Die tolle Betty von Hans Wachenhusen.
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Luft gegriffen, und aufrichtig gestanden, gab mir diese Dame, die ich heute übrigens sofort wieder erkannte, die Idee dazu... Leid sollt' es mir allerdings thun, wenn an der Seite eines reizenden Weibes Ihr schönes und seltenes Talent für die Welt verloren ginge, nachdem ich es für diese entdeckte; aber ich bin Geschäftsmann, ich denke kühler darüber als Andere. .. Nicht wahr. Sie lieben dieses Weib; sie gab sich die Miene, als dürfe Niemand ein Recht auf Sie haben außer ihr."
„Gianetti, ich liebe vor Allem meine Kunst!" rief Camill, sich aus einem fast traumhaften Versinken aufraffend. „Sie wissen, mit welch' freudiger Dankbarkeit der Knabe sich Ihnen übergab, wie der Beruf, den Sie in ihm geweckt, ihm Alles war! Manches lockte mich, als ich heranwuchs, manch' schwarzäugiges Kind unserer Nachbarschaft schlich sich in den Garten des Meisters am Grabe Virgil's, um mir zu lauschen, seine Arme auf meine Kniee zu legen und zll meinen Füßen zu träumen, aber ich sah sie nicht. Ich erinnere mich, wie, als ich herangewachsen, der Vater jener blonden, vornehmen Engländerin den Meister beschwor, mich mit ihm ziehen zu lassen; ich gedenke der schönen Rosina, des üppig schönen jungen Weibes des alten Podesta, das im Garten von Sorrent meinem Spiel gelauscht, dann sich zu mir beugte und mir in's Ohr flüsterte: Meine Seligkeit für Dich!' Aber ich gedachte stets meines Meisters Warnung: ,Das Weib ist die Freundin und Schätzerin unserer Kunst, aber hüte Dich vor ihren Armen, sie tödten den Künstler!'"
Gianetti nickte und schnupfte:
„Kenne das!... Weiter!" rief er schmunzelnd.
„Ich bekenne, ich vergaß des Meisters Warnung ein einziges Mal dieser Einen gegenüber, denn hätte ich je von einem Weibe geträumt, so wäre es diese gewesen, die beim ersten Erblicken schon einen unwiderstehlichen Zauber auf mich übte. Ich widerstand dennoch tagelang der dämonischen Gewalt. Aber ein einziger Moment entschied Alles. Als ich sie im Sternenglanz des Mittelmeers allein im Garten fand, als ich sie vor mir sah, zitternd und dennoch mit ihren Angen in meine Seele hineinflammend, überwältigte mich dieß Wunderbild von Gottes Schöpfung; ich verlor mich selbst, sie gehörte mir...
„Mit Selbstvorwürfen überladen floh ich sie... Sie selbst, Gianetti, rissen mich von ihr. Ich dankte Ihnen, ich zürnte Ihnen; es zog mich zurück zu ihr, aber Ihr Gebot schützte mich vor der unseligsten Leidenschaft, die meine künstlerischen Kräfte zu lähmen drohte. Doch der Weg nach Deutschland, den Sie mich führten, war auch ihr Weg. Ich sah sie wieder und wieder; ich sah sie vor Kurzem erst auch hier, und heute... O, Sie wissen ja nicht, in welch' einen unseligen Konflikt mich meine Schwäche für dieses schöne Weib geführt! Hätte ich gewußt, ich würde Sie auf meinen Knieen beschworen haben: lassen Sie nicht von mir! Eine Ahnung sagt mir, daß dieser Tag mein Verderben! — Gianetti!" — er stand mit erhobenen, gefalteten Händen vor ihm — „geschah es um dieser schnöden Summe willen, daß Sie den verwaisten Knaben in seiner stillen, freudigen Thätigkeit suchten, ihm den Weg zum Ruhm er
öffnten, um ihn versinken zu lassen, da er kaum die Schwelle desselben betreten?"
Gianetti, mit der Bestätigung in der Tasche, daß die Bank eine Summe zahlen werde, die er erst in Jahren zu erringen gehofft, konnte sich doch einer Anwandlung von Theilnahme nicht erwehren; ihn überraschte diese Wirkung seiner Handlungsweise.
„Camill," sagte er lächelnd, „ich bin nicht so herzlos, wie Sie glauben. Sie sind aufgeregt; betrachten Sie die Sache ruhiger. Sie sind ein ausgezeichneter Künstler, sind ein schöner Mann, sind Marchese; glaubten Sie, so durch die Welt gehen Zu können, ohne mit diesen drei außerordentlichen Eigenschaften früher oder später eine glänzende Partie zu machen, durch die ich Ihnen überflüssig geworden sein würde? bllles ralloloot äs vous!... lloutss!... Es ist freilich wahr, auch mein Ehrgeiz sah eine Befriedigung in dem hohen Ziel, das Sie im Sturm erklommen; aber was ist denn, in nackter Prosa gesprochen, das ureigentliche Motiv unseres besten Wollens und Strebens, das nicht seinen Lohn, seinen Ausdruck in der goldenen Zeichensprache suchte! In meinen Augen hat jedes Talent den Werth, den ihm die zahlende Menge zumißt; ich bin wie Einer, der nach edlen Metallen spürt; wie Jener mache ich mir den Boden zu eigen, in dem ich das Gold vermuthe, ich bezahle die Arbeiter, die es heben sollen, und täuschte mich meine Hoffnung, Niemand hält mich schadlos, ich gehe um so viel ärmer von dannen.
„Wie oft schon," fuhr er, schwermüthig durch seine Erinnerungen, fort, „hat mich ein Talent getäuscht, ans das ich geschworen hätte! Unverdrossen, selbst mit dem Bettelstab vor Augen, wagte ich immer von Neuem. Meine Hoffnung aus Sie wuchs mit jedem Jahr, sie bestätigte sich und endlich umarmte ich Sie vor Aller Augen, ich selbst drückte Ihnen den ersten Lorbeerkranz auf's Haupt, als Sie in Mailand an der Skala die erste öffentliche Probe bestanden; ich setzte das Letzte daran, was ich besaß, um mit Posaunenton Ihren Ruhm durch alle Zeitungen in die Welt hinaus zu verkünden..."
Gianetti hatte sich in eine Rührung hineingeredet, die ihm sonst fremd war.
„Und jetzt, Marchese Balsado, soll ich Ihnen jetzt zu meiner Rechtfertigung den Beweis führen, daß ich von meinen Zöglingen nie einen andern Dank geerntet als den, welchen ich selbst Hand in Hand mit ihnen mir erwarb, indem ich ihnen unermüdlich das Feld bereitete, meine Apostel vorans- sandte und sie gleichsam aus meinen Händen von Ort zu Ort trug? Keiner hat dem armen Gianetti Dank gewußt dafür, daß er ihn geschaffen; sie nannten ihn einen Habsüchtigen, einen elenden Egoisten, der wie ein Geier an ihrem Talente fresse. Nun, Sie sehen, wie ich gegen Sie handle! Es bot sich die Gelegenheit, Sie für jetzt und für die Zukunft von jeder Frohnde zu entlassen; man zahlte für Ihre Unabhängigkeit, es ist wahr; aber diese ging in die Zartesten Hände über, die Sie nur in Rosenfesseln legen werden, und diese zu zerreißen, dacht' ich mir, genügt ja" — er blickte so verschmitzt lächelnd auf Camill — „ein einziger Moment des Umnuths, des Mißverständnisses, oder was Sie sonst wollen. Die
