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Deutsche Noman-Bibliothek.
vielleicht, was mich herführt. Uebrigens ist mir nichts schmerzlicher gewesen, als daß unser sonst so enges, freundschaftliches Verhältniß durch einen langen Hader der Meinigen gestört worden, den ich um so weniger gebilligt, als er mir für uns stets resultatlos und sogar verhängnißvoll erschien."
„Ich störe!" Herr von Oppenstein suchte Säbel und Mütze, um sich zu entfernen.
„Nein, bleib'!" rief Dagobert. „Was ich mit dem Vetter zu besprechen habe, eilt nicht; es ist sogar durch seinen Besuch schon so gut wie besprochen. Jobst und ich, wir haben uns immer verstanden, er wird so freundlich sein, unser Mahl mit uns zu theilen."
Jobst fiel ein Stein vom Herzen, aber seiner Verlegenheit gegen den jungen Oppenstein Herr zu werden, vermochte er nicht. Der alte Baron hatte ihm erzählt, daß das Majorat dereinst auf seines Vetters Sohn Albert übergehen werde; er saß also dem Erben desselben gegenüber, der ihn wohl kaum wie einen wirklichen Verwandten betrachtete, während auch er selbst seit seiner Trennung von Bettina sich nicht mehr für einen solchen hielt. Wußte dieser schon von seinem ehelichen Unglück? Peinlich wäre es für ihn gewesen, die Sache zu berühren.
Dagobert wußte inzwischen seine beiden Gäste durch seine Heiterkeit zu unterhalten; selbst Jobst hatte, als der Abend vorgeschritten, seine Verstimmung schon überwunden, als der Bursche des Herrn von Oppenstein mit einer Depesche hereintrat.
Der Letztere öffnete dieselbe und blickte anfangs starr, leichenblaß, dann in jähem Farbenwechsel mit glühend rothem Gesicht ans das Papier.
„Guido von Oppenstein, der Majoratsherr, ist gestern Abend plötzlich gestorben!" brachte er heraus. „Ich muß sofort den Obersten suchen und um Urlaub einkommen!" Damit sprang er aus.
Auch Walbeck erblaßte. Oppenstein todt!
„Kondolire und gratulirc! Der Majoratsherr ist todt, es lebe der Majoratsherr!" ries Dagobert feierlich komisch, sein Glas erhebend . . . „Aber ich vergaß; verzeih', Vetter, cs ist ja Dein Schwiegervater !"
„Er todt! So ist sie verloren!" murmelte Jobst, mit noch blutleererem Gesicht vor sich hinstarrend.
„Sie verzeihen," ries der junge Oppenstein, den Säbel umschnallend. Auch Sie kehren ans diese Depesche, die gewiß Ihnen ebenfalls nachgceilt, noch heute wahrscheinlich zurück? Wir reisen zusammen! Der Zug geht um Mitternacht! Leb' wohl, Dagobert!"
Walbeck nickte zerstreut und trat an das Fenster, um seine Erregtheit zu verbergen.
„Aber Du bleibst unserem Regimente treu?" fragte Dagobert, seine Hand festhaltend.
„ Bis zum letzten Athemzug!" Er stürmte hinaus.
„Ich begreife, Vetter, daß diese Nachricht Dir sehr zum Herzen geht!" Dagobert legte Jobst die Hand auf die Schulter. „Aber tröste Dich, der alte Oppenstein soll viel Geld zusammengctragen haben, sein Privatvermögen muß ein ganz enormes sein!"
Jobst schüttelte ablehnend den Kops.
„Du scheinst noch nicht zu wissen! Ich bin bereits getrennt von meiner Frau! Die Scheidung ist eingeleitet."
Dagobert nahm das sprachlos hin. Seines Vetters Ton war so ernst und schwer, daß er glauben mußte.
„Ich wäre nicht gezwungen gewesen, im Interesse der Meinigen an Deine Großmuth zu appelliren, verdankte ich dieser unseligen Heirath auch nur die geringste Verbesserung meiner Umstände! Laß mich kurz sein, Vetter!" Jobst ergriff seine Hand. „Das Gut, das Du erstritten, ist Dein, aber wir sind arm jetzt, ich habe meinen Abschied bereits erbeten, weil mir im Civildienst bessere Aussichten Winken; mein Bruder wird sich gezwungen sehen, das theure Kavallerieregiment wieder zu verlassen, in das ihn der Ehrgeiz seiner reichsgräflicheu Gattin gedrängt, und meine Mutter sieht sich durch die richterliche Entscheidung mit Schulden beladen, denen sie niemals wird gerecht werden können."
„Aber Vetter!" Dagobert lachte. „Mach' Dir darum keinen Kummer! Ich spreche noch heute mit meinem Mandatar! Um Deinetwillen Alles, wenn euch damit geholfen sein kann! Aber jetzt sei nicht böse; wenn Du den Nachtzng benützen willst, so muß ich Dich zur Bahn begleiten. Unterwegs erzählst Du mir, wie das Alles gekommen."
„Ich will ihm die letzte Ehre erweisen, um der Welt willen! . . . Habe Du Dank für Deinen Edel- muth; Du rettest die Ehre meiner Familie. Wie sich mein Bruder mit seinen Verhältnissen abfindcu wird, ist seine Sache..."
Jobst, als er in der Nacht seine Wohnung wieder erreichte, fand in derselben die Anzeige, die auch ihm der Arzt, der einzige nähere Freund des Oppen- stein'schen Hauses, gemacht.
Am frühen Morgen kam wieder ein Billet von dem Doktor. Die junge Frau habe sich in ihre Zimmer eingeschlossen und erklärt, sie sei nicht im Stande, den Todten zu sehen, und bei dem Be- gräbniß zu sein verbiete ihr ja die Sitte; sie sei also für Niemand vorhanden, und so sei denn kein Angehöriger da; er betrachte ihn noch als solchen, so lange die Scheidung nicht ausgesprochen; er möge eiligst sich einfindeu, denn er habe ihm noch sonstige wichtige Mittheilungen zu machen.
„Der Arzt weiß nicht, daß der Majoratserbe mit mir eingetroffeu! Ich kann nur an seiner Seite das Haus betreten, selbst wenn sie unsichtbar."
Jobst fand den jungen Oppenstein schon im Begriff, das Sterbehaus aufzusuchen. Nicht ohne ein Gefühl der Beschämung gestand er ihm, was Gund- lach ihm über Bettina gemeldet. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er mit dem Erben von dem Diener in den großen Salon geführt wurde.
Doktor Gundlach war bereits eingetroffeu, begrüßte ihn mit sichtbarer Erregtheit, schilderte ihm empört die Veranlassung dieses so plötzlichen Todes und setzte hinzu, er erwarte einen Beamten der Kriminalpolizei.
Walbeck erschrak.
„Und wer ist dieses Mädchen, dem die Pflege des Kranken anvertraut wurde?" fragte er.
„Was weiß ich! Irgend eine Bekanntschaft der