Heft 
(1885) 48
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Deutsche Noman-Sibliothek.

wir gehen, wenn wir an seiner Herrlichkeit Theil haben wollen. Und Arthur ich kann ihn noch nicht Zu den Tobten Wersen. Wer weiß, was mit ihm geschieht, eh' ich sterbe? Ob das Dach, welches ich mich mühe, über meinem Kopfe zu halten, nicht doch dermaleinst das seinige sein wird? Vorwärts denn! An den Krieger will ich denken, der ein Feldzeichen zu behaupten hat; er hält es hoch, so lange er die Arme heben kann.

Die Bilanzen bessern sich; ich spüre wieder festen Boden unter den Füßen. Nun wahrlich, es war auch Zeit; lange hätt' ich's nicht mehr ausgehalten. Der Kampf hat mich mitgenommen; jetzt, da er vor­über ist, fühle ich mich müde, wie ich nie gewesen bin; ich möchte mich irgendwo ausstrecken und die Sonne über mir auf- und niedergehen lassen, ohne ein Glied zu rühren, ohne zu denken. Friederike füttert mich, als wenn ich eben eine schwere Krankheit überstanden hätte; sie muß bemerkt haben, daß ich nicht mehr der Alte bin. Wahrscheinlich hat auch sie den Arzt veranlaßt, mir einen unmotivirten Besuch zu machen, den er einen freundschaftlichen nannte. Er rieth mir, im Sommer ein Bad Zn besuchen oder, besser noch, mich an einem vor Nordwinden geschützten Orte Mitteldeutschlands einige Wochen still aufzu­halten. Ich glaube, sein Rath ist gut; verläuft im Geschäfte Alles, wie es jetzt den Anschein hat, so werde ich mich frei machen können; Hermann Klaus mag mich vertreten; er ist zuverlässig und treu.

Am Siebengebirge hatte ich mich eingenistet. Meine ersten Ferien, seit ich mit Arthur durch Thüringen streifte! Es müssen mir unbemerkt andere Augen gewachsen sein. Wie schön es auf der Erde ist, empfand ich zum ersten Mal in meinem Leben. Und überall voll von den Wundern Gottes. Das treibende Blatt, die schwellenden Blütenknospen, plötz­lich aufbrechend wie zu einer freundlichen Ueber- raschung, die reisenden Früchte, aus verborgenen Stoffen verschiedenartiges, köstliches Arom langsam bereitend: wie viele der tiefsten Geheimnisse liegen in all' diesen Vorgängen! Ich wunderte und sah und staunte. Und daran bin ich so lange achtlos vorübergegangen! Dabei der Ausblick von den Bergen: der prächtige Strom in lachender Landschaft und Abends am Himmel darüber eine Malerei, als ob es der liebe Gott darauf abgesehen hätte, seinen Kindern einen Vorgeschmack von den Herrlichkeiten Zu geben, die sie dereinst mit neuen Sinnen wahr­nehmen werden. Zuerst wollt' es mit dem Steigen nicht recht; das Athmen machte mir Schwierigkeit. Nach acht Tagen schon ging's besser; ich verjüngte mich; die Höhen schreckten mich nicht mehr. Da wurde ich nach Hause gerufen; Friederike war schwer­krank geworden. Während am Rhein die Sonne milde hernieder schien, hatte an unserer Küste ein arges Unwetter gehaust, Schneetreiben bei heftigen: Nord- osiwiud. Die Vorsichtigen hielten die Fenster ge­schloffen, heizten ein und lagen still, der Rückkunft des verscheuchten Frühlings wartend; die Unvor­

sichtigen aber, zu denen meine Schwester gehörte, richteten sich nach dem Kalender und altem Brauche, sperrten auf, was Angeln hat, und hielten Haus­putze. Dabei haben denn in Nässe und Zug Frie- derikens Lungen etwas wegbekommen. Der Arzt macht ein ernstes Gesicht; ich soll mich auf das Schlimmste gefaßt machen, will er mir durch seine Mienen sagen. Nun ja, gefaßt bin ich; weiß ich doch, daß der Tod mit den Alten am leichtesten fertig wird.

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Friederike sei auf der Besserung, behauptet der Arzt. Sie selbst ist anderer Meinung. Heute auf einmal äußerte sie ein Verlangen, ihre Enkelin zu sehen. Das ist mir ein bedenkliches Zeichen. Kranke, die dasjenige herbeisehnen, was sie in gesunden Tagen mit allen Kräften von sich abgewehrt haben, stehen gemeiniglich vor der letzten Katastrophe. Ich tele- graphirte an Holder; die Depesche kam als unbestell­bar zurück. Sehr erklärlich. Seit Jahren haben wir uns nicht mehr um den Sausewind bekümmert, und Leute seines Schlages sind unstät und finden nirgendwo auf Erden eine bleibende Stätte. Seit ich Friederike Mittheilung gemacht habe von der Fruchtlosigkeit meines Versuchs, Holder zu erreichen, liegt sie unheimlich still, mit geschloffenen Augen. Gott allein weiß, was in ihr vorgeht!

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Sie hat geendet. Gestern Abend saß ich an ihrem Bette; die Wärterin hatte sich entfernt. Die Kranke schien zu schlummern. Allerlei Trübes aus alten Zeiten ging mir durch den Kopf: wie sich die Sterbende nie hatte rathen lassen ihr Leben lang, wie sie immer mit steifem Nacken einher­gegangen war durch Glück und Unglück. Ich dachte an ihre Heirath mit Bugenhagen, an diese unselige Heirath an das jähe Ende des glänzen­den Haushalts mit dem Tode des vornehmen Schwind­lers an ihren Einzug unter mein Dach mit ihrem zarten Kinde ihr herbes, verschlossenes Wesen gegenüber Jung und Alt keinem Menschen hat sie jemals ihr Herz geöffnet; niemals hat sie sich soweit vergessen, eine intime Aeußerung zu thun. Während diese wenig erquicklichen Bilder an mir vorüberzogen, ergriff die vermeintlich Schlafende plötz­lich mit energischem Druck meine Hand. Mit einem triumphirenden Ausdruck sah sie mich an.Wir gehen Beide kinderlos davon, Konstantin," sagte sie. Auch Du wirst es in Deiner letzten Stunde nicht besser haben wie ich jetzt." Es waren ihre letzten Worte. Herr des Himmels, vergib ihr!

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Wieder ist einer meiner Abgesandten von Arthur mit lieblosen Worten zurückgewiesen worden. Wenn ich sie doch nie erfahren hätte, diese Worte! Aber mein guter Freund hat's nicht über sich gewinnen können, sie bei sich zu behalten; für einige Menschen ist die Mittheilung unangenehmer Nachrichten ein wahrer Genuß. Ich möge mir einen Pfleger miethen, wenn ich alt und gebrechlich sei: so lautete einer der kindlichen Rathschläge, die er mir hat ertheilen lassen.