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Deutsche Roman-Sibtiothek.
Rechnung mit ihm vorher schließen zu wollen. . . Aber gleichviel! Oettinghaus hatte die unverzügliche Austragung acceptirt..." Die Erinnerung mahnte ihn unterwegs auch an jenen Abend; jene Szene in dem Gewächshause wich in der Nacht nicht von ihm, als Oppenstein ihm gegenüber im ruhigsten Schlummer lag. Er war tödtlich beleidigt worden, mochte er jetzt auch kühler darüber denken, denn Niemand hatte ja davon erfahren; seine Ehre begehrte heute noch, was sie damals verlangt.
Oettinghaus empfing ihn am Bahnhof. Es sei Alles arrangirt, meldete er ihm mit großem Gleich- muth, er werde ihn am nächsten Morgen um sechs Uhr abholen.
Kein Wort ward auch am späteren Abend, als sie im Hotel beisammen saßen, über die Veranlassung der Affäre gesprochen; Oettinghaus wußte, daß Bettina in Wien; Frau von Ertel war plauderhaft genug gewesen, ihm Zu sagen, daß sie bereits von ihrem Gatten getrennt lebe; er respeknrte Walbeck's Gefühl. Was über die Sache selbst zu reden war, konnte ja später gesprochen werden, wenn sie nach Kavaliersart in aller Ruhe ansgetragen worden.
Vierunddreitzigstes Kapitel.
Gianetti hatte sich seit jener Auseinandersetzung mit Camill scheinbar nicht um den Letzteren gekümmert, da er für ihn nicht zu existiren schien. Er glaubte zu errathen, was den jungen Künstler so in Anspruch nahm.
Er empfing inzwischen alle die seine Tournee betreffenden Briefe und Depeschen; man erwartete den Künstler überall mit Ungeduld; es standen die glänzendsten Einnahmen in Aussicht und er führte also die Geschäfte fort, als sei nichts geschehen, was diese beeinträchtigen könne.
Ihm selbst war diese Pause willkommen. Er hatte Nachricht von Sauerland, der mit dem neuen Zögling unterwegs war. Stundenlang legte er die Patiencekarten, um seine Spannung zu beschwichtigen. Er konnte sich getäuscht haben in Beurtheilung der Stimme dieses ju-ngen Mädchens; dieselbe sollte auch hier vor Musikern und Kritikern erst geprüft werden.
Immer wieder legte er Patience, regulirte er seine Dutzende von Taschenuhren aller Größen, bis endlich der Moment kam, wo er zum Bahnhof hinaus konnte, um seine Schülerin zu empfangen.
Lola machte, als er sie wieder sah, den besten Eindruck auf ihn. Er maß sie mit kritischen Augen. Dieses Gesicht, diese Gestalt waren mächtige Empfehlungen, für die der Impresario in ihm sehr schwach war. Er nahm von ihrem Begleiter kaum Notiz, behandelte sie mit großer Höflichkeit, führte sie an seinem Arm zum Fiaker, und so fuhr Lola denn mit beklommenem Herzen an feiner Seite in die Stadt. Im Hotel führte er sie selbst in ihr Zimmer, einen hübschen kleinen Salon, bat, nach ihrem Belieben zu verfügen, gab Ordre, das Souper in ihrem Zimmer zu servireu, und verließ sie mit der Andeutung, er werde sie morgen Mittag um zwölf Uhr abholen, um sie seinen musikalischen Freunden vorzustellen. Zitternd vor diesem Morgen, —
denn Sauerland hatte sie unterwegs auf eine Prüfung in Wien vorbereitet — fremd und allein, fand Lola erst spät den Schlummer. Trotzdem erwartete sie den gefürchteten kleinen Mann am Mittag zur bestimmten Stunde in ihrem besten Kostüm.
Erst gegen Abend kehrte Gianetti mit seinem neuen Schützling wieder in's Hotel zurück. Er war in der schönsten Laune; ein gutes Zeichen, denn es war seine Gewohnheit, ein Talent entweder in den Himmel zu heben oder kein gutes Haar an ihm zu lassen.
Die Prüfung war in der That glänzend ausgefallen; ein Kapellmeister, ein bekannter Gesanglehrer, zwei Kritiker waren die Richter gewesen; sie hatten Lola mit Komplimenten überschüttet.
Lola's Herz war so leicht, so groß; sie hätte die Einsamkeit suchen und sich answeinen mögen vor Freude; aber Gianetti ließ sie nicht von sich. Sie mußte nach der Prüfung dem Diner beiwohnen, das er den Kunstrichtern im Restaurant bestellt hatte, und zum ersten Mal seit lange fand auch sie ihre Heiterkeit wieder, als Gianetti auf ihre Bitten der Mutter ein Telegramm gesandt, das die Ihrigen in Freude versetzen sollte.
Als Gianetti's Bote während des Diners vom Tclegraphenamt zurückkehrte, brachte er im geheimen Auftrag desselben ein Etui mit, aus welchem der Impresario eiu kostbares Armband nahm, um es um ihr Handgelenk zu legen.
„Ich selbst," sagte er mit der galantesten Miene, „werde es mir nicht nehmen lassen. Sie nach Mailand zu begleiten!" Und vor ihren Augen schrieb er das Telegramm nach Mailand, seine und ihre Ankunft verkündend.
Es war lauter Jubel in des Mädchens Herzen, aber auch körperliche und seelische Abspannung in demselben, als sie mit Gianetti wieder vor dem Hotel absticg. Der Letztere nahm beim Portier eine Handvoll Briefe und Depeschen in Empfang und fragte diesen flüchtig, im Fortgehen, scheinbar ohne Interesse, ob Balsado zurück sei. Er hörte ebenso flüchtig auch die bejahende Antwort und stieg mit seiner Begleiterin die Treppe hinan.
Oben im Korridor legte er die Hand auf ihren Arm.
„Ich muß Sie doch gleich mit meinem Balsado bekannt machen!" sagte er. „Ich bin eben in der Laune und stolz auf meinen schönen neuen Zögling; Balsado muß Sie heut Abend noch sehen, es soll ihm eine Ueberraschung sein." Damit hatte er die Hand auf das Schloß einer Thür gelegt. „Ich bitte Sie, einen Moment hier in seinem Vorzimmer zu warten; er soll sogleich..."
Er hatte sie bereits mit sich durch die Thür gezogen, hielt aber inmitten des Vorgemachs betroffen inne, denn er sah durch die offene Thür vor sich im Salon fremde Menschen sich unruhig bewegen und schrak zurück vor einer hohen weiblichen Gestalt, die, wie abwehrend, aus dem Salon heraus ihnen entgegen in den Lichtschein trat und auch ihrerseits überrascht einen Schritt zurückwich.
Er erkannte die Baronesse von Oppenstein, die mit bleichem, verstörtem Antlitz, ein schwarzes Flortuch über dem Scheitel, erst auf ihn, dann mit