Heft 
(1885) 48
Seite
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Die tolle Betty von Hans Wachenhusen.

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bitten, und kehrte als Besitzer eines der größten Majorate in meine Wohnung zurück. Was Sie be­trifft, sollen Sie mir später erst danken, wenn ich wirklich im Stande gewesen sein werde, Ihnen nützlich Zu sein, und zwar durch einen freundlichen, herzlichen Blick aus Ihren Augen, den ich auch heute schon acceptire!" Er führte Lola's Hand an seine Lippen.Gestatten Sie mir, Sie auszusuchen, wenn Sie wieder froh sind l Unser gemeinschaftlicher Freund Walbeck wird mir ja hiezu Gelegenheit geben."

Mit derselben Herzlichkeit schaute er ihr in die Augen, als sie diese, von Thräuen feucht, Zu ihm aufhob, und gab dann Walbeck einen Wink, das Mädchen nicht länger zu quälen.

Ich bitte Sie, Herr von Walbeck," flüsterte Lola diesem zu,führen Sie mich jetzt zu meiner Mutter... und aus diesem Hause, vor dem mir graut!"

Walbeck's Blick hatte durch Zufall Bettina's Bild gestreift. Sich abwendend, reichte er Zerstreut Oppenstein die Hand, um Lola Zu folgen.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

So hatte denn ein verhängnißvoller Jrrthum auch die Veranlassung sein müssen, daß Baron Guido von Oppenstein, der reiche Majoratsherr, hinüber­gegangen in das Reich der idealen Ewigkeit.

Als Bettina ihn verlassen, hatte er mit Höflichkeit die Arznei genommen, die ihm die kleine, zierliche Hand des hübschen Mädchens gereicht. Er hatte ihr dankend mit dem Kopf genickt und sich dann zurück auf das Kiffen gelegt.

Er empfand eine Steigerung der Schmerzen darnach, aber er klagte mit keinem Laut; er war zu sehr Kavalier, als daß er die wohlwollende Dienst­leistung der jungen Dame durch Klagen vergolten hätte.

Seine Schmerzen verheimlichend, trotz derselben lauschend auf jedes leise Geräusch von Lola's Kleidung, lag er, bis wiederum die schlanke Mädchengestalt sich über ihn beugte und ihm den Löffel reichte.

Und wieder hob er sich. Aber er war keines Zeichens des Dankes mehr fähig und sank unter heftigeren Schmerzen zurück, um den Krampf in seinen Gesichtsnerven zu verbergen.

Als sie zum dritten Mal erschien, war er un­fähig, sich zu erheben; er lehnte artig ab mit einer matten Bewegung der auf der Decke liegenden Hand. Und als sie vor ihm stehen blieb, erwartend, daß er die Arznei nehmen werde, als er fühlte, daß der Tod seine Glieder durchschlich, wandte er sich als Mann von Takt gegen die Wand und starb ohne einen Laut.

Lola wartete vergebens. Als er so still dalag, beugte sie sich über ihn, um ihn durch leises Bitten zu bewegen. Sie fuhr entsetzt zurück, denn sie hatte in die schon verglasten Augen eines Todten geschaut.

Der Schrei, mit welchem sie davonstürzte, rief den Diener herein, der eben den Arzt draußen am Ende des langen Korridors empfangen.

Doktor Gundlach fand, daß er zu spät gekommen, und drückte dem Armen die Augen Zu. Er sah den Löffel und die verschüttete Arznei auf dem Bett,

blickte erschreckt zum Nachttisch und überhäufte den Diener mit Vorwürfen. Als dieser alle Verant­wortung von sich wies, eilte er Zu Bettina. Der Diener folgte ihm erst, als es ihm unheimlich ward, so allein bei der Leiche zu sein.

Als der Doktor in höchster Entrüstung das Haus verlassen, saßen der Leibdiener und der Hausdiener, jeder in einer Ecke, bei zwei brennenden Armleuchtern in dem Sterbezimmer.

Wann wird er begraben werden?" fragte der Letztere.

Er wird in der katholischen Kirche erst beigesetzt; so hat er es immer gewünscht."

Morgen?"

Wenn es so weit fein wird."

Beide schwiegen wohl eine Viertelstunde. Dann schaute der Leibdiener den Andern mit einem Blick an, den dieser in stummem Einverständniß erwiederte.

Der Leibdiener blickte um sich, erhob sich, ging im Zimmer umher, steckte den silbernen Löffel ein und schaute nach Anderem umher, das er zu sich steckte. Dann nahm er den einen Leuchter und trat in das Arbeitszimmer.

Der Hausdiener schaute, als Jener fort, im Zim­mer umher, öffnete einige Schubladen und steckte zu sich, was er für werthvoll hielt; dann nahm er den andern Armleuchter und verschwand in den Salon.

Sie hatten noch die ganze Nacht vor sich.

-X-

Als die Leiche des Majoratsherru, der, ohne die Wohlthat des Sakraments gestorben, in der katho­lischen Kirche beigesetzt war, stieg auch der Neffe, dessen Linie protestantisch, die Stufen derselben hinan und trat unter die wenigen Freunde, welche, desselben Glaubens wie der Verstorbene, ihre Hand in das Becken tauchten, den Sarg mit den geweihten Tropfen besprengten und ihre vor der Kirche haltenden Equi­pagen wieder suchten.

Der junge Krieger verstand sich wenig auf's Beten; er faltete die Hände an dem Sarge und schaute andächtig vor sich nieder. Als er das Haupt wieder erhob, rauschte eine schwarze, tief verschleierte Gestalt über die Fliesen und trat auf die andere Seite des Katafalks.

Albert's andächtige Stimmung war unterbrochen. Er schaute hin, wie sie, das Antlitz gesenkt, dastand, die Lippen bewegte, dann sich wieder abwandte und zur Kirche hiuausschritt.

Die ganze Erscheinung war ihm wie eine dunkle, flüchtige Vision. Sie war jung, davon zeugte die hohe, schlanke Gestalt und ihre Elastizität, das be­wußte Auftreten der zierlichen Füße; er hatte durch den Schleier nur ein weißes Antlitz entdecken können, dessen halb geschlossene Augen so dunkel beschattet waren. Von ahnungsvollem Interesse getrieben, folgte er.

Die Verschleierte schritt die Reihe der Equipagen entlang, bestieg einen abseits haltenden geschlossenen Wagen und fuhr davon.

Langsam bewegte sich bald darauf der Zug zum Friedhof, wo der Baron, der nicht in der Familien­gruft auf dem Hauptgnt der Oppensteine, sondern