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Deutsche Noman-Sibliothek.
ihre richtigen Instinkte, und Bettina war zu unvorsichtig.
Inzwischen hatte ein Anderer die von ihr so beneidete Stätte an Balsado's Lager eingenommen. Gianetti hatte in der Nacht noch den Maestro Pinelli in Neapel telegraphisch von dem Vorgefallenen in Kenntniß gesetzt, „^.llllirs äs kemms," hatte er hinzugefügt, und der alte Mann hatte sich unverzüglich auf den Weg gemacht, um zu seinem Camillo zu eilen, der seine Freude und seine Liebe war.
Trauernd, die langen, schmalen Hände im Schoost gefaltet, saß der arme Maestro zur Seite seines bleich und regungslos daliegenden Schülers, der ihn mit einem schmerzvollen Lächeln empfangen hatte. Kein Wort des Vorwurfs war über Pinelli's Lippen gekommen, aber sein Herz blutete, als er zu seinem Entsetzen die Verwundung gesehen.
Der Knabe, als Gianetti denselben zu ihm brachte, hatte das ganze Herz des kinderlosen Mannes gewonnen; er hatte dieses Herz an den Zögling gehängt, als er die Ueberzeugung von dem unvergleichlichen Talent desselben gewonnen; er sollte sein Stolz sein, wenn sein Arm zu schwach ward, um den eigenen Ruhm aufrecht zu halten; er sollte ihn übertreffen; kein Geiger sollte würdig sein, Camill die Schuhriemen zu lösen, sobald er ihn fertig in die Welt hinaussandte.
Das innigste Verhältniß hatte sich zwischen dem Maestro und seinem Schüler hergestellt; Beide hingen mit gleicher Zärtlichkeit aneinander. Pinelli verwendete Alles, was Gianetti ihm zahlte, für die Erziehung des Knaben, er opferte sogar von dem Eigenen. Er hatte Camill's Mutter an San Carlo singen gehört und die Gefeierte bewundert, die sich durch ihre Liebe für den schönen, ritterlichen, aber leichtsinnigen Marchese Orlando Balsado der Kunst hatte entfremden lassen und so unglücklich geworden. Er hatte in Camill das Ebenbild jenes schönen Nobile wiedererkannt; Camill sollte neben der Erziehung als Künstler auch die eines Kavaliers genießen, und diesen Vorsatz hatte er treu erfüllt.
Aber Eins hatte der Maestro dabei stets im Auge behalten, wenn er die theuersten Erzieher bezahlte: den ritterlichen Orlando hatten die Frauen Neapels durch ihre Gunst verzogen, sie waren sein Unglück und das seines armen Weibes geworden; er hütete deßhalb den Sohn vor der Fährte des unglücklichen Vaters.
Als er Camill für reis genug hielt, ihn zu verstehen, schilderte er ihm warnend den Leichtsinn, die Schicksale des Letzteren.
„Merke Dir," belehrte er ihn unablässig, „jedes Weib, das in den Weg des Mannes tritt, wirft ihm Steine in denselben, denn es ist die Nebenbuhlerin seines Berufs, seines Strebens, mit dem es mindestens sein Denken, sein Handeln, seine Seele und seine Kraft zu theilen verlangt, wenn es nicht unvernünftig genug ist, ihn ganz zu begehren. Darum lächle den Weibern, die Dich verehren, aber fliehe das eine Weib, das Dich besitzen will!"
Unablässig hatte er ihm das wiederholt und selbst ihn gehütet wie seinen Augapfel, wenn die Mädchen der Nachbarschaft sich unter die Palmen und Jasmin
büsche seines Gartens schlichen, hinter dem Bambus und Zuckerrohr ihn bei seinem Spiel belauschten, wenn die Gesellschaft Neapels den jungen Künstler so stürmisch begehrte. Er hatte namentlich das verführerische junge Weib, die üppige Rosina, die ihm nachstellte, von ihm fern gehalten, und als die Zeit gekommen war, sich von der geliebten Golfstadt trennen können, um selbst ihn nach Paris an das Con- servatoire zu begleiten. Er hatte ihn mit heißen Thränen an Gianetti zurückgeben müssen, ein Stück von seinem treuen, väterlichen Herzen; er hatte endlich in allen seinen Briefen ihm seine Lehren in's Gedächtniß gerufen, und so bald schon hatte er sehen müssen, wie diese zu Schanden geworden.
Und jetzt saß er da am Lager seines unglücklichen Schülers! Ein Weib hatte es diesem anthun müssen, den er gefeit genug geglaubt; ein Weib war schuld geworden, daß dieser Arm, um den er sich so unsägliche Mühe gegeben, in der brutalsten Weise ge- mißhandelt worden und vielleicht nimmermehr den Bogen mit der Anmuth und Sicherheit zu führen vermochte, die er ihn gelehrt!
Die Aerzte — und es waren die berühmtesten von ihm herbeigezogen — hatten ihm wohl die beste Hoffnung gemacht, aber in ihm zitterte dennoch die Furcht.
Der Kummer hatte auch ihn abgehärmt; zu dem Alter hatte sich noch der Seelenschmerz gesellt, um in dem scharf ausgeprägten, gelben sizilianischen Profil die über die Wangen gezogenen Falten tiefer zu graben, seine braunen Augen waren glanzlos geworden, schärfer sprang die Adlernase unter den buschigen Brauen hervor, die Stirn glänzte wie vergilbtes Elfenbein und das lange, in den Nacken zurückgestrichene Haar, nicht ergraut, sondern zu der fahlen Farbe der trockenen Kaffeebohne verblaßt, von noch erhaltenen, dünnen braunen Strähnen durchwachsen, legte sich in schlangenartigen Wülsten über den Scheitel.
Er sprach nur leise, er antwortete nur durch Winke, wenn Camill etwas begehrte; seine eigen- thümlich geformten, schmalen, gestreckten Hände mit den langen, sich wie die Krallen eines Adlers bewegenden Fingern, wenn sie im Dienste des Kranken thätig, folgten ungleichen Gesetzen; die Finger der Rechten waren vom mittleren Gelenk nach außen gebogen, während die der Linken sich im Bogen nach innen bewegten, als suchten sie den Hals der Geige Zu umklammern und auf dem Griffbrett zu spielen.
Kein Laut verrieth sein Thun, nur mit einem stummen Blick auf Camill senkte er die langen, dünnen Arme, ließ er seine dürre, lange Gestalt auf den Sessel zurücksinken, und wenn ihm dabei ein warmes Lächeln des Kranken dankte, so flog es wohl auch über sein Antlitz wie ein matter Sonnenstrahl aus trübem Nebel.
Wochen waren verstrichen seit des Maestro Ankunft — für Bettina eine Ewigkeit der Qual. Sie hatte Briefe über Briefe gesandt, aber keiner von ihnen war an den Kranken gekommen; sie hatte flehentlich den Arzt gebeten, sie nur auf Sekunden zu dem Verwundeten zu lassen; was dieser aber jetzt zu gestatten geneigt war, verhinderte Pinelli mit unbeugsamer Konsequenz, seit er sie einmal gesehen, wie sie vor dem Hotel in den Wagen zurückgestiegen.