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Deutsche Roman-Bibliothek.
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hier? Vierzehn Tage lang jage ich über die Erde wie ein Gehetzter, um schließlich zu lernen, daß ich ruhig hätte zu Hanse bleiben können!"
Klara glaubte in diesen Worten einen Vorwurf zu hören. „Ich habe Ihnen die Todesnachricht sofort telegraphirt," entschuldigte sie sich.
„Das Telegramm wird uneröffnet auf meinem Schreibtisch in New-Aork liegen, Kind, und warten, bis der Adressat von seiner zwecklosen Irrfahrt zurückkehrt. Hätten Sie doch Ihren Brief ungeschrieben gelassen!"
Das Mädchen erröthete tief. Das allerdings hatte sie nicht erwartet, nicht erwarten können, daß Derjenige, um dessenwillen sie diesen Brief ihrer jungfräulichen Schüchternheit abgerungen hatte, sie dafür noch ausschelten würde!
„Beinahe möcht' ich's selbst wünschen," antwortete sie etwas empfindlich.
„Nicht Ihnen, Cousine, galt die Wallung des Unmuths, der ich soeben Ansdruck gab. Sie haben gethan, was Sie nicht lassen konnten, und wahrlich mehr, als ich von einer Seele auf dem ganzen Erdenrund erwarten durfte." Er reichte ihr die Hand. „Ich danke Ihnen, von Herzen danke ich Ihnen. Und doch — ich will's Ihnen nur gestehen — und doch befand ich mich wohler, ehe mich Ihr Weck- und Mahnruf ausstörte."
„Sie müssen sich schon näher erklären, wenn ich Sie verstehen soll," sagte Klara freimüthig.
Nachdenklich blickte Arthur erst auf die verdorrten Kränze zu seinen Füßen, dann in Klara's fragende Augen.
„Sollten Sie noch nicht wissen, Cousine Klara," begann er endlich, „daß Blindheit zuweilen Segen ist? Daß es nicht wohlgethan ist, gleich mit dem Operationsmesser in jedes Auge zu fahren, worin der Staar wuchert?"
„Meine Lebenserfahrung ist nicht weit her," er- wiederte Klara. „Es ist möglich, daß Sie Recht haben."
Ohne der Antwort Acht zu haben, fuhr Arthur fort: „In Arbeit lebte ich für mich hin; die Vergangenheit focht mich nicht an und die Zukunft war mir ein gleichgültiges Nichts. Dieß Alles ist durch Ihren Brief anders geworden. Aus dem Winkel haben Sie mich gerissen, worin ich mich cingesponnen hatte; gezwungen haben Sie mich, alles Erlebte bei neuem Lichte zu prüfen und, was das Schlimmste ist, Wünsche sind während des Müßiggangs der letzten vierzehn Tage in mir lebendig geworden, die kein Gott mehr erfüllen kann."
Sinnend schwieg Arthur. „Was kommende Tage bringen werden," mahnte Klara nach einer Weile zaghaft, „soll Niemand sich vermessen, Voraussagen zu wollen."
„Wenn nur das Grab dort nicht wäre!" rief Arthur aus, noch immer nur mit seinen Gedanken beschäftigt. „An das Leben Desjenigen, der darin ruht, von uns auf ewig geschieden, knüpften alle Pläne an, die in mir anfschossen. Hätte er nur einen einzigen Tag hier mit mir geathmet. Alles wäre anders! Jetzt muß ich mich bemühen, in mein altes Selbst zurückzuschlüpfm. Wenn's nur angeht!
Aber ich kann nicht wieder weiß sehen, was ich einmal als schwarz erkannt habe!"
„Ich bedaure Sie, Vetter Arthur," sagte Klara.
„Aber helfen können Sie mir nicht. Es gibt Lagen, in denen man so allein ist, als wäre man mitten in der Wüste. Nun wohl," fuhr Arthur mit verändertem Tone fort, „getragen muß werden, was nicht zu ändern ist: diese Erwägung ist immer der widrige Schluß aller Ueberlegung. Kommen Sie, Cousine; wir sind hier oben fertig, und auch dort unten können wir bald erledigt haben, was uns noch zu thun obliegt. Ich will ein Monument für diese Grabstätte bestellen — dann aber möchte ich eilends hinweg aus diesem geschmückten Stück Natur, das sich bemüht, in den Menschen den Wahn zu erzeugen, es könne wirklich einmal auf dieser Erde das Paradies seine Stelle gehabt haben! Fahren wir nach Norden, morgen schon, wenn's Ihnen recht ist. Am liebsten freilich flöge ich sofort auf demselben Wege zurück, den ich soeben gekommen bin, und enthielte mich aller persönlichen Einwirkung auf die Veränderungen, welche dieser Todesfall nach sich ziehen wird; aber es ist mir, als ob ich's nicht dürfte, schon um der Menschen willen, als wenn mir obläge, für den Willen und die Wünsche des Verstorbenen einzutreten; es ist das Einzige, das Letzte, was ich noch zu seinem Gedächtnis; thun kann."
Abends, als Arthur sich mit Klara der Gesellschaft im Speisesaal anschloß, erfuhr er, daß sein Vater doch nicht von Allen bereits vergessen war. Die Mitglieder des engeren Kreises, dem Konstantin Ueberweg angehört hatte, suchten des Sohnes Bekanntschaft und redeten mit Antheil von dem Todten. Mitten unter ihnen sei er entschlummert, berichteten sie, wie ein müdes Kind, dem aus einmal, mitten im Spiel und Plaudern, nach einer kleinen Stille die Augen zufallen. Klara's Lob hörte Arthur von allen Seiten; ein rührend inniges Verhältniß habe zwischen ihr und dem Großoheim bestanden.
Zum ersten Mal betrachtete Arthur sein Büschen jetzt mit Aufmerksamkeit. Vor ihr stand der graubärtige italienische Doktor, derselbe, der seinen Vater behandelt hatte, lebhaft sprechend und gestikulirend. Aufmerksam zuhörend, hielt Klara ihr Gesicht zu dem Redenden emporgewandt, lieber der freien, klaren Stirne lag dichtes, aschblondes Haar und verlief in krausen Wellchen zu einem kunstlos geschlungenen, schweren Knoten. Die schmalen, etwas blassen Lippen waren leicht geöffnet, hellblau lagen die Augen unter langen, dunklen Wimpern. Nun antwortete sie; ihre Züge belebten sich; in ihren Augensternen schimmerte es auf, als wenn aus dem Grunde eines Wassers plötzlich Helle Lichter brächen. Arthur mußte sich gestehen, seine einzige Verwandte sei ein hübsches Mädchen. Schade nur, meinte er, daß die Natur so rücksichtslos gewesen war, die Linien der zarten Gestalt Zu verzeichnen! Schade, daß sein anmuthiges Büschen nicht nach demselben nntadelhaften Körpermodell geformt war wie die beiden Engländerinnen, die hinter ihrem Stuhle standen und mit aufgesperrten Augen sich mühten, einige Worte von der rasch hinströmenden Unterhaltung in der fremden Sprache auszufangen!