Die tolle Setty von Hans Wachenhusen.
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„Es braucht Dir kein Geheimniß zu sein. — Nach Mailand. Ich folge morgen einem fremden Willen, von dem meine Zukunft abhängig."
„Morgen schon? — So leb' wohl!" Verletzt, mit gesenktem Haupt verließ Bettina das Zimmer.
Um dieselbe Stunde saßen Walbeck, Oppenstein und Oettinghaus im Hotel beim Souper. Sie waren nicht heiter. Jobst fühlte eine Bewegung in der Brust, deren er nicht Meister werden konnte; Albert von Oppenstein war taktvoll genug gewesen, überhaupt nicht weiter nach der Veranlassung des Rencontres zu fragen; er errieth sie nur aus einigen halben Worten von Oettinghaus.
„Sie hatten keinen ausgezeichneten Schützen sich gegenüber, Walbeck," sagte der Letztere, als alle Drei doch gar zu schweigsam wurden. „Sie schonten ihn, aber ein Resultat mußte doch die Sache beim dritten Gange haben."
„Ich gestehe, daß ich zauderte, meine sichere Kugel auf einen Antinous wie diesen zu richten; wäre er mir weibisch erschienen, wie ich ihn mir aus der Mensur dachte, obgleich Sie mich auf das Gegen- theil vorbereitet, lieber Oettinghaus, ich würde nicht gezaudert haben. Seine Haltung und Miene waren makellos."
Jobst fühlte sein Herz laut pochen. Er sah den Künstler fortwährend, wie er vor ihm auf dem Platz erschien. Zweimal hatte seine Hand sich nicht entschließen können, tödtliche Genugthuung zu nehmen, denn sein Gegner hatte ja ohne Wissen gegen seine Ehre gesündigt; endlich aber hatte ein Blick von Oppenstein ihm Zweifel an seiner Sicherheit als ' Schütze gedeutet und der Moment hatte ihm den Gedanken eingegeben, den Menschen zu schonen, aber den Künstler zu treffen.
„Es war ein Meisterschuß!" hatte Oppenstein vor sich hin gemurmelt, als er Zum Wagen zurückkehrte, Walbeck aber hatte ihn verstanden. Er hatte schließlich gesehen, wie der Künstler, die Bedeutung und Tragweite seiner Verletzung erkennend, doch dem Chirurgen den Arm hingereicht, ohne eine Wimper zu bewegen, während er mit der Linken dankend die Hand seiner Zeugen drückte. Und auch der Moment wollte ihm nicht aus dem Gedächtniß. Aber es war geschehen und Beider Rechnung war jetzt geschloffen.
„Ich hätte wohl noch einen Wunsch," sagte Oppenstein, als sie sich erhoben, um die Ruhe zu suchen. „Unsere interessante Freundin, die uns hieher voran- ! gereist ist, hätt' ich gern noch aufgesucht, falls sie ^ noch hier ist, aber es wird besser sein, morgen mit Tagesanbruch die Grenze zu erreichen. Also auf Wiedersehen bei uns zu friedlicherem Beisammensein sobald Sie Urlaub bekommen, Herr Kamerad!"
Er reichte Oettinghaus zum Abschied die Hand und dieser schied von ihnen.
„Sie, lieber Jobst," fuhr Oppenstein fort, als auch sie sich erhoben, um noch einige Stunden des Schlafs zu genießen, „Sie halte ich beim Wort. Wir gehen nicht direkt nach Berlin, sondern zu meinen Eltern auf das Gut; ich habe ihnen schon viel von Ihnen geschrieben, sie und meine Schwester werden sich herzlich freuen. Sie kennen Zu lernen."
Sechsunddreitzigstes Kapitel.
Der dramatische Schlußeffekt, mit welchem Gianetti die Welt getäuscht, hatte seine Wirkung geübt. Man glaubte an das plötzliche Erscheinen des erzürnten Gatten der russischen Prinzessin; die Behörde forschte nicht nach der hohen Persönlichkeit, und erst acht Tage später brach sich eine andere Version Bahn: die asiatische Prinzessin hatte sich in ein bildschönes junges Weib aus Norddeutschland verwandelt, das sein Inkognito abgelegt. Die Gäste jener Soiree bei Frau von Ertel erkannten in ihr die Baronin von Oppenstein, die an jenem einzigen Abend sich bei dieser gezeigt und wieder verschwunden war.
In Einem hatte Gianetti die Wahrheit gesagt: das Interesse für den unglücklichen jungen Virtuosen steigerte sich und äußerte sich in enthusiastischer Weise; das Hotel wurde vom ersten Morgen an bestürmt; der Portier sah sich genöthigt, den Posten vor dem Thor des Hotels zu beziehen, um die Anfragen aus den vor dasselbe anfahrenden Equipagen zu beantworten, so gut er konnte, und die Karten in Empfang zu nehmen, die ihm zum Theil von zarten Händen aus dem Wagenfenster gereicht wurden.
Einige Wiener Elegants, die sich einen Sport daraus gemacht, vom Gastzimmer des Hotels aus die so teilnehmenden Damen zu kontroliren, waren es gewesen, welche die berühmt gewordene russische Prinzessin demaskirten. Sie erkannten vermöge ihrer i Bekanntschaft im Ertel'schen Hause die schöne, so plötzlich wieder verschwundene Fremde trotz ihres Schleiers, wie sie täglich in einem unnumerirten Fiaker vor das Hotel fuhr und den Portier mit Fragen bestürmte.
Aber auch jetzt noch zeigte sich die Fremde nur Denen, die sie Wider ihren Wunsch sahen. Bettina in ihrer Ungeduld stand Tage und Nächte der Qual, eines unzähmbaren Verlangens ans; eine Grausamkeit erschien es ihr, daß man sie verbannt hatte von dem Schmerzenslager ihres Abgotts; sie kannte Niemanden in Wien und wollte Niemanden sehen, nur Pauline von Ertel sah sie gleich anfangs verschleiert bei sich erscheinen und diese mußte alle Gründe der Vernunft aufbieten, um ihr einleuchtend zu machen, wie noth- wendig einem Naturell wie dem ihrigen gegenüber die Maßnahme des Arztes sei.
Pauline war auch die Einzige, die von ihr in das Geheimniß eingeweiht worden, und diese, erschreckend über den Gedanken, daß sie durch Bet- tina's Unvorsichtigkeit mit kompromittirt werden könne, suchte die Sache zu vertuschen. Sie wählte gerade den Lieutenant von Oettinghaus in der Sache zum Apostel; ihn in's Vertrauen ziehend, erzählte sie ihm mit der Miene der größten Aufrichtigkeit, ihre Freundin stehe diesem Duell ganz fern, er möge das unter seinen Kameraden verbreiten, es sei nichts wahrscheinlicher, als daß jener russische Prinz seine Gattin mit sich nach Asien geführt und die Passion derselben für den Künstler durch das Duell ein jähes Ende gefunden.
Oettinghaus seinerseits gab sich denn auch die Miene, als glaube er, und verbreitete diese Nachricht, doch mit wenig Glück. Die öffentliche Meinung hat