Die tolle Betty von Hans Wachenhusen.
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jungen Frau, die allerdings einer Erholung bedurft haben mag, denn sie war leidend, ich sah es, wenn ich auch ihr nervöses Abschließen nicht billigen kann; eine gewisse Goldmann, so nannte sie der Diener; ihre Eltern sollen hier früher im Hause gewohnt haben und nicht im besten Rufe stehen."
„Goldmann! Und wo ist sie?"
„Der Diener hat ihr auf mein Geheiß das Verlassen der Wohnung verboten. Sie soll sich auch rechtfertigen, wohin das Portefeuille gestern Abend vom Nachttisch verschwunden."
Jobst verstummte anfangs vor einer Beschuldigung wie dieser.
„Darf ich die Dame sehend" fragte er dann schnell. „Ich bitte Sie, mich zu ihr zu führen," wandte er sich an den in der Thür stehenden Diener. „Nennen Sie ihr meinen Namen..."
Albert von Oppenstein kehrte eben aus dem Sterbezimmer zurück, als Lola, von dem Diener gefolgt, mit rothgeweinten Augen und um Hülse flehend erhobenen Händen eintrat. Vor dem jungen Dragonerosfizier erschreckend, hielt sie inne und wandte sich zurück, ihr Antlitz im Taschentuch verbergend. Jobst zog sie in den Hintergrund des Salons in eine Fensternische.
„Herr von Walbeck, ich beschwöre Sie, retten Sie mich aus einer Lage, der ich den Tod vorziehe!" bat sie hier, die Hände faltend und ihn mit ihren von vielem Weinen glanzlosen Augen anflehend. Und dann, mit plötzlich vor dem Gedanken erröthender Stirn, ihm die ganze Wahrheit sagen zu müssen, gestand sie ihm, wie sie, noch krank hier angelangt, vor der ungerechten Mißhandlung ihres Bruders fliehend, zu Bettina gekommen, und was diese von ihr begehrt.
„Und das Aergste," setzte sie hinzu, „der Diener des Barons bezeichnet mich als die Diebin, die ein Portefeuille vom Tisch desselben genommen, als er gestorben! Ich habe wohl Gott und meine arme Mutter für manche Thorheit um Verzeihung zu Litten, die ich aus Unverstand und Trotz beging," fuhr sie schluchzend fort, „aber bin ich auch durch das Schicksal meiner Familie ärmer geworden als eine Bettlerin, ich würde eher diese Hand verbrennen, als daß ich im Stande wäre, sie nach fremdem Eigenthum auszustrecken! Dieses Brieftäschchen, Herr von Walbeck, gab mir gestern Bettina, aber Gott behüte mich, von ihr noch etwas anzunehmen, nachdem ... Ich will sie ja nicht anklagen," schloß sie mit sinkender Stimme, „dieses Geld aber würde mir Unglück bringen; ich will es nicht!"
Jobst hatte mit innigster Theilnahme das Mädchen angehört; er nahm zögernd die Brieftasche.
„Fassen Sie sich!" bat er, dabei ihre Hand in der seinigen behaltend und heimlich erschreckend über das, was er als den Ausdruck ungesälschter Wahrheit aus dem Munde dieses Mädchens vernehmen mußte. „Ich schütze Sie vor jeder Unbill!" Sich in den Saal wendend, um seine Bestürzung zu verstecken, sah er eben den Diener mit einem Herrn eintreten, dem der Doktor geschäftig entgegentrat.
Jobst hielt argwöhnisch inne, Gundlach beobachtend,
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wie er auf Lola deutete, dann dem Fremden folgte, während dieser sich ihm höflich näherte.
„Ich komme im Aufträge der Kriminalpolizei," hörte er sich anreden. „Herr Doktor Gundlach hegt den Verdacht einer fahrlässigen Tödtung, und der Diener dort meldete heute bei Tagesanbruch die Entwendung einer werthvollen Brieftasche.
Jobst suchte nach den richtigen Worten. Wie zum Schutz vor Lola stehend, erwiederte er:
„Was diesen Verdacht betrifft, dürfte eine kurze Unterhaltung mit dem Doktor die Umstände vielleicht in milderem Lichte erscheinen lassen; ich bitte also seine Meldung mit Vorsicht anzunehmen; ist hier aber ein Diebstahl begangen, so bitte ich, sich lieber der Person Dessen zu versichern, der ihn gemeldet, und den Diener da zunächst zu verhaften. Mein Name ist Jobst von Walbeck; ich bürge für die Ehrenhaftigkeit dieser Dame und Werse den Verdacht auf den Diener da zurück, der jedenfalls Gelegenheit gehabt, allein und ungestört im Sterbezimmer zu sein."
„Sie vertreten diesen Verdacht, Herr von Walbeck?" fragte der Beamte.
„Wie ich sagte!"
Bleich und starr, regungslos vor Schreck stand der Diener da, als der Kommissär zur Thür schritt, diese öffnete, einen Unterbeamten hereinwinkte, den Lakaien ihm übergab und mit hinaustrat, um der Verhaftung die nöthigen Recherchen folgen zu lassen.
Jobst nahm inzwischen den Doktor beiseite. Bettina war noch sein Weib; nicht ohne ein demüthigendes Gefühl gab er Gundlach die von Lola erhaltene Aufklärung, daß nur die Angst und Verwirrung der Frauen zu einem Mißgriff geführt haben könne. Dann den jungen, in der andern Fensternische stehenden Oppenstein suchend, führte er ihn zu Lola, diese ihm vorstellend.
„Die junge Dame hier war's, die aus Gefälligkeit während der letzten Stunden des Dahingeschiedenen am Sterbebette wachte; es ist ihr leider schlecht gedankt worden," sagte er, des Mädchens trostlose Stimmung mitleidsvoll beobachtend. „Aber gönnen Sie sich einige Ruhe, mein Fräulein," bat er.
„Ich möchte fort von hier!" flüsterte sie, die thränenschweren Augen vor Oppenstein senkend, tief beschämt durch die Vorstellung, daß auch er gehört haben könne.
„Ich stehe Ihnen zu Diensten!" Jobst selbst war verwirrt, während der junge Majoratsherr mit seiner phlegmatischen Ruhe theilnehmend ans das Mädchen blickte. „Sie haben ein Zimmer hier, in welchem ich Sie abholen könnte, sobald..."
Lola nickte unruhig, das Antlitz im Taschentuch bergend. Jobst bot ihr den Arm und geleitete sie zur Thür.
„Ich selbst führe Sie hinaus," beruhigte er sie und kehrte dann Zu Oppenstein zurück.
Doktor Gundlach trat eben wieder ein, ihm zu melden, daß er die Gerichtsbeamten erwarte; seine Praxis rufe ihn fort, er bitte die Herren, so lange hier Zu verweilen; im Sterbezimmer sei Alles in Thätigkeit.
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