Heft 
(1885) 49
Seite
1155
Einzelbild herunterladen

Ziele des Lebens von W. Berger.

1155

Arthur versuchte, mit dem Zudringlichen zu tändeln, zeigte dabei aber geringes Geschick. Wie wenig anstellig er sei, neckte die Mutter; ein Mann in seinen Jahren müsse längst gelernt haben, mit Kindern umzugehen. Wie alt er wohl meine, daß ihr Geronimo seidDrei Jahre," rieth Arthur. Die hübsche Frau lachte ihn aus. Fünfzehn Monate und drei Tage sei das Herzblättchen heute, berichtigte sie den Unerfahrenen in ihrem drolligen Dialekt.

Angemuthet von dem offenen, freundlichen Wesen der Frau, spann Arthur das Gespräch weiter. Sie setzte sich in seiner Nähe nieder, und nun strebte der Kleine mit Armen und Beinen, von Arthur loszu- kommen. Dieser setzte ihn vorsichtig auf die Füße; die Mutter streckte dem Stehenden die Hände ent­gegen und rief ihn mit Schmeichelnamen zu sich. Noch hielt sich der Knabe mit einer Hand an Ar­thur's Knie und zauderte ängstlich; plötzlich aber ließ er sich los und machte schwankend, mit weit gespreizten Beinchen, einige Schritte zur Mutter hin­über. Laut aufjubelnd ergriff sie das Kind, sprang auf, hob es über sich und drehte sich mit ihm wie im Tanze.Er läuft, er läuft!" rief sie einmal über das andere; dann trug sie eilig den Knaben in's Haus, um Jedermann darin den wichtigen Fort­schritt in seiner Entwicklung zu zeigen.

Arthur blieb allein, ein vergessener, unbeachteter Gast. Der rothe Wein von Asti mundete ihm nicht mehr. Nachdem er eine Weile vergeblich auf die Zurückkunft der munteren Frau gewartet, entfernte er sich, den Krug halbvoll zurücklassend. Er ging hinab zum Strande. Am Rande des Wassers jagte sich ein Rudel barfüßiger Knaben; zuweilen rannte einer der wildesten hinein, wo es ihm nicht viel über die Knöchel ging, und kam kreischend zurück auf's Trockene. Arthur's englischer Freund fischte abseits am Fuße des steilen Vorgebirges; er wollte ihn nicht stören, rief die Knaben an und verlangte ein Ruder­boot. Sofort umringte ihn die unbändige Schaar und begann unter sich lebhaft Zu debattiren. Die Väter waren, wie es schien, sämmtlich auf dem Felde beschäftigt, und die hoffnungsvollen Sprößlinge wag­ten nicht, dem Fremden aus eigener Machtvollkommen­heit eins der umherliegenden Schiffe anzuweisen. Ein Knirps von acht Jahren, der still beiseite stand, mußte sich indessen wohl überlegt haben, daß in seines Vaters Haushalt ein paar Lire vortrefflich zu verwenden seien; Arthur winkend, ging er gravi­tätisch voran.

Das Boot, welches das Bürschlein vom Ufer löste, war das schlechteste von allen. Der jedenfalls längst verstorbene Erbauer konnte von der Schiffs­baukunst nicht viel verstanden haben; das Werk, das er seinen Nachkommen hinterlassen, sah aus wie ein breiter Trog mit schrägen, kantigen Seitenwänden. Mißtrauisch betrachtete Arthur das ehrwürdige Erb­stück und prüfte mit der Spitze seines Stockes die morschen Planken. Als die Knaben den Fremden zögern sahen, strichen sie im Chor das Fahrzeug heraus; es gab nach ihrer einmüthigen, überlauten Versicherung auf sämmtlichen Seen kein besseres Boot als dieß, welches den stolzen NamenUs ä'ItLlia" führte. Arthur errieth aus den Geberden der eifrig

auf ihn Einredenden, was sie ihm mitzutheilen wünsch­ten. Der Holznapf werde heute wohl noch Zusammen­halten, meinte er, stieg hinein und ergriff die ge­flickten Remen. Hinter ihm schwang sich sein kleiner Führer in die Barke und kauerte sich hinten nieder mit einer Miene, als ob er den Mhlordo - beauf­sichtigen müsse, damit er mit dem kostbaren Jnventar- stück der Familie nicht durchbrenne. Arthur ließ sich, ohne ein Wort zu sagen, den uuerbetenen Passagier gefallen. Neidisch über den Vorzug, den der Ge­fährte genoß, drängten sich die übrigen Knaben am Ufer. Als nun aber Arthur die Schale in Be­wegung setzte, stürzte, wie auf Verabredung, ein halbes Dutzend derselben mit großem Lärm hinter ihm her, bis an die Kniee in das eiskalte Wasser hineinwatend, und von allen Seiten purzelten die braunen Kobolde in das Boot. Vergebens remon- strirte Arthur in allen Sprachen, deren er mächtig war, gegen diesen Ueberfall; schon hatte sich die wilde Schaar bunt durcheinander auf den Boden geworfen und ihre schelmischen braunen Augen blitzten ihn lachend an. Er stellte sich unwillig und schalt in zornigem Tone; da erhoben sich die kleinen Hände zu ihm und aus jedem Munde kam in schmeichelnden Accenten die Bitte, die Fahrt mitmachen zu dürfen. Unmöglich konnte Arthur solchem Flehen gegenüber sich grausam zeigen; er machte den Wildfängen durch Zeichen deutlich, daß sie fein ruhig fitzen müßten, und ruderte getrost hinaus; doch trug er Sorge, sich nicht allzu weit vom Ufer zu entfernen.

So befand sich Arthur plötzlich inmitten der selt­samsten Gesellschaft in ein Abenteuer hiueingerissen, das nicht ganz gefahrlos war. Er konnte nicht um­hin, die jungen Sprossen einer fremden Raffe, die sich ihm aufgedrängt hatten, aufmerksam zu betrachten. Hübsche Knaben waren darunter, und die dürftige, auch wohl buntscheckige Kleidung stand allen vortreff­lich; kein Schneider hätte dem dunkelhäutigen kleinen Volk ein passenderes Kostüm anfertigen können. Und welche Lebendigkeit des Ausdrucks in den Gesichtern, welch' eigentümliche Grazie in der Bewegung der Arme und Hände, in dem Wenden und Neigen des Kopfes! Es war wirklich Klara nicht zu verdenken, daß sie über dem Studium des Volkes zu unter­suchen vergaß, ob dasselbe auch seinen richtigen und vollen Antheil an allen Errungenschaften der Neuzeit sich sicherte!

Arthur's kleine Freunde bewahrten nicht lauge die ihnen zur Pflicht gemachte ruhige Haltung; bald fingen sie an, sich unter einander zu necken. Der Eine zupfte, ein Anderer kniff den Nachbar von hinten. Zuerst geschah dieß verstohlen, bald aber immer kecker und offener. Die Gezupften oder Ge­kniffenen, die bisher aus Scheu vor Arthur ihren Schmerz verbissen hatten, kreischten auf und fuhren über ihre Peiniger her. Arthur machte ein böses Gesicht, hielt mit Rudern inne und drohte mit dem Spazierstock. Eine Minute lang war Alles still; daun fing das tolle Spiel wieder an. Endlich ent­spann sich zu Arthur's Füßen eine allgemeine Balgerei. Von ihrem lebhaften Temperament hingerissen, ver­gaßen- die Kämpfenden gänzlich, wo sie sich befanden. Das Boot schaukelte bedenklich; Arthur, nunmehr