Heft 
(1885) 48
Seite
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Siele des Lebens von W. Berger.

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Neugestaltung meines Vaterlandes. Es ist Alles anders gekommen, als dazumal in der wirren Zeit von Achtundvierzig die Schwärmer sich einbildeten, daß es kommen müsse; doch denke ich, auch Arthur könnte in dem neuen deutschen Hause behaglich wohnen. Der Jüngling wollte zerstören; der Mann sollte aus­bauen helfen.

Morgen reise ich mit Klara nach Mentone. Noch immer nennt der rücksichtsvolle Arzt meine Krank­heit einen chronischen Katarrh und versucht mir ein- Zureden, in der berühmten Naturheilanstalt an der Küste des mittelländischen Meeres werde derselbe hinweggesonnt werden. Ich weiß es besser. Patienten wie ich finden erst dann Genesung, wenn sie in's himmlische Paradies abrücken. Gerne will ich mir aber als letzte Erdenstation das Paradies von Men­tone gefallen lassen. Gott sei Dank, ich brauche nicht einsam Zu sterben. Er hat mir einen Engel zugesandt, der die letzten Jahre meines Lebens wunder­sam erhellt und verklärt hat. Und Klara wenigstens wird den alten Mann im Herzen behalten, der red­lich versucht hat, ihr zu sein, was nur der Vater dem geliebtesten seiner Kinder sein kann.

Drittes Kapitel.

Die Bucht des Briedens.

Endlich, endlich hatte die offene Kutsche, welche Arthur in Marseille genommen, den Punkt an der Küste erreicht, von wo die prächtige Straße sich hinabsenkt in die grüne Bucht von Mentone.

Sausend fuhr der Wagen zu Thal. Von Mar­seille aus hatte Arthur zuletzt an seinen Vater tele- graphirt; er war im Stande gewesen, Ziemlich genau die Stunde seiner Ankunft in Mentone anzngeben. Jetzt spähte er die Landstraße hinab; unter den Spaziergängern, die ihm entgegenkamen, suchte er einen Greis, gestützt von einem blühenden Mädchen. Aber unter allen Gestalten, die auftauchten und rasch hinter Arthur verschwanden, befanden sich die ersehnten nicht. Vielleicht, meinte Arthur, seien sie am Rande eines jener Olivenhaine zu finden, die sich jetzt bis hart an den Weg zogen. Sie waren wohl zu früh ausgegangen und hatten Rast im Schatten gemacht. Doch kein weißes Tuch wehte dem Ungeduldigen aus dem dunklen Grün entgegen.

Immer tiefer senkte sich die Straße; lustig schnalzte der Vetturin und klatschte mit der Peitsche. Die Pferde griffen aus, als ob sie einen Korsopreis zu gewinnen hätten. Nun stießen die Räder auf die großen Pflastersteine von Mentone; wie ein Schiff ans See schwankte der Wagen dicht an den Häusern hin. Unmöglich konnte hier die Begegnung statt­finden. Arthur lehnte sich zurück; Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, daß der Tod rascher gewesen sein könne als er; daß der Vater, dem der verlorene Sohn den Abschied vom Leben erleichtern wollte, am Ende bereits den ewigen Frieden gefunden hatte. Wieder fuhr er empor und ries dem Vetturin eine Frage nach der Nähe des Zieles zu; bei dem Ge­rassel des Wagens verstand der Italiener ihn nicht. Endlich verloren sich links und rechts die fenster­

armen, ungefügen Häuser; vor Arthur, unweit des Meeres, zog sich eine Reihe von stattlichen Gebäuden hin. Der Vetturin wies mit der Peitsche gerade­aus.Hotel de la Paix," sagte er grinsend.

Der Wagen hielt; vorher schon hatte Arthur den Schlag geöffnet; nun sprang er hinaus und ließ forschend die Augen umherschweifen, während sein Herz heftig zu pochen begann. Bedienstete des Hotels schleuderten aus dem Portal und empfingen ihn mit höflicher Gelassenheit. An den ersten Besten richtete Arthur ungestüm die Frage, wo Herr Ueberweg sei. Der Mensch sah ihn an, besann sich einen Augen­blick und zuckte dann die Achseln.Unter unseren Gästen befindet sich kein Herr dieses Namens," ant­wortete er.

Arthur murmelte eine Verwünschung und eilte in's Vestibül, laut nach dem Wirthe rufend. Wäh­rend die Kellner den ungebärdigen Ankömmling ver­wundert anstarrten, trat aus einer Seitenthür eine junge Dame, ganz in Schwarz gekleidet. Einen Augenblick ruhten die grauen Augen der Trauernden zweifelnd auf Arthur; dann sagte sie mit leiser Stimme:Treten Sie hier herein, Herr Vetter."

Noch eine letzte Hoffnung flackerte in Arthur auf, als er, Klara's Aufforderung folgend, über die Thürschwelle schritt. Ein einziger Blick zerstörte auch diese; das Zimmer war leer.

Zu spät! Also doch zu spät!" rief er aus, warf sich in einen Sessel und begrub das Gesicht in den Händen.

Als er sich gefaßt hatte, sah er Klara in seiner Nähe am Fenster sitzen, halb abgewandt von ihm. Sie weinte still vor sich hin; sie konnte weinen, die Glückliche! Er, der weit größeres Leid trug als sie, dessen auflodernder Schmerz brannte wie fressendes Feuer er hatte keine Thränen.

Wann ist mein Vater gestorben?" forschte Arthur. Hat er noch vernommen, daß ich unterwegs war? Doch was frage ich? Habe ich doch soeben erfahren, daß die Kellner des Hotels sich schon seines Namens nicht mehr erinnern! Sagen Sie mir, Cousine: wie lange Zeit gebrauchen die Leute hier insgemein, um einen gestorbenen Fremden zu vergessen?"

Von den Todten spricht man hier nicht gerne," entgegnete Klara schmerzlich.Rasch und verstohlen räumt man die störenden Leichen aus dem Pfade der Lebenden. Die Kranken, noch immer auf Ge­nesung Hoffenden dürfen nicht daran erinnert werden, daß der Tod auch in diesen gesegneten Fluren um­geht. Sogar die Anwesenheit Leidtragender ist un­erwünscht; daß ich hier im schwarzen Kleide umher­gehe, hat Anstoß erregt. Ich konnte den empfind­samen Seelen nicht den Gefallen thun, abzureisen, da ich Sie erwarten mußte; aber gezeigt habe ich mich so wenig als möglich. Doch lassen wir dieß Thema ruhen. Sie werden den Ort sehen wollen, wo wir Ihren Vater bestattet haben; ich bin bereit, Sie dorthin zu führen, und werde Ihnen unterwegs Bericht geben über Alles, was Sie zu wissen wünschen."

Arthur's Depesche war einige Stunden nach dem Ableben seines Vaters angekommen.

Wie ein Narr stehe ich vor diesem Grabhügel!" rief Arthur auf dem Friedhose aus.Was soll ich