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Deutsche Noman-Sibliothek.
wacht. Auch sage ich ihr jeden Morgen, mein Husten sei besser, und mache ihr eine Freude damit; in Wirklichkeit aber hat das abscheulich schmeckende Zeug nicht im mindesten geholfen. Zum Glück schläft sie weit von mir entfernt, daß sie das Gebell nicht hört, wodurch ich mich selbst aufwecke.
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Auf die Dauer habe ich's doch nicht verbergen können, daß mein chronischer Katarrh, wie der Arzt mein Leiden nennt, trotz des isländischen Mooses wächst und gedeiht. Klara hat hinter meinem Rücken mit dem Doktor konspirirt; ich soll im Mai wieder nach Honnef. Drollig ist's, wenn die Kleine mir gegenüber eine mütterlich besorgte Miene annimmt. Es ist ihre fixe Idee, daß ich nicht genug für meine Gesundheit thue; wenn draußen ein rauher Wind bläst, möchte sie mir am liebsten das Ausgehen verbieten. Das liebe, gute Kind! Sie selbst ist gesund und munter wie ein Fisch im Wasser; nur wird sie hin und wieder von Kopfschmerzen geplagt und versteckt sich einen Tag im dunklen Zimmer vor mir und aller Welt.
Es war schön am Rhein, weit schöner noch als bei meinem ersten Besuch. Mit dem Bergsteigen allerdings haperte es bis an's Ende. Ich bin nicht verdrießlich darüber gewesen. Gerade wenn ich still- stand oder mich am Wege niedersetzte, hatte ich die beste Augenweide. Dann sprang Klara davon, in die Wiesen, in den Wald und sammelte für mich die prächtigsten Sträuße. Kein Mensch fand solche Blumen wie sie, und von allen wußte sie obendrein die Namen, die kleine Gelehrte. Und immer war sie dieselbe: freundlich-ernst, heiter, gesprächig, sichtlich zufrieden und glücklich. Zu den bunten Mädchenschmetterlingen, die in und um Honnef ans allen Wegen umherflatterten, gesellte sie sich nicht. Sie gehört nun einmal nicht zu ihnen, und daß sie's nicht thut, schmerzt mich zuweilen. Sie aber empfindet nicht, was sie von Jenen trennt. Waren wir von unseren Spaziergängen heimgekehrt, dann saß sie zwischen uns älteren Leuten, in ihrem dunkelfarbigen, einfachen Kleide, horchte auf die Reden, die wir führten, und strahlte uns abwechselnd mit ihren Hellen Augen an, als ob wir die interessantesten Dinge zu Tage förderten. Sie machte unser Publikum aus; fand sie etwas zu fragen, so entstand ein allgemeiner Wetteifer, ihr zu antworten. Amüsant war's zu beobachten. Und sie that eigentlich nichts, um sich beliebt zu machen, als daß sie sich gab, wie sie ist.
Winter! Barometer und Thermometer spielen eine große Rolle in meinem täglichen Leben. So ändern sich die Zeiten. Als ich ein Knabe war — ich erinnere mich noch ganz gut — war mir das Wetter ein ziemlich gleichgültiger Gegenstand; der Mutter ängstliche Sorge um meine Kleidung, wenn der Wind einmal direkt vom Nordpol herblies, war mir unverständlich. Jetzt schütz' ich mich, als wenn die Lust Gift wäre. Abends muß ich das Haus hüten; meine gewohnte Partie l'Hombre habe ich
aufgeben müssen. Auch das Rauchen ist mir untersagt worden. Ich wundere mich nur, daß ich dieß Alles verhältnißmäßig leicht entbehren kann. Mit weiser Absicht hat's der liebe Gott Wohl so eingerichtet, daß mit zunehmendem Alter die irdischen Dinge eins nach dem andern den Werth für uns verlieren. Es soll am Ende nichts mehr übrig bleiben, dem zu entsagen uns Schmerzen macht.
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Wie die Monate fliegen! In meiner Jugend lauerte ich um diese Jahreszeit mit fast fieberhafter Ungeduld auf die ersten Staare, und wenn sie endlich kamen, war mir's, als hätte sich ein Ereiguiß von ungeheurer Wichtigkeit vor meinen Augen zugetragen. Jetzt halten sie alle nacheinander ihren Einzug in die nordischen Brutstätten: die Staare, die Störche, die Schwalben; ich sehe nichts davon und ihr Erscheinen bedeutet mir nichts mehr. Erst wenn der Mai gekommen ist, wird sich mein Ge- fängniß öffnen, und ich kann einmal zuhorchen, ob die Nachtigall noch immer an derselben Stelle schlägt. Sondermann besucht mich fleißig — der Letzte, von dem ich solche Aufopferung erwarten konnte, da ich ihm nie Gutes gethan habe, noch auch thun konnte, da er nichts von all' dem bedarf, was ich ihm geben könnte. Gern höre ich dem gelehrten Mann zu; er läßt mich in die Natur Hineinblicken, deren Leben und Weben er kennt wie kein Anderer. Manche Wunderlichkeit niuß ich in den Kauf nehmen; auch verstehe ich ihn nicht immer; doch aber wird mir immer hoch und andächtig zu Muth, weun er mir den innern Zusammenhang in dem Wunderwerke der Schöpfung aufzeigt und Alles so nahe wie möglich auf das Ewige Zurückführt.
Auch für uns Beide allein haben wir an den langen Winterabenden Studien getrieben, Klara und ich. Viel Gutes und Schönes hat sie mir vorgelesen, meist aus Schriften, deren Verfasser schon längst zur Ruhe eingegangen sind. Besonders wohlthuend wirkten auf mich die Gedanken Derjenigen, welche in sich zum Frieden gekommen waren. Es brauchte gar nicht Friede einerlei Art Zu sein. Sogar an der starken, vornehmen Denkweise der alten römischen Stoiker, an welcher alle Uebel dieser Welt abgleiten, habe ich mich herzlich erfreut. Doch in meinem Glauben an einen liebenden himmlischen Vater bin ich nicht erschüttert worden. Zuweilen allerdings muß ich ringen, um nicht irre zu werden in dem Vertrauen, daß mir die göttliche Liebe immerdar zugewandt gewesen ist. An meinen einzigen Sohn denke ich, der mir verloren ist, und es will mir nicht klar werden, weßhalb mir dieses Kreuz auferlegt ist.
Lange haben diese Blätter geruht. Was hätte ich auch noch Werthvolles aufzuzeichnen! Das Beste, was ich noch erlebe, erlebe ich innerlich, und das ist schwer in Worte zu fassen. Nur wie von ferne berührt mich, was um mich her vorgeht. Doch erfreue ich mich, so viel ich als Abreisender kann, an der