Die tolle Setty von Hans Wachenhusen.
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Oppenstein, daß ich gegen eine von derselben empfangene Summe von Zweimalhunderttausend Gulden alle meine Rechte auf die Einnahmen aus den künstlerischen Leistungen des Herrn Camillo Balsado an die genannte Dame cedire und ausdrücklich jeder ferneren Verfügung über die Kunstleistungen und die Person des Herrn Balsado entsage."
Starr und sprachlos schaute dieser auf das Dokument. Seine Hände zitterten, sein Auge ward düster, seine Lippen preßten sich zusammen. Endlich sank das Papier in seinen Schooß. Sekundenlang saß er, regungslos vor sich hinblickend.
„Was thatest Du!" rief er muthlos. „Und Gianetti war bereit..."
„O, ich fand einen ganz Andern in ihm, als ich nach Deinen Worten vermuthen mußte! Er ist Geschäftsmann! Glaubtest Du wirklich, er sei Dir der Freund, für den er sich ausgab?"
Camill preßte heftig das Papier in der Hand Zusammen. Bettina, getäuscht in ihrer Erwartung, legte ängstlich bittend die Hand aus die seinige.
„Du bist frei, Camill!" rief sie drängend. „Begreifst Du nicht? — Frei mit Deinem Herzen und Deinem Talent! O, es war für mich kein Opfer, und er nahm es so bereitwillig!"
Camill's Antlitz hatte sich entfärbt; stumpf und sinnend blickte er noch immer vor sich hin.
„Sie weiß nicht, was sie gethan!" murmelten seine farblosen Lippen. „Der Vertrag um mein Leben ist abgelaufen und die Stunde da! Gott verzeih' ihr!"
Bettina umschlang ihn furchtsam; sein Schweigen, seine Miene jagten ihr Bangigkeit in's Herz.
„Du schweigst! Du bist nicht zufrieden?" rief sie. „Camill, Du liebst mich nicht! Du hängst an diesem Manu, an Gianetti, der doch in Dir nur eine Quelle des Gewinns erblickte! Mit kaltem Herzen berechnete und nannte er mir die Summe, die Du ihm Werth seist, und er nahm sie wie ein Händler, der seinen Sklaven verkauft, ohne eine Wimper zu regen!
„Und sieh'," plauderte sie, immer enger sich an ihn schmiegend, weiter, „in wenigen Wochen, vielleicht in wenigen Tagen schon werde ja auch ich ganz frei sein; wir werden uns ganz und unzertrennlich gehören können. Du wirst nach wie vor die Welt entzücken durch Dein Talent, ich aber werde nicht mehr gezwungen sein, nach Dir zu rufen, Dich zu vermissen! O, ich bin so glücklich, und Du, Du willst es nicht sein!"
Camill schüttelte das über die Stirn gesunkene Haar zurück. Er schaute aus, aber zerfahren, fernab mit seinen Gedanken; er legte wohl mechanisch die Hand über ihren Nacken, als sie sich an seine Brust lehnte, aber erst als sie so innig flehend zu ihm wieder anfblickte, strich ein mattes Lächeln über seine Züge.
„Du thatest nicht recht," sprach er, schwer ans- athmend. „Aber erlaß mir, zu sagen. .. Gianetti durste thun, was sein Interesse ihm gebietet; er würde seine Pflicht gegen mich geübt haben, wie ich sie gegen ihn übte."
Camill suchte wohl seine Verstimmung zu bergen,
Deutsche Noinau-Biblioihek. HI. 25.
er erwiederte gezwungen ihre Zärtlichkeit, aber Bettina wartete vergeblich auf ein Wort des Dankes. Endlich fuhr er jäh ans, sprach von Gianetti, mit dem er nach dem Geschehenen Wichtiges zu besprechen habe, und verließ sie mit der Versicherung, am Abend wiederzukehren.
In der That eilte er zunächst in sein Hotel. In seinem Zimmer trat ihm Gianetti, ein kleines, schmächtiges Männchen, entgegen, nach seiner Gewohnheit in schwarzem Anzug, die eine Hand in den zugeknöpften Rock gelegt, in der andern aus dem Rücken die Tabaksdose, von deren Inhalt stets ein Theil die Schleife seiner Kravate, das Hemd und die Nockaufschläge bedeckte. Er blieb inmitten des Zimmers vor dem Künstler stehen und musterte ihn mit den kleinen, von Falten umkritzelten Augen.
Gianetti war ein geborener Ungar; er hatte seinen Namen Janoczy in's Italienische verwandelt, in früheren Jahren als Opernunternehmer glänzende Geschäfte in Amerika gemacht, Millionen erworben und wieder verloren, hatte dann eine Sängerin von europäischem Ruf durch alle Welttheile geführt, eine andere aus seine Kosten erziehen lassen, dann diese der Führung eines andern Manager überlassen müssen, um sich der Ausbildung von deren Schwester zu widmen. Er hatte auch diese geführt, bis sie ihre Stimme eingebüßt, dann Konzerttournöen mit anderen Künstlern unternommen, sein Geld für die Ausbildung neuer „Sterne" ausgegeben, die ihm nach derselben entweder durchgingen oder vom Publikum refüsirt wurden, und sich endlich mit dem noch geretteten kleinen Kapital nach Paris zurückgezogen.
Auf einer Reise hatte der Zufall ihm den verwaisten Knaben eines Marchese Balsado in der Werkstatt eines Geigenmachers in den Weg geführt. Die Persönlichkeit desselben, das ungewöhnliche Talent, mit welchem er den Knaben zu seinem Vergnügen den Bogen führen sah, hatten Gianetti zu der Ueber- zeugung geführt, einen neuen „Stern" entdeckt zu haben. Er schloß mit dem Vormund, dem Geigen- sabrikanten, einen Kontrakt, führte den Knaben nach Neapel zu Meister Pinelli, verwendete Alles, was er besaß, auf die Ausbildung Camill's, machte Schulden, als er selbst nichts mehr besaß, immer in Rechnung auf seinen „Stern", Schulden, die ihn zwangen, selbst trockenes Brod zu essen, um seinem Schüler nichts zu seiner körperlichen und künstlerischen Ausbildung vorzuenthalten; er blieb endlich den Lehrern sogar noch schuldig, sich ihnen schriftlich zur Zahlung erhöhter Honorare verpflichtend, sobald Camill flügge geworden, und führte ihn mit dem festesten Vertrauen in die Welt hinaus, zunächst nach Nizza, der ersten Etappe, aus der er bereits erkannte, daß er anstatt eines etolto einen Kometen entdeckt. Und gerade Oppenstein hatte hier der erste und begeisterte Apostel des neuen musikalischen Messias werden sollen.
Gianetti's Trompetenstöße, die Reklame in den Zeitungen, die Gunst der Kritik, die Soupers für maßgebende Berichterstatter, die Reise- und Arrangementskosten für seine Galoppins, die überall vorauseilten, den Platz zu bereiten, die Stimmung zu bearbeiten, die Annoncen und Reklamen zu besorgen,
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