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Deutsche Noman-Bibliothek.
Wagens vor der italienischen Dogana wurde das Gespräch unterbrochen. Im Laufe der nächsten Tage freilich trat die Verschiedenheit der beiderseitigen Lebensanschaunngen wiederholt auf das Schärfste hervor; ja, es fand sich selten eine Materie, die eine verschiedene Beurtheilnng zuließ, über welche die Verwandten nicht beinahe entgegengesetzter Meinung gewesen wären.
„Wenn ich Sie reden höre," rief Arthur in Genua unmuthig aus, als er mit Klara nach einem Streifzuge durch die Stadt zum Bahnhofe fuhr, „wenn ich Sie reden höre, ist es mir zuweilen, als sei ich auf einem andern Planeten geboren und erzogen! Ich verstehe Sie nicht, und Ihnen wird es mit mir nicht besser ergehen. Was ich schätze, lassen Sie nicht gelten; hinwiederum kann ich meist nicht loben, was Sie zu preisen nicht müde werden. Mein Interesse ist der Thätigkeit der lebendigen Menschen zugewandt, ihren Werken, den Formen ihres Verkehrs; ich sehe, was geleistet werden könnte und nicht geleistet wird; ich bemerke alte Vorurtheile in hemmender Wirksamkeit, falsche Ziele aufgesteckt und zu vernünftigen Zwecken Aufwendung der kleinlichsten, lächerlichsten Mittel, und — ärgere mich über die selbstgenügsame Dummheit meiner Nebenkreaturen. Sie dagegen, Verehrteste, ergötzen sich an Männern, Weibern und Kindern, sobald sie nur recht braun und frech aussehen und ein paar bunte Lumpen umhängen haben, und ob sie arbeiten, betteln oder stehlen, ist Ihnen gleichgültig. Außerdem erfreut sich nur noch alles Alte eines wohlwollenden Blicks aus Ihren aufmerksamen Augen, Alles, was aus früheren dunklen Jahrhunderten sich in das unsrige gerettet hat und der vergangenen Zeiten Beschränktheit, Wahn und Dünkel verkündigt: alte, thurmhohe Paläste an meterbreiten Gassen, in denen die Herrschaft unter dem Dache wohnen muß, wenn sie sehen und athmen will; Kirchen, die nach Moder duften, worin Wechselfieber und Rheumatismus auf unvorsichtige Neugierige lauern; schmutzige Bilder von obskuren Märtyrern oder häßlichen Vorfahren ausgestorbener Geschlechter. Wie zwei Wesen verschiedener Art ziehen wir neben einander hin; Sie gewahren eine Welt, die für mich nicht vorhanden ist, und
was mich in derjenigen fesselt, die ich sehe, scheint Ihnen ernsthafter Beachtung nicht Werth."
„Sie gehören einem souveränen Volk an, Vetter- Arthur," versetzte Klara lächelnd, „und sind gewohnt, an dem Bestehenden Kritik zu üben. Außerdem stehen Sie als Mann mitten im praktischen Leben, und daher ist Ihr Sinn auf dasjenige gerichtet, was die Menschen treiben, um sich anständig durch's Leben zu schlagen. Ich aber bin nur ein Mädchen. Tadelnswerthes aufzuspüren ziemt sich nicht für mein Geschlecht. Wir Frauen sind berufen, die vorhandenen Uebel schweigend zu lindern, vor Allem aber, der guten Keime uns anzunehmen und sie mit Liebe weiterzubilden."
„Es ist ein sehr beschränktes Feld, das Sie Ihrer Thätigkeit anweisen, Cousine!"
„Je nachdem, Herr Vetter. Allerdings haben wir Frauen nur Einfluß, soweit unser Herz reicht, und verlieren uns selbst, sobald wir versuchen, uns jenseits dieser Grenze geltend Zu machen. Dafür steht aber auch die Domäne des Herzens direkt unter himmlischer Verwaltung, und die Arbeiterinnen daraus irren nicht."
„Ein bedeutsames Wort, zumal da es an mich gerichtet ist."
Klara erröthete. „Ans allgemeinen Sätzen können vielerlei Nutzanwendungen gezogen werden," entgegnen sie.
„Gewiß. Und Jeder macht diejenige, die auf ihn paßt."
Verstimmt sah Arthur aus dem Wageufenster und schwieg eine Weile. „Die europäische Lust gefällt mir nicht," sagte er endlich. „Es ist etwas darin, was mich irritirt. Nun: in zwei Tagen werden wir, so hoffe ich, an unserem Ziele angelangt sein, und ich werde daun arbeiten wie eine Dampfmaschine unter Hochdruck, um so bald als möglich loszukommen. Ich fürchte, den Leuten da oben im Norden, in der alten, schläfrigen Stadt, wird der Verkehr mit mir wenig Freude machen. Was noch von Wein in mir war, ist in Essig umgeschlageu; ich bin grämlich und reizbar geworden, quäle mich selbst und quäle Andere. Nicht wahr, Cousine?"
Ehe Klara antworten konnte, hielt der Wagen vor dem Bahnhofe. (Fortsetzung folgt.)
Aus der neuen deutschen Lyrik.
Der einsame See.
wo Gletscherhöhen starren ohne Bahn Dem Firmament des chimmels schroff entgegen,
Da hat ein See, wildeinsam hoch gelegen,
Sein schwarzes Auge traurig ausgethan.
Der dunklen Wasserfläche naht kein Schwan,
Und nichts Lebend'ges will das Ufer hegen;
Doch kommt die Nacht mit ihrem Sternensegen,
Dann gleitet durch die Flut des Mondes Rahn.
Don Alax Aalbeck.
So weiß ich auch ein kserz, umringt von Schrecken, Der blüh'nden Welt, dem frohen Leben ferne,
In Traurigkeit unnahbar und allein;
Zwar vor den Menschen kann es sich verstecken, Doch wachen über ihm die ew'gen Sterne,
Und der barmherz'ge Simmel blickt hinein.
(Aus: „Deutscher Dichterwald". Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags-Anstalt.)