Viele des Lebens von W. Berger.
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indessen verlor sich des Hungrigen üble Laune, und hernach gerieth er in eine lebhafte Unterhaltung mit einigen Tischgenossen, wackeren, lebenskundigen Männern, die in leichtem, spielendem Ton sich über Persönliches und Unpersönliches verbreiteten, Aergerliches in das Licht des Humors zu rücken wußten und die Uebel der Welt mit einem Scherze abthaten. Im Sessel Zurückgelehnt, hörte Arthur mit Genuß den launigen Reden zu, die hin und her schwirrten; er trank die Zweite halbe Flasche Hochheimer Hölle mit so vielem Bedacht, als wenn er am liebsten jeden Tropsen einzeln gekostet hätte; sogar die ungewohnte Cigarre, die ihm von seinem Gegenüber aufgenöthigt worden war, mundete ihm. Unzweifelhaft war der Zustand der Behaglichkeit, worin er sich befand, das erhöhte Lebensgefühl, das ihn durchströmte, eine jener geheimnißvollen Wallungen, welche vorhin Klara .Stimmungen genannt hatte. Nun, solche Stimmung konnte er sich gefallen lassen, welche einen rosigen Schimmer über Alles breitete, unangenehme Gedanken fernhielt und die Stunden unmerklich an ihm vor- übergleiten ließ!
Eine ähnliche Empfindung gesteigerten Wohlbefindens verblieb Arthur, so lange er im Banne des Frühlings an den Gestaden des Luganer Sees weilte. Eines Morgens erklärte ihm Klara, frühzeitig auf der Veranda des Hotels erscheinend, sie sei nunmehr völlig wieder hergestellt und bereit, weiter zu reisen. Verwundert sah Arthur sie an; er hatte in den letzten Tagen vergessen, daß noch irgendwo Geschäfte zur Erledigung auf ihn warteten. Nun fiel ihm plötzlich wieder ein, weßhalb er unterwegs war, und auf's Neue drückte ihn die Last seines widerwärtigen Geschicks. Unwillig stemmte er sich dagegen. Noch sei er nicht gesonnen, abzureisen, versetzte er; Klara müsse seine liebenswürdigen Tischfreunde kennen lernen, auf dem See mit ihm spazieren fahren und die Umgegend besuchen. Mit der Abreise eile cs ganz und gar nicht; warum er sich und ihr nicht einmal Ferien gönnen solle?
Mit Kopfschütteln zwar, aber ohne Widerrede fügte sich Klara der unerwarteten Laune des amerikanischen Vetters. Sie machte nicht allein die Bekanntschaft der Hotelgäste, sondern auch diejenige von Geronimo und seiner Mutter; sie nippte von dem rothen Wein von Asti aus den Grotten von Ca- priuo und von den goldigen Feuertränken aus dem Keller des Hotel Lu Parc; sie erhandelte als Dolmetscherin Arthur's ein schmuckes Boot für den lameu- tireudcn Eigeuthümer des verunglückten Ue ä'Italia; sie ritt empor zum Gipfel des Monte Salvatore und streifte mit Arthur und fröhlichen Genossen und Genossinnen hinüber zum See von Como und zu den borromeischen Inseln. Die Feiertage wollten kein Ende nehmen, und noch immer wehten weiche südliche Winde und zwischen die jugendlich strahlende Sonne und die glücklichen Bewohner des Seeufers schob sich nur selten ein weißes, harmloses Wölkchen.
Eines Abends, als die Verwandten allein am offenen Fenster saßen, begann Arthur: „Einige Wochen schon verkehren wir nun miteinander, Cousine, und doch weiß ich noch nichts weiter von Ihren näheren Familienverhältnissen, als was Ihr Brief
mir darüber mittheilte. Wo lebt Ihr Vater jetzt? Was treibt er? — Ich meine, welches Gewerbe, welche Hantirung?"
Kurzab antwortete Klara auf diese plötzliche Frage: „Er lebt noch in Lüttich, so viel ich weiß, und ist Zeichner."
Sie sah hinweg, während sie sprach, so daß Arthur sich veranlaßt fand, um Entschuldigung zu bitten, falls er eine unliebsame Frage gethan habe.
„Nicht doch," erwiederte Klara hastig. „Ich habe keine Frage nach meinem Vater zu scheuen."
Das Blut stieg ihr doch in die Wangen, als sie so unbedingt für ihren Vater eintrat.
Vorsichtig forschte Arthur weiter: „Und jene Entzweiung zwischen Ihren Eltern und meinen Verwandten — wie wurde sie herbeigeführt?"
„Genaueres darüber kann ich nicht angeben; mein Vater vermied es, von dieser Periode seines Lebens zu reden. Was wird der Grund des Zerwürfnisses gewesen sein, als die Weigerung der aristokratischen Familie Ueberweg, einen armen Maler als Verwandten aufzunehmen?"
Arthur lächelte. „Meine aristokratische Familie?" wiederholte er. „Ei, Cousine, in solchem Ruf stehen meine Vorfahren?"
„Ihre Familie väterlicherseits soll von jeher verstanden haben, der Welt eine hohe Meinung von sich beizubringen. So ist mir häufig gesagt worden."
„Sie werden bitter ohne Grund, Kind. Verstorbenen gegenüber soll man nicht Partei sein."
Etwas betroffen sah Klara den Vetter an. „Wenn Sie wüßten," sagte sie leise, „welches Leid die schroffe Haltung meiner Großmutter über uns Alle gebracht hat, auch über mich — Sie würden es natürlich finden, daß auch heute noch ein bitteres Gefühl gegen sie in meinem Herzen ist — nicht gegen Ihren Vater. Er hat an mir mehr als gut gemacht, was er in jener verhängnißvollen Zeit durch zu passive Haltung an feiner Nichte, meiner armen Mutter, gesündigt haben mag."
„Aber Ihr Vater? Hatte er nicht erreicht, was er wollte? Hatte er nicht das Mädchen geheirathet, das er liebte? Was konnte er noch mehr wollen? Daß Meta Bugenhagen ein armes Mädchen war, mußte er wissen —"
„Er wird schwerlich darnach gefragt haben. Kaufmann ist er nicht."
Arthur ignorirte diesen Ausfall. „Und ferner," fuhr er fort, „Ihr Vater ging doch seines Talentes nicht durch jene Heirath verlustig?"
„Gewissermaßen doch. Er konnte es nicht weiter ausbilden, weil er es verwerthen mußte. Und wie verwerthen! Er wurde — Musterzeichner!"
„Wie geringschätzig Sie das sagen! Ich sehe nichts Verächtliches in dem Gewerbe. Und später
— Ihre Mutter starb ja nach kaum einjähriger Ehe
— warum hat er später die unterbrochene Carriere nicht wieder ausgenommen? Ihr Dasein konnte ihn nicht hindern; ein Kind läßt sich unterbringen."
„Jetzt fragen Sie mehr, als ich beantworten kann. Ein Künstler ist eben nicht wie ein anderer, gewöhnlicher Mensch, der, zchnmal zu Boden geworfen, sich zehnmal wieder aufrafft und auf dem