Heft 
(1885) 48
Seite
1142
Einzelbild herunterladen

1142

Deutsche Nornan-Oibtiothek.

zu haben! Was können Sie zu Ihrer Entschuldigung erwiedern?"

Lola war bei den letzten Worten bewußtlos auf dem Teppich zusammengesunken.

Bettina hatte ihn angehört, ohne eine Muskel in ihrem Antlitz zu bewegen; nur dieß war bleicher noch und finsterer geworden; ihre Augen hafteten, wie sie dasaß mit im Schooß gefalteten Händen, vor sich auf der Bettdecke. Erst als der Arzt dem Diener den Wink gegeben, sich zu entfernen, bewegten sich ihre farblosen Lippen.

Ich habe Ihnen nichts zu erwiedern, Herr Doktor!" sprach sie, den Arm erhebend und die Weiße, blutlose Hand an die Stirn führend.Er selbst verlangte die Entfernung des Wärters; ich sollte Tag und Nacht an seinem Bette sein; aber ich bin ja müde, sterbensmüde; mein armes Gehirn ist zu schwach zum Denken..."

Mit einem Seufzer sank sie auf das Kissen zurück und schloß die Augen.

Doktor Gundlach stand da, sich selber keinen Rath wissend. Er schaute auf Bettina, die ihre Stirn mit den Armen bedeckte, er blickte auf Lola, die bewußtlos, das Antlitz auf dem Teppich, am Boden lag.

Mit Weibern zieht man freilich immer den Kürzern! Aber ein Mord bleibt es dennoch, und ich werde thun, was meine Pflicht gebietet!" brummte er empört, und bereuend, daß ihn seine Entrüstung zu so nutzlosem Schritt getrieben, entfernte er sich.

In dem Vorgemach des Sterbezimmers erwartete ihn der Diener mit dem Licht in der Hand und verstörtem Antlitz.

Herr Doktor, ich bitte um Gehör für ein Wort!" flüsterte er.Der Tod meines unglücklichen Herrn kann nicht mit richtigen Dingen zugegangen sein; ich habe es mir überlegt. Dieses junge Mädchen . . ."

Was wissen Sie von ihr?"

Die junge gnädige Frau war viel zu harmlos und vertrauend gegen sie, aber ich durste ja nicht warnen. Schon einmal kam ich ungerecht in Ver­dacht durch sie; ich sagte Ihnen ja schon von dem Gelde, das sich nicht wieder gefunden. Ich kann darauf schwören, daß sie in dem Zimmer drüben gewesen, aus dem es verschwand."

Weiter!"

Sie ist von schlechter Familie! Der Vater, ein verschwenderischer^lüderlicher Geschäftsmann, wird wegen falschen Bankerotts gerichtlich verfolgt; die Familie steckt in tiefster Armnth; man hat ihr Alles abgepfändet. Sie wissen ja, wie solche Leute plötz­lich Herabkommen und dann zu Allem fähig sind, weil sie die Noth nicht ertragen können."

Weiter!"

Das Mädchen war verschwunden, sie sollte mit einer gemeinen Theaterbande umhergezogen sein. Heut Morgen fand sie sich zu meinem Aerger wieder ein und die junge gnädige Frau nahm sie auch wieder auf, wahrscheinlich um nicht so ganz allein zu sein."

Weiter also!" Der Doktor ward ungeduldig.

Die junge Frau Baronin war sicher schon zu ermattet durch das Wachen, der selige Herr wollte ja niemanden Anderes bei sich dulden; Sie wissen,

daß er auch den Barmherzigen weggeschickt hat. Wahrscheinlich hat sie sich nun der jungen gnädigen Frau erboten, die Wache für die Nacht zu über­nehmen, und da hat sie sicher versucht, den Kranken zu betäuben, um in der Nacht werthvolle Sachen und Geld seine Brieftasche lag auf dem Nacht­tisch und er zählte nie sein Geld zu sich zu stecken, ich will nicht sagen, ihn zu tödten... Jeden­falls sollte man sie untersuchen, denn einen Zweck muß sie doch gehabt haben."

Es wird nirgendwo so viel gestohlen wie vor den Augen, die sich nicht wieder aufthun! Sorgen Sie dafür, daß das Mädchen nicht die Wohnung verläßt! Ich mache mit Tagesanbruch meine An­zeige!" Der Doktor trat in das Sterbezimmer. Zufrieden folgte ihm der Diener, dem Lola ein Dorn im Auge, feit er durch sie in Verdacht gekommen.

Das Portefeuille war von dem Nachttische des Todten verschwunden.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

In der tiefen Stille des von den Kandelabern taghell erleuchteten Zimmers erwachte Lola. Drei Uhr schlug es eben vom Thurme. Sie lauschte, ihr war's, als hämmere jeder Schlag in ihrem Gehirn. So lange hatte sie in todesähnlicher Erstarrung ge­legen.

Was geschehen, stand vor ihr; sie sah den unglück­lichen Mann, wie er sich, ohne zu klagen, mit von Schmerzen verzerrtem Antlitz im Bette aufrichtete, umherschaute mit den Augen eines Geistes, einen Namen rufen wollte, aber auf das Kissen zusammen- sank, und als sie zu ihm eilte, sich Zur Wand drehte und lautlos verschied.

Und ihr, die so gewissenhaft gethan, was ihr aufgetragen, ihr hatte dieser entsetzliche Mann, der Arzt, einen Vorwurf gemacht, vor dem das Blut in ihren Adern erstarrt war!

Sie richtete sich auf ihre Kniee, blickte mit weit und voll Grauen geöffneten Augen umher, erzitterte beim Knistern der Wachslichter, lauschte in der Todes­stille und gewahrte Bettina, wie diese vor dem Bette kniete, die Arme auf dasselbe stützend, die gefalteten Hände hob und mit zur Decke gehobenen Augen vor sich hinflüsterte.

Lola fürchtete sich vor ihr, die in einem Zustande der Exaltation, einer knieenden Marmorstatue ähnlich, mit dem bleichen Gesicht, dem Weißen Nachtgewande, die Lippen bewegte, wie ihre dunklen, von Schmerz umnachteten Augen so geisterhaft aufblickten. Die ganze Erscheinung glich einer Vision, die ihr Angst erregte.

Bettina war ihr ein Wesen geworden, dessen Unnatur sie nicht mehr faßte, das ihr unheimlich geworden, weil es frevelhaft das Schicksal heraus­forderte; und wie sie jetzt dakniete in betender Stel­lung, erschien es ihr unmöglich, daß dieses dämonische Weib noch Worte der Andacht auf feinen Lippen haben könne.

Zitternd, den Blick unverwandt auf Bettina ge­richtet, wagte sie nicht, sich zu bewegen; auch sie konnte sie mit ungerechten Vorwürfen überhäufen.