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Deutsche Noman-Sibliothek.
Erzählen Sie mir lieber etwas aus meiner alten Vaterstadt: wie heutzutage die Leute darin leben, worüber sie hauptsächlich reden und was sie sich von der Zukunst wünschen. Und von dem hochgiebeligen Hause au der Alexanderstraße berichten Sie mir, worin ich mich als Jüngling gegen der Alten vergilbte Weisheit empörte! Jagen sich noch immer Nachts die Natten unter dem Dache? Hängen noch an der Gartenseite die Cigarrenkistchen, die ich einst mit Lebensgefahr dort in schwindelnder Höhe anbrachte, und nisten im Frühjahr die Schwarzdrosseln darin wie ehedem? Lebt der alte Johann noch und
hat er endlich das Rezept zu einer untadelhasteu Wichse gefunden, nach welchem er suchte wie weiland die Alchymisten nach der Goldtinktur, so lange er meine Stiefel unter Aufsicht hatte?"
Und während der Wagen weiter rollte, bergan, bergab und wieder bergan, bis er in das Thal des Tessin uiederfuhr und in der Dämmerung die Thürme und Bastionen von Bellinzona erschienen, erzählte Klara unverdrossen, und in dem stille lauschenden Manne neben ihr stieg das Bild der Heimat immer deutlicher aus der Vergessenheit empor.
(Fortsetzung folgt.)
von
Hans Wachenhusen.
(Fortsetzung.)
Emunddrcihigstes Kapitel.
ettina hatte im Hotel als Frau von Oppenstein einige der schönsten Räume bezogen. Der Luxus war ihr Gewohnheit geworden, die Umstände berechtigten sie zu glänzender Lebensweise. Aber sie fühlte sich allein, als sie diese Gemächer betrat. Sie hätte Lola an sich fesseln sollen, überlegte sie; aber Lola wußte Zu viel, sie hätte lästig werden können. Aber lästig war es ja auch, als schöne Frau so allein auf fremde Dienerschaft angewiesen zu sein.
In fiebernder Unruhe, in einer ihrer kokettesten Promenaderoben erwartete sie nach einem Ausflug in die Stadt am Nachmittag Camill. Er ließ auf sich warten mit jedem Moment. Sie hatte eine lleberraschung für ihn, ihre Ungeduld wuchs.
Sie hatte erreicht, was sie gewollt; sie war in der unmittelbaren Nähe des Einzigen, den es für sie auf der Welt gab; aber er ließ sie warten, und wenn sie zu denken Zeit hatte, gemahnte es sie immer au den unglücklichen Mann, den sie in's Grab gesenkt hatten. Er hätte ja doch nicht leben können, und er war jetzt bei seiner Leonore, der er sein Wort gehalten. Das tröstete sie.
Und doch, es war unheimlich, an ihn zu denken. Der Athem versagte ihr in der engen Robe.
Sie warf dieselbe ab und legte das leichte weiße Hauskleid an. Es war besser so. Und jetzt endlich pochte es und — Camill erschien.
Mit offenen Armen eilte sie ihm entgegen, ihn an ihre Seite ziehend.
„Wie lange Du bliebst!" zürnte sie mit Lächeln. „Du wußtest, ich bin so allein!"
Er küßte sie und sie blickte ihn so geheimnißvoll
lächelnd an. „Ich war verhindert," sagte er, die Wolke von seiner Stirn jagend. „Du siehst nur diese gleißende Außenseite des Künstlerlebens, kennst nichts von all' den kleinen Aergernissen, den peinigenden Stichen und Bissen, mit denen uns ein Schwarm von Hornissen verfolgt, die unser Blut ans hundert kleinen Wunden saugen."
„Du hattest Verdruß mit Gianetti?" fragte sie schelmisch lächelnd, den Namen betonend.
„Nein! Wir verstehen uns. Aber diese Noth- wendigkeit, einer Reihe von unbedeutenden und dennoch Einfluß besitzenden Menschen den Hof zu machen, um ihre Gunst, ich möchte sagen: ihre Gnade Zn betteln, jeden Verstoß gegen ihre Eitelkeit zu verhüten oder gut zu machen; es ist erschöpfend, entmnthigend!"
Bettina streichelte den Umnuth von seiner Stirn. Sie lächelte immer wieder so geheimnißvoll.
„Vergiß!" bat sie. „Ich verstehe das Alles zwar nicht, aber kann Dich das schmerzen, wenn Du siehst, wie doch Alles in Verehrung zu Deinen Füßen liegt? . . . Und was Gianetti betrifft... Du weißt, auch ich gehöre zu seinen Gegnern, aber die Schuld, zu der Du Dich gegen ihn bekanntest, sie kann Dich nicht mehr drücken, denn sie ist getilgt; er soll unserer Liebe nicht mehr entgegen stehen. . . Sieh' hier! Er selbst hat diese Schuld quittirt; was Du ihm ferner noch Zu danken bereit bist, wird Sache Deines Herzens, nicht Deines Talentes sein."
Bettina zog ein Papier hervor und reichte es ihm mit siegestrunkenem Lächeln.
Camill erkannte in demselben den von seinem Vormund mit Gianetti geschlossenen und später von ihm selbst vor der italienischen Behörde anerkannten Vertrag. Er las unter demselben von Gianetti's Hand:
„Ich bekenne hiemit der Frau Baronin von