Heft 
(1885) 49
Seite
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Deutsche Noman-Bibliothek.

müssen. Aber vielleicht stehe es gar nicht so schlimm mit ihm, wie es den Anschein gehabt; er wollte zn ihm zurück, um sich Ueberzeugung Zu verschaffen.

Und die ward ihm, nicht zu seinem Troff, als er wieder im Vorzimmer des Künstlers erschien. Der Chirurg ließ ihn zurückweisen; es dürfe Niemand mehr zu ihm; er liege im Wundfieber. Unmittelbare Gefahr sei allerdings nicht vorhanden, die Heilung könne aber Monde beanspruchen.

Gianetti setzte sich noch in der Nacht hin, um an sämmtliche Zeitungen eine Notiz Zu senden, wie sie ihm geschäftlich znsagte. Er glaubte eine lucide Idee gesunden zu haben, einen dramatischen Abschluß für sein Märchen von der russischen Prinzessin, deren Gatten er jetzt rächend in die Szene treten ließ. Den Schluß dieser Notiz bildete die Bemerkung, daß des armen Künstlers Vorzimmer von Teilnehmenden bestürmt sei, ehe der Vorfall noch allgemein bekannt geworden. In dieser Fassung mußte die Nachricht eine kolossale Sensation in ganz Deutschland be­wirken und Camill's Wiederauftreten sich zu einer musikalischen Epoche gestalten.

Vorläufig hatte er sein Geld in der Tasche; er hatte Zeit und konnte nach Mailand reisen. All' sein Denken konzentrirte sich wieder um seinen neuen Schützling.

Die Karten, die er spät in der Nacht noch legte, fielen günstig.

Fünfuuddreitzigstes Kapitel.

Zehn Uhr war's, als Lola, die eben den Brief an die Mutter beendet, durch ein Pochen an ihrer Thür erschreckt wurde.

Wer ist's?" rief sie erregt.

Ich bin's Bettina! Oeffne; ich möchte mit Dir sprechen!"

Lola stand unentschlossen, mit pochendem Herzen. Was konnte sie von ihr wollen! Der Instinkt ent­fernte sie von ihr, und doch, sie war ihr Dank schuldig ... Mit zagender Hand öffnete sie und trat dann eingeschüchtert zurück.

Bettina's Antlitz war so gestört, ihre Züge waren von Leidenschaft entstellt, ihre Augen hatten einen so unnatürlichen, unruhigen Glanz. Erschöpft sank sie auf einen Sessel und starrte lange schweigend, mit im Schooß ruhenden Händen vor sich.

Daß mir dieß geschehen mußte! Ich verliere den Verstand, ich werde wahnsinnig!" stöhnte sie, die Hände gegen die Schläfen pressend.Ich durch­schaue Alles, was man mir verschweigen will! Das war er! Es war seine Rache! O, ich könnte ihn ermorden, diesen Elenden, der mir mein Götterbild zertrümmerte!"

Lola empfand ein Gefühl des Mitleids. Sie wagte kaum zu sprechen, denn sie kannte Bettina's Heftigkeit.

Du sprichst von ihm . .. von Walbeck?"

Nenne mir nicht den Namen dieses Mörders! Er macht mich toll!"

Lola fühlte jetzt den Muth, offen zu ihr zu reden.

Bettina, verzeih'! Hat er Dich nicht geliebt?

Sah ich es nicht, wie er Dich anbetete? Ich erkannte es an jenem Abend, als er erfahren..."

Hab' ich ihm ein Hehl daraus gemacht, daß ich ihn verabscheute?" Bettina's Blick, wie sie aufschaute, glühte von Haß und Empörung.Ich verachtete ihn, als er, errathend, was in mir vorgehe, dennoch mich mit seiner Liebe verfolgte. Aber wer heißt Dich ihm das Wort zu reden? Hätte er mich ge- tödtet, ich hätte im Sterben wenigstens den Mann in ihm erkannt; er zog die Rache an ihm vor, weil er wußte, daß er mich damit langsam hinmartere! Aber Du warst schon damals für ihn, ich sah es!"

Ich kann Walbeck nur achten; warum suchtest Du mich, wenn Du dieß wußtest?"

Er wollte mein Geld, das wußte ich!"

Dein Geld? O, Dein unseliges Geld! Es bringt keinen Segen; es wird ihn auch Dir nicht bringen! Ich möchte Dein Gewissen nicht haben! Magst Du es nie bereuen, daß Du den besten, ehr­lichsten Mann von Dir gestoßen, um . .. Doch ich habe kein Recht..."

Sag' Alles! Was Du willst!"

Nun denn: um Dich mit Deinem Ungestüm einem Mann hinzugeben, von dem Du gar nicht die Ueberzeugung haben kannst, daß er Dich wirklich liebt; um dessenwillen Dein armer Pflegevater, der Dich mit Wohlthaten, ja mit Allem, was er an irdischen Gütern besaß, überhäufte, geopfert werden konnte; denn Du vergiß es nicht! Du warst schuld an seinem Tode, und ich, die ich unbesonnen genug war, aus Deiner Hand zu nehmen, was gar nicht Dir gehörte, ich mußte mich eine Diebin nennen lassen, mußte als die Schuldige erscheinen, die das Leben dieses unglücklichen Mannes verkürzt! Nein, ich möchte Dein Gewissen nicht haben, nicht um alles Glück der Welt! Aber ich habe nicht mit Dir zu rechten!" Lola wandte sich ermüdet von ihr.

Laß uns in Freundschaft von einander scheiden, denn unsere Wege haben sich getrennt. Was ich Dir an Dank schuldig bin, soll Dir nicht vorenthalten sein; Gott gebe, daß ich es Dir dereinst vergelten kann."

Nein, nein!" Bettina erhob sich stürmisch.Ich kam ja, um Dich zu bitten: ,Bleib' Du bei mir!' Die Welt ist mir so grau, so düster geworden, seit ich nicht in sein Auge blicken darf! Der Arzt hat mich von seinem Lager verbannt, dieser Unmensch! Ich soll ihn wochenlang nicht sehen. O, ich er­trage das nicht! Verlaß mich nicht, Lola, ich be­schwöre Dich! Sag' mir, was Du von mir verlangst! Was kann denn Dir die Welt bieten? Du bist arm!"

Ich war es, Bettina! Aber ich bin reich ge­worden, wenn auch nur an Hoffnungen! Gott wird sie in Erfüllung gehen lassen."

Bettina verstand sie nicht; sie hatte keinen Sinn, kein Verständniß für das, was Andere betras. Trost­los ließ sie Lola's Arm.

Du willst nicht! Und was wird aus mir? Allein in dieser fremden Welt!"

Auch ich gehe allein in diese hinaus, aber mit freudigem Herzen! Ich habe Alles; Du könntest mir nichts bieten, was ich begehren möchte!"

Und wohin gehst Du?" fragte Bettina verzagt, fast tonlos.