Ziele -es Lebens von W. öerger.
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Sehr wohl. Noch bin ich Beides nicht; aber es mag an der Zeit sein, daß ich mich für das rüste, was nicht ausbleiben kann, nicht lange mehr ausbleiben wird. Auch ist's entsetzlich öde in meinem Hause nach Friederikens Tode; Nachts gehen allerlei Schatten darin um uud beseufzen den armen Mann, der einsam zu Grabe wallt. — Klara Holder ist sechzehn Jahre alt jetzt; wenn sie nach ihrer Mutter geartet ist, so könnte sie in ihrer frischen Jugend mir eine liebe Gesellschafterin werden. Kennen lernen müßte ich sie freilich erst; Gott weiß, welche Erziehung das Mädchen gehabt hat. Ich sollte sie aussuchen; die letzte Spur von Holder führt wieder nach Lüttich.
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Diese Reise hatte mir der liebe Gott eingegeben, und nur mit seiner merklichen Hülfe hat sie ein gutes Ende genommen. Holder, stark ergraut an einigen Stellen des haarreichen Kopfes, mit aufgedunsenem Gesicht, bis auf die noch immer lebhaft funkelnden Augen in Allem Zu seinem Nachtheil verändert, trat mir äußerst verlegen entgegen, als ich ihn am Sonntag Morgen in seiner Wohnung überraschte. Die Einrichtung des Häusleins war anständig; sogar einige Luxusgegenstände fanden sich vor, die der Ausstattung einen künstlerischen Anstrich geben sollten; aber Alles stand unordentlich durcheinander, und Möbel wie Geräthe sahen verwahrlost und verkommen aus. Ich bekam einen Schrecken. Wenn Klara diesem Haushalt Vorstand, so paßte sie nicht für den meinigen. Aber nein, Klara war gar nicht im Hause anwesend; sie befinde sich seit mehreren Jahren in einer Pension, gestand Holder nach einigem Zögern aus meine Frage. Wo? Er gab mir keine Antwort. Ich bemerkte im Zimmer einige Gegenstände, die zur Toilette einer Frau gehörten. Ob er wieder verheirathet sei? Er verneinte halb lachend und schielte nach einer Seitenthür. Mir wurde etwas unheimlich in dieser verdächtigen Wirtschaft; ich war darauf bedacht, mich schleunigst zu expediren. Ich erbat mir direkt Klara's Adresse; Holder verweigerte sie mir. Ich machte ihm begreiflich, daß ich ein Recht habe, ihren Aufenthaltsort zu erfahren, da ich als Verwalter ihres kleinen Vermögens mit ihr in Beziehung zu treten habe. Er überlegte einige Augenblicke, indem er aufgeregt an seinem Taschentuch zupfte; dann erklärte er heftig, daß weder er noch seine Tochter mit der Hinterlassenschaft Frie- derikeus etwas zu thun haben wollten, und begann die Verstorbene zu schmähen. Ich drohte, Klara durch die Gerichte suchen zu lassen. Das brachte ihn noch mehr auf; der verrückte Mensch wies mir die Thüre. Als ich gegangen war, huschte auf der Hallsflur ein schwarzäugiges Frauenzimmer zu mir heran. „Holder ist ein Narr!" flüsterte sie mir in französischer Sprache zu, lebhaft gestikulirend. „Das Mädchen ist in Aachen im Institut der Madame Neugebauer. Wenn Sie es sehen, werden Sie schon erfahren, weßhalb er's vor seinen Verwandten verbirgt. Das arme Kind! Ein Mann wie er, so ungeduldig, so aufbrausend, Kindermädchen spielen — das konnte nicht gut gehen." Das Geschöpf hörte Holder's Tritte im Wohnzimmer und ver
schwand, eine Wolke von Lavendelduft zurücklassend. Draußen schüttelte ich mich unwillkürlich und hätte mir am liebsten sogleich die Kleider klopfen und lüften lassen. Aber es war keine Zeit dazu; der nächste Zug nach Aachen ging in einer halben Stunde, und ich war, nach den Andeutungen der verdächtigen Person in Holder's Hause, erpicht darauf, so bald als möglich Klara's Bekanntschaft zu machen. Und es war nur gut, daß ich's so eilig hatte. Die würdige Madame Neugebauer war im Begriff, Klara nach Hause zu schicken, weil sie an zwei Quartalstagen kein Pensionsgeld für dieselbe empfangen hatte. Das arme Mädchen! Sie flog zu mir, dem unbekannten alten Onkel, in ihrer Herzensangst, als ob ich vom Himmel zu ihrer Errettung gesandt sei; nur zu gut wußte sie, was zu Hause ihrer wartete. Empörend! Und nun verstand ich auch, was Holder's — Hausgenossin sich genirte, mir mit dürren Worten zu sagen. Klara ist etwas verwachsen; der Vater hat sie im zartesten Alter vom Arme zu Boden fallen lassen. So vermuthete ich, und Klara hat mir seitdem, wenn auch mit sichtlichem Widerstreben, die Richtigkeit dieser Vermuthung bestätigt. Deßhalb also Holder's frühere Weigerung, uns das Kind zur Erziehung zu überantworten; deßhalb auch jetzt noch sein Bemühen, mich von ihm fern zu halten. Die Scham war's, das böse Gewissen — o dieser — Ich machte meiner Entrüstung Luft gegen Klara. „Bitte, schelten Sie ihn nicht gar zu hart," bat sie mit ihrer sanften Stimme. „Er hat beständig Sorgen gehabt, so lange ich denken kann, und es wird ihm so unendlich schwer, Entbehrungen zu ertragen. Wenn ihm einmal vorübergehend das Glück zulächelte, war er der beste, liebevollste Vater." Da mußte ich denn schon schweigen. Es ist wirklich jammerschade um das Mädchen! Sonst blüht sie wie eine junge Rose von edler Art; sie hat die blaugrauen, eigen- thümlich glänzenden Augen ihrer Mutter, vom Vater nichts als die etwas ausgewölbte Stirn.
Selbstverständlich war's, daß Klara sofort mit mir ging. Ich setzte Holder davon mit einigen Worten in Kenntniß und schloß die Quittung der Madame Neugebauer über das rückständige Pensionsgeld bei. Heute kam ein reumüthiger Brief von ihm; er klagt sich an, ein Unmensch gewesen zu sein, und dankt mir für die Schonung, daß ich ihm dieß nicht geradezu gesagt habe. Ich mag diesen winselnden Ton der Selbstverachtung, diese überschwengliche Zerknirschung nicht leiden. Es ist Beides nicht echt. Im Grunde freut sich der Lump, daß nun Alles heraus ist, und denkt, er sei wunder wie glimpflich dabei weggekommen, weil er nicht fühlt, daß mein Stillschweigen ihn härter verurtheilt als die stärkste Strafpredigt, die ich ihm hätte halten können.
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Mein alter Husten hat sich wieder eingestellt. Auf Klara's inständiges Bitten habe ich den Arzt konsultirt. Gegen derartige Nebel müsse mau sofort etwas thun, meinte meine häusliche Vorsehung. Uud so trinke ich denn geduldig große Kannen voll von Aufguß aus isländischem Moos, den mir Klara bereitet und über dessen Verbleib sie mit Argusaugen