Heft 
(1885) 49
Seite
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Die tolle Setty von Hans Wachenhusen.

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in einem Zuge und liegt er in Scherben Zu unseren Füßen..." Er strich mit der Hand über Stirn und Haar, schloß die Augen, raffte sich aber Zu­sammen und trat an den Schreibtisch.Es muß sein! Und dann... ist vielleicht Alles vergebens gewesen, wie ja all' unser Thun und Streben ist! Und auch all' Dein Mühen um mich, theurer Maestro, mein väterlicher Freund, wird vielleicht umsonst ge­wesen sein; Du wirst mir zürnen und sagen: ,Er war ein Narr seiner Ehre, ich hätte ihn nicht hinaus lassen sollen in die Welt, aber er gehörte ja dem Andern, der ihn mir übergeben hatte!'"

Bleich, aber gefaßt, schrieb er nur wenige Zeilen, suchte in seinem Portefeuille eine Karte hervor und adressirte das Bittet nach derselben.

Ich will jetzt hinaus in die Stadt und suchen, ob der fremde Geiger, dem Alles hier so enthusiastisch die Hand gedrückt, einen Freund findet, der ihm den kleinen Dienst zu leisten bereit ist."

Mit abgewendetem Antlitz übergab er dem Kom­missionär das Bittet und schritt auf die Straße.

Am Abend empfing ihn Bettina im reizendsten weißen Neglige; mit dem himmlischsten Lächeln der Glückseligkeit, zufrieden mit ihrer That, die ihn frei gemacht, um ihn ihren Armen zu überliefern, um­schlang sie ihn, und er erwiederte ihre Liebkosungen, leidenschaftlich, finnenberauscht. Kein Wölkchen lag auf seiner Stirn; er blieb heiter, lebhaft, ganz Bewunde­rung und Hingebung für ihre Schönheit und ließ sich bereitwillig von ihr fortziehen, als sie den Arm um ihn legte und ihn in den von Kerzen bestrahlten Salon führte, in welchem das Souper ihn erwartete.

Du bist mein!" jubelte es aus ihren ihn an­betenden Augen.Wir gehören uns! Die Welt, die weite Welt ist unser! Wir werden uns ein Heim gründen, wo diese Welt am schönsten ist!"

Am nächsten Tage schwärmten Beide hinaus in den Wiener Wald wie zwei ausgelassene Kinder. Gianetti, dem inzwischen wieder glänzende Offerten zugegangen waren, fragte vergebens nach dem Künstler, um ihn von seiner eigenen Unentbehrlichkeit zu überzeugen.

Erst am Abend des dritten Tages kehrte Camill heim und suchte sein Lager, ohne sich um den Im­presario zu kümmern. Als dieser am vierten Morgen nach Camill fragte, hatte derselbe wiederum früh­zeitig seine Wohnung verlassen.

Auch von Bettina kam an diesem Tage ein Bote in's Hotel. Er kam am Nachmittage wieder, ohne Nachricht über Camill zu finden. Die Ungeduldige wartete auf ihn, gekleidet in ihr schönstes Promenade- kostüm; jede Minute ohne ihn erschien ihr ein ver­lorenes Stück Leben.

Er kam auch am Nachmittag nicht; er kam nicht, als der Tag sich neigte. Erst am Abend ward ihr eine Nachricht, die sie mit Entsetzen erfüllte und einer Ohnmacht nahe brachte.

Jenes Billet, das Camill nach seiner Unter­haltung mit Gianetti geschrieben, war an den Lieu­tenant von Oettinghaus gerichtet. Er meldete diesem in wenigen Worten, er stehe Herrn von Walbeck zu Diensten und werde ihn: am Morgen des vierten Tages seine Zeugen senden.

Oettinghaus hatte seinem Freunde sofort die An­zeige hievon gesandt, der sie an jenem Abend em­pfing, als er sich eben von dem jungen Majorats­herrn getrennt. Walbeck hatte diese Sühne begehrt und die Gewährung derselben traf ihn jetzt un­vorbereitet. Oettinghaus seinerseits schien die Sache ganz objektiv hingenommen zu haben; er schrieb, er erwarte ihn, er möge telegraphisch die Stunde be­zeichnen, so werde er inzwischen Alles ordnen.

Es ist der Schlußstein dieser unglückseligen Ehe! Oppenstein wird es mir nicht versagen, mich zu begleiten! Letzwillige Verfügungen habe ich nicht zu treffen, große Trauer wird um mich nicht ent­stehen, denn selbst die Mutter zürnt mir als einem ungehorsamen Sohn, ich kann mich also ruhig schlafen legen!" Damit hatte Walbeck an jenem Abend sein Lager gesucht.

Schon am frühen Morgen kam Albert von Oppenstein auf eine flüchtige Benachrichtigung.

Wie schade, lieber Jobst! Hätten wir das gestern Abend vor Abgang des Zuges gewußt, so hätten wir die angenehmste Reisegesellschaft gehabt!" Er blickte Walbeck dabei lächelnd in's Gesicht, doch auch neugierig, zu erfahren, was die Veranlassung dieses Rencontres sein könne.Darf ich wissen, wer Ihr Gegner ist?"

Ein Marquis Balsado!"

Balsado? Heißt nicht auch der berühmte Geiger so?"

Es ist derselbe!"

O, das ist interessant! Sollten Sie mit ihm über den Kontrapunkt nicht einig gewesen sein? Also Marquis ist dieser Virtuose! So ist zu ver- muthen, daß er neben seinem Bogen auch die Waffe Zu führen verstehe. Eine interessante Affäre; wird Eklat machen! Wann reisen wir?"

Heut Abend!"

Wie schade, daß wir das gestern nicht gewußt haben! Nehmen wir die Waffen mit?"

Ich denke so!" Walbeck sprach wohl zerstreut, doch mit der größten Ruhe.

Wir frühstücken doch zusammen?"

Wenn es Ihnen recht ist! Ich habe wenig zu ordnen, nur wegen meiner Zeichnungen den jungen Mann Zu instruiren."

Meinen Urlaub habe ich in der Tasche; ich habe nur einige Kommissionen; in einer Stunde hole ich Sie!"

Oppenstein entfernte sich in bester Laune. Die Reise war ihm eine willkommene Zerstreuung. Die Affäre selbst betrachtete er aus dem Kavaliers­gesichtspunkt, wie eine Privatsache, in die er sich nicht zu mischen habe.

Walbeck verlor seine Ruhe nicht. Eine Geschäfts­reise vorgebend, instruirte er Egon, der ihm un­entbehrlich geworden, für die Dauer von acht Tagen und bestieg am Abend mit demselben Gleichmut!) das Coup 6.

Was hatte," grübelte er unterwegs,Balsado veranlaßt, auf die Frist zu verzichten, die er begehrt? Ohne Zweifel eine beabsichtigte Vermählung der Beiden, denn das Gericht hatte bereits auf Scheidung erkannt, und der Geiger war ehrenhaft genug, feine