Heft 
(1885) 49
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothek.

Liebe ist ja das einzige Vertragsverhältniß, das nicht auf metallener Grundlage ruht."

Nicht weiter!" fuhr Camill verletzt und heftig auf.Hier endet Ihre Autorität über Ihren Zög­ling, wenn nach dem Geschehenen eine solche noch besteht! Was meine Pflicht als Ehrenmann, als Kavalier, wird der Geschäftsmann mich nimmer lehren! Unsere Wege trennen sich. Sie selber zer­schnitten das Band zwischen uns, und so . . . so sei es denn!" ries er, Zwar mit schwerem Druck auf dem Herzen, aber entschlossen, und wandte sich Zur Thür.

Noch ein Wort! Es war nicht so böse ge­meint!" Gianetti hatte ihm einen Schritt nach- gethan. Camill blieb Zaudernd, ohne sich zurück­zuwenden.Nicht der Zögling, sondern der Mar­quis führte soeben das Wort, der aus dem Schüler Pinelli's so schnell herausgewachsen ist. Lassen wir den beiseite; Sie wissen, ich liebe das Wahre und Baare in Wort und Geschäft. Reden wir von dem letzteren. Wenn ich auch meine persönliche Zuneigung für Sie dem materiellen Vortheil opferte, können Sie unmöglich gesonnen sein, demselben Ihre so glänzend begonnene Carriöre zu opfern. In Krakau, Warschau, Petersburg und Moskau ist bereits Alles Zu Ihrem Empfang bereitet. Gönnen Sie mir acht Tage für eine andere geschäftliche Angelegenheit, so stehe ich wieder zu Ihrer Disposition; wir einigen uns über eine neue Basis unseres Zusammengehens. Sie sehen, mir wird diese Trennung nicht so leicht wie Ihnen. In acht Tagen kann ich hier zurück sein. Ich reise noch heute."

Camill hörte nur mit zerstreuten Sinnen.

Mußte ich Ihnen bisher nur der Geschäftsmann sein, so darf ich Ihnen von heute ab ein rächender und leitender Freund werden. Schlagen Sie ein, Camill!"

Er bot ihm mit einer Regung von aufrichtiger Theilnahme die Hand.

Camill, in seiner Erregtheit keiner Ueberlegung fähig, ließ ihm seine Hand.

In acht Tagen!" murmelte er, die Augen schließend, vor sich hin.Bis dahin kann es ge­schehen sein... Es sei!"

Gianetti schaute ihm nach, wie er so heftig be­wegt das Zimmer verließ.

Ich Hab' es kommen sehen; wenn ich auch diese Wendung nicht vermuthen konnte! . . . Sie liebt ihn und vielleicht sind sie schon ein Paar, wenn ich zurückkehre. . . Aber bah! Ihm ist die Welt noch zu frisch und neu! Den Löwenantheil habe ich da­von! Ich telegraphire sofort, daß unsere Ankunft in Warschau um acht Tage hinausgerückt sei. Ich könnte ansruhen nach dem glänzenden Geschäft von heute, aber was ist für mich Ruhe! Ein Drang nach neuer Unruhe, neuer Thätigkeit, gegen den die Arbeit eine Erholung ist!"

Gianetti spendete mit Behagen seiner Nase un­mäßige Quantitäten, klingelte dann dem Sekretär, um seine Depeschen nach allen Richtungen fliegen zu lassen, und gab ihm den Auftrag, den Sauer­land zu suchen, mit deni er Wichtiges Zu besprechen habe.

Zweiunddreitzigstes Kapitel.

Lola, durch Walbeck ihrer Mutter zurückgeführt, saß eines Morgens trauernd an dem Fensterchen der Mansarde; ihre Arbeit lag im Schooß, ihr Auge schweifte melancholisch über die Dächer des Nachbar­hauses. Sie war allein.

Walbeck hatte sich befugt geglaubt, die Summe, welche Bettina für sie zurückgelassen, in ihre Hand zu geben, und so war denn einstweilen keine Noth; Walbeck hatte sie auch mit Egon versöhnt, der bei diesem dauernde Beschäftigung gefunden; die trüben Erfahrungen, die sie gemacht, hatten die kecken Flügel gestutzt, mit denen sie so vertrauensvoll hinaus­geflogen; aber was und wo war jetzt ihre Zukunft?

Sie hatte nicht den Muth, auf ihre früheren

Pläne Zurückzukommen; was sie erlebt, hatte nur Abscheu gegen dieselben in ihr zurückgelassen; sie

wagte kaum daran zu denken. Sie hatte Walbeck, als er mehrmals gekommen, um sich nach ihr um- zusehen, ehrlich erzählt, was jenem Tage, da er sie in dem Gebirgsthale gesehen, vorangegangen; auch er hatte ihr gestanden, wie sehr ihn jene Arie ge­fesselt, die damals, als er selbst sich so unglücklich gefühlt, so unerwartet an sein Ohr geschlagen; er hatte sogar mit ihrem früheren Gesangslehrer, der ihm persönlich bekannt, über die Ausbildungsfähigkeit und Tragweite ihrer Stimme gesprochen in der Hoffnung, dieselbe könne dennoch vielleicht eine Er­werbsquelle für das arme Mädchen werden, und von diesem die ermuthigendste Auskunft erhalten; aber er selbst war ja mittellos.

Sein Abschied war bewilligt, im Civilsach winkten ihm wohl die glänzendsten Aussichten, doch sollten auch diese sich erst realisiren. Er konnte also nichts thuu, als ihr Muth einsprechen, und der sank in der Verlassenen immer wieder zusammen, wenn sie wirklich einmal Vertrauen gefaßt.

Walbeck hatte auch den Doktor Gundlach, der ausgebreitete Bekanntschaft besaß, für sie zu inter- essiren gesucht, und das war schwer gewesen, denn Gundlach zürnte ihr. Dennoch hatte dieser sie aus anderen Gründen ausgesucht.

Die Sektion der Leiche hatte ihn überzeugt, daß wirklich eine Vergiftung stattgefunden; er hatte je­doch unter den obwaltenden Umständen nicht gewagt, eine Anklage zu formuliren, ohne vorher sich genau von dem traurigen Sachverhalt zu unterrichten, und als Lola ihm diesen mit der ehrlichsten Miene er­zählt, hatte Gundlach entrüstet ausgerusen:

Ich hatte doch den Baron täglich ausgefordert, dieß junge Weib von seinem Lager fern zu halten und sich dem barmherzigen Bruder anzuvertrauen! Tag- und Nachtwache von einer so jungen, heiß­blütigen Person zu verlangen, die überdieß ihre eigenen Gedanken im Kopf hatte, das war ein Wahn­sinn! Sie dachte nicht an die neue Arznei, gab Ihnen in ihrer Schlaftrunkenheit falsche Instruktion und darüber mußte denn der arme Baron zu Grunde gehen! Wem ist die Schuld jetzt zuzuschreiben? Ihm selbst! Mein ärztlicher Ruf kann sogar noch gefährdet werden, wenn ich die Sache ruchbar mache!"

Gundlach war, als er wußte, was er hatte wissen