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Deutsche Roman-Sibliothck.
„Aber sie ist ja da! Lola könnte mir beistehen! Ich wußte, ich werde ihrer bedürfen. . . Aber nur jetzt nicht! Ich will's versuchen!... Ich war thöricht, ihm Zn sagen!... Sterben wird er ja doch! Er, der unglückliche Mann, kann mir kein Hinderniß mehr sein; er mag ja immerhin sein Versprechen halten, so viel an ihm liegt; er würde auch zu schwach sein, mir Zu Zürnen, wenn ich . . . Es soll jedenfalls Niemand zu ihm, auch Lola nicht; es braucht Niemand zu wissen, was zwischen ihm und mir noch Vorgehen könnte..."
Um Jahre schien sie gealtert, wie sie, wieder zurückversinkend in finsteres Grübeln, sich in der Ecke des Sophas mit über den Knieen gefalteten Händen zusammenkauerte und mit halb geschlossenen Angen vor sich hinstarrte. Fröstelnd schauerte sie in sich; sie barg das Antlitz seitwärts aus der weichen Lehne und blieb so minutenlang regungslos; dann die Stirn wieder aufrichtend, das über dieselbe gesunkene Haar zurückstreichend, suchten ihre Gedanken da anzuknüpfen, wo sie im Wirbel ihrer Empfindungen abgelenkt.
„Und wenn er stirbt!" Ihre Lippen, farblos und nervös bebend, flüsterten die Worte, während ihre Augen sich weiteten. „Mir graut!" Sie schüttelte sich vor innerem Frost. „Er verlangte ja nach mir! Er soll mir aber nicht mehr von ihr sprechen, denn ich habe sie wirklich schon gehaßt, dieß unerbittliche Weib, das an Allem schuld!"
Der Arzt hatte am Nachmittag Bettina pflichtschuldig im Zimmer des Kranken gefunden. Als er ihr seine Unzufriedenheit mit dem Zustande desselben angedeutet, hatte sie schweigend die Achsel gezuckt. Er war gegangen, nachdem er neue Verordnungen getroffen und vorsichtige Reichung der neuen Arznei empfohlen.
Oppenstein lag mit der Entsagung eines Märtyrers aus seinem Bette. Es war wenig zwischen ihnen gesprochen worden. Bettina saß am Fenster und las, aber ihre Gedanken waren fern.
„Bettina," begann er, als es Abend ward und die Dunkelheit ihn ihr gegenüber ermuthigte, „ich habe den ganzen Tag hindurch mich mit Dir beschäftigt, nach der Möglichkeit gesucht, Deine Wünsche mit meinem Gelöbniß in Einklang zu bringen; ich fand sie nicht."
Er gewahrte nicht, wie Bettina leise zusammenzuckte und scheinbar lesend die Augen mit der Hand beschattete. Sie hatte gewartet, daß er in der Angelegenheit noch einmal sprechen und ihrem Verlangen nachgeben werde.
„Ein Wort, einem Sterbenden gegeben, ist heiliger und unverbrüchlicher als jedes andere. Es ist wie ein Sakrament, das die scheidende Seele aus ihrer Hülle erlösen hilft, und darf wie dieses keine Unwahrheit sein. Ich würde mich gegen Gott selbst versündigen, wenn ich es bräche."
Bettina's Stirn sank tiefer in die Hand.
„Du bist jung, Bettina; ich behauptete stets, Du seist noch zu jung, um zu heirathen; Du hast Zeit, und Dein Herz, das eben erst zu empfinden be
gonnen, wird sich läutern und kräftigen, wenn Deine Liebe wirklich eine dauernde ist; es wird heiligeren und edleren Gefühlen Raum geben, wenn sie dieß nicht ist. Ich, Bettina, weiß ja, daß ich nur noch wenige Jahre zu leben haben werde. Bin ich nicht mehr und liebst Du dann diesen Mann noch mit derselben Hingebung, so wird mein Wort Dir nicht mehr hinderlich sein, Du wirst glücklich werden, auch ohne daß ich dieses Vündniß vor meinem Hingang segnen darf. Ich sprach heute mit dem Arzt: er gab mir noch fünf Jahre, wenn ich mich schone" — Bettina erzitterte, sie barg das Antlitz. — „Ich hänge nicht am Leben, seit sie mich verlassen, nur um Deinetwillen möcht' ich diese Frist noch haben! Du wirst dann in der vollen Blüte Deines Geistes und Deiner Schönheit sein. . . Sag' mir, Bettina, daß ich Recht habe, daß Du meinem Rathe folgen willst; er kommt aus dem besten Vaterherzen."
Seine Brust schien erleichtert, als er gesprochen; halb anfgerichtet schaute er ans sie. Aber Bettina schwieg; ihre Stirn ruhte noch in ihrer Hand.
„Bettina, hörtest Du nicht?" fragte er lauter.
Wie aus einem Halbschlnmmer erwachend, richtete sie die Stirn auf und blickte in's Zimmer.
„Es dunkelt! Der Diener vergißt das Licht!" sagte sie dastehend und seinen Blick vermeidend. Es fröstelte sie.
„Wie bleich Du bist! Du opferst Dich um meinetwillen! Auch Du wirst Dich krank machen. Laß lieber den barmherzigen Bruder zurückholcn; ich war thöricht, ihn von nur Zu weisen. . . Hörtest Du nicht, Bettina, was ich Dir vorhin sagte? Wenn ich sterbe, kannst Du ja Deinem Herzen folgen; mich bindet einmal dieses unverletzbare Gelöbniß; aber Du verzeihst mir Wohl, wenn ich um Deinetwillen noch leben möchte; es ergeht mir wie jenem alten griechischen Weisen, der da sagte, er sei nur auf der Welt, um die Sonne zu bewundern... Du bist ja meine Sonne! . . . Aber laß den Barmherzigen rufen und gönne Dir Ruhe; Du bist entsetzlich bleich; Deine Augen blicken so hohl! Ich fürchte mich, Dich anzusehen, denn ich mache mir Vorwürfe. Der Barmherzige kann mir ja die neue Arznei reichen, die der Arzt verschrieben; weiter bedarf ich ja nichts."
Der Diener trat ein. Er brachte das Nachtlicht und das neue Medikament. Betroffen durch den Anblick Bettina's stand er da. Sie nahm ihm Beides ab, gab ihm einen Wink, sich zu entfernen, und wandte sich zum Tisch. Hier blieb sie, als der Diener hinaus war.
„Da Dir der Barmherzige nicht angenehm," sagte sie, ohne ihre Stellung zu ändern, mit matter Stimme, „habe ich Fräulein Goldmann, Du kennst sie ja, gebeten, mir behülflich zu sein. Sie ist in meinem Zimmer; wird es Dir recht sein, wenn sie mich zur Nacht für einige Stunden abköst? Ich möchte ansruhen."
„O gewiß! Sie ist ja ein liebenswürdiges Mädchen! Leonore hatte zwar Manches gegen sie, aber sie that ihr Unrecht."
„Ich werde sie rufen; sie soll Dir stündlich die Arznei reichen."