir flott und in Fahrt bleiben; für uns gibt's kein neues Schiff mehr, wenn das alte strandet oder leck wird!

Der Sturm ist da. Junge und alte Stämme

stürzen. Die Sorge wacht mit mir auf und be­

gleitet mich Zu Bett. Auch meine Wurzeln fangen an zu reißen. Noch mach' ich mich steif und laß

es um mich brausen. Doch was ist schließlich daran

gelegen, wenn das Hans Ueberweg zu Boden fällt? Es ist eins mehr: das ist Alles. Verlumpen werde ich darum nicht. Und doch dars's nicht sein; so lang ich's verhüten kann, darf's nicht sein. Nicht wegen der Ehre vor den Menschen; die hat in der Noth von selbst ein Ende; aber Gott will, daß wir ausharren in allem guten und rechtmäßigen Beginnen mit der Kraft, die er uns gegeben hat. Seine Wege sind nicht unsere Wege; aber die seinigen müssen