Heft 
(1885) 48
Seite
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Ziele des Lebens von W. Berger.

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Der Gedanke, daß dieß der letzte Abend sei, den sie an derBucht des Friedens" zubrachte, legte sich im Laufe des Abends immer schwerer auf Klara's Seele. Vielen lieben Menschen war sie nahe ge­treten, von denen sie Abschied nehmen mußte, wahr­scheinlich auf Nimmerwiedersehen. Und auch die Frage drängte sich ihr aus, was denn nun demnächst aus ihr werden solle, wenn ihr neuer Beschützer den Rückweg zu seiner Heimat jenseits des Ozeans an­getreten habe. In dem Hause ihres Vaters war keine Stätte für sie; mit den Verwandten desselben, die zerstreut in kleinen Orten Deutschlands wohnten, hatte sie nie in Verbindung gestanden.

Eine unruhige, fast schlaflose Nacht verlebte das vereinsamte Mädchen. Früh am Morgen schon fuhr der Wagen vor, der die Reisegefährten nach Genua bringen sollte. Ungeduldig schwang sich Arthur hinein und wartete aus seine Cousine. Er sah, wie Klara von einer Menge fremden Volks umdrängt wurde, wie die Frauen sie umarmten und küßten, die Männer nach ihrer schmalen Hand haschten. Endlich kletterte sie zu ihm, und nun regneten Blumen und Früchte zu ihnen in einer Pracht und Fülle, wie sie Aus­gangs Februar in Europa nur die Riviera di Ponente zu bieten vermag. Die Pferde zogen an; hinter den Scheidenden erscholl in fünf Sprachen ein tröstliches, hoffnungsvolles:Aus Wiedersehen!" Tücher wehten; bergaufwärts wand sich der Wagen; die Szene wechselte der Abschied war vorüber.

Arthur athmete aus; er empfand es als eine Erlösung, daß er wieder in Bewegung war. Träu­merisch, in Schauen versunken, blickte Klara ostwärts ans die schlnchtenreichen Ausläufer der Seealpen, welche, schroff abfallend, die Küste markiren, und von dort hinaus auf das Meer, das in seinem Kleide von Azurblau mit schmaler weißer Spitzen­garnitur an: Saume sich wohlig sonnte. Weit in der Ferne, dort, wo die Gipfel der korsikanischen Berge die gerade Linie des Horizonts unterbrachen, zeichnete der Schornstein eines Dampfers einen langen schwärzlichen Strich aus den lichten Hintergrund.

Der häßliche Rauchstreisen!" rief Klara aus.

Arthur folgte der Richtung ihres Blicks und lächelte.

Etwas sarkastisch erwiederte er:Es muß wohl Frauenart sein, alle sichtbaren Dinge Zunächst in schöne und häßliche einzutheilen."

Und was möchte dagegen wohl Männerart feind" gab Klara zurück, verletzt durch den Ton des Retters.

Wir Männer," eutgegnete Arthur gleichmüthig, halten unfern Sinn vorzugsweise aus das Praktische gerichtet. Werth hat für uns nur, was nützlich ist. Und deßhalb ist mir jener Streifen von Kohlenrauch, der Ihr ästhetisches Gefühl beleidigt, Cousine, die interessanteste Stelle in dem Panorama, das sich uns von dieser vortrefflichen Straße aus erschließt."

Wirklich d" fragte Klara und sah forschend den Vetter an, ob er im Ernst rede.

Wirklich," bekräftigte Arthur.Mir bringt jener Rauchstreis aus höchst erfreuliche Weise in Er­innerung, daß außerhalb dieses Schlaraffenlandes die Arbeit im Dienste des Fortschritts thätig bleibt."

Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 2i.

Wied Glauben Sie etwa, hier werde nicht gearbeitet d "

Gewiß nicht mehr, als unbedingt uöthig ist."

Und wenn auch! Ist denn die Arbeit Zweck des Daseins d"

Arthur antwortete nicht aus diese Frage; er deutete hinab aus ein Städtchen, das in der nächsten Klippenfalte an den Hängen klebte.Sehen Sie nur jenes Nest," sagte er,wie malerisch es daliegt inmitten des breiten Kranzes von Grün, der von den Olivenwäldern hier oben abgerutscht sein könnte!"

Ich kenne den Ort ganz gut; Roccabronna heißt er."

Es wird nicht anders darin aussehen als in den übrigen Ortschaften an der Küste zwischen Nizza und hier. Ich habe gestern einige davon durch­fahren. Ein amerikanischer Arbeiter würde in keinem derselben ein Hans finden, worin er wohnen möchte."

So anspruchsvoll ist man bei Ihnen?"

Wer keine Bedürfnisse hat, gehört nicht in unser Jahrhundert. Tausend und abertausend Gehirne brüten täglich über neuen Erfindungen, durch welche Arbeitskraft frei wird; überall wächst mit der steigen­den Kultur das Maß des nothwendigen Comforts. Nur hier nicht. Seit der Urväter Zeiten vegetirt hier eine Generation wie die andere. Wie mir scheint, besitzt jede Familie in diesen Siebenschläfer­städtchen ein paar Steinwürse weit von ihrer kahlen, unsaubern Wohnung eine Anzahl Bäume, die aus einen freundlichen Zuruf so viele Orangen, Citronen, oder was es sonst sein mag, in die ausgespreizten Schürzen schütten, daß der Erlös Zur Stillung des mäßigen Hungers hinreicht. Die wenigen Handwerker arbeiten mit Geräthen, die noch ans der alten Römer- zeit stammen. Und dabei ist die Brut bis zum Bettler hinab so guter Dinge, als wenn Jeder bis zu seinem Lebensende eine sichere tägliche Rente von mindestens zwanzig Lire hätte!"

Klara lächelte über den Ton der Entrüstung, worin der amerikanische Vetter das Ergebniß seiner oberflächlichen Beobachtungen vortrug.

Wahrlich mit Unrecht schelten Sie das niedere Volk hier," 'sagte sie warm.Die Leute sind nüch­tern und fleißig, genügsam und fröhlichen Herzens. Daß sie mit Pietät an der ererbten Scholle, an den einfachen Sitten ihrer Väter hängen, daraus sollte ihnen kein Billigdenkender einen Vorwurf machen. Es besitzt eben nicht jede Nation die Bildsamkeit, sich amerikanisiren zu lassen."

Sie werden bitter, Cousine!"

Nicht mit Absicht. Aber ich gehöre zu Jenen, die von der Richtung durchaus nicht erbaut sind, welche die geistige Arbeit in unseren Tagen ge­nommen hat. Ich bin der Ansicht, daß die Bildung des Herzens, die Pflege der feinen Anlagen des Gemüths über Gebühr vernachlässigt werde. Ich fürchte, die Fähigkeit zur liebevollen Vertiefung in fremde Art wird sich allmälig ganz aus den Men­schen verlieren."

Mit stiller Verwunderung sah Arthur sein jugend­liches Väschen an, in dessen Kopfe solch' seltsame Ansichten spukten. Aber durch die Ankunft des

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