Viele des Lebens von W. Seiger.
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„Die Güte Ihres Vaters," sagte Klara, „hat dieß Gemach für mich ausgestattet. Sie sehen, wie er mich verwöhnt hat. Er selbst erlaubte sich keinen Luxus, kaum eine Bequemlichkeit, wie deren heutzutage die veränderte Mode schafft. Hier aber hat er Alles zusammengehäuft, was geläuterter Geschmack strengen Augen darbieten kann. Unter meinen Füßen hat er einen persischen Teppich ausbreiten lassen, so schwer, so reich, wie einer in Smyrna zu finden war. Dort die Statue des Hermes in der grünen Nische stammt aus Rom; die Kupferstiche au den Wänden, Meisterwerke älterer und neuerer Zeit, sind Abdrücke vor der Schrift, längst aus dem Kunsthandel verschwunden; jene bronzenen Vasen und Schalen ans meinem Schreibtisch sind Nachbildungen berühmter Stücke von Benvenuto Cellini."
„Von diesen Dingen versteh' ich so gut wie nichts," unterbrach Arthur die hastiger als sonst Redende. „Von Italien her kennen Sie ja meine Unwissenheit. Vielleicht könnt' ich's hier in Deutschland noch zu einigen Kenntnissen in den schönen Künsten bringen, wenn mich ein Lehrmeister unterrichten wollte, der mir ansteht; nur hat sich leider der einzige, den ich kenne und von dem ich etwas annehmen würde, soeben anderweitig versagt."
Klara stand verlegen. „So setzen Sie sich doch, Sie fleißige Stadtreisende," sagte Arthur. „Sie sind müde, Sie sind durstig. Trinken Sie Ihren Thee; ich werde derweil auf diesem blumenreichen Teppich unhörbar spazieren gehen und Ihnen etwas erzählen."
Er wies sie mit gebieterischer Handbewegung nach ihrem Sessel hin. Klara fügte sich seinem Willen und nahm hinter ihrer Tasse Platz. „Es scheint mir, Vetter," scherzte sie, „die tyrannische Seite Ihrer Natur kommt wieder obenauf; ein sicheres Zeichen, daß Sie keine Pflegerin mehr nöthig haben."
Arthur antwortete nicht; er wauderte langsam hin und her mit geneigtem Haupt; nur zuweilen stahl sich ein unsicherer, forschender Blick Zu Klara hinüber.
Die Stille wurde ihr peinlich. „Nun," wandte sie sich an den Nachdenklichen, „wollten Sie mir nicht etwas erzählen?"
Er stand am Pianino still, lehnte sich gegen die Kante desselben und verschränkte die Arme. „Möchten Sie in New-Dork leben, Klara?" fragte er plötzlich.
„O nein, Vetter; dahin passe ich nicht," kam prompt die Antwort.
„Unter keiner Bedingung würden Sie dort leben mögen?" wiederholte er und sixirte Klara mit einem seltsamen Blick.
Einen Augenblick zögernd, erwiederte sie: „Ich wüßte keine Bedingung, die mich veranlassen könnte, mein Vaterland zu verlassen, wenn ich, frei wäre und thun und lassen könnte, was ich wollte."
„Sie haben Recht; ich dachte mir's."
Wieder wanderte Arthur einige Male durch das Zimmer, als ob er noch nicht einig mit sich sei, mit welcher Frage er zunächst die Cousine in Verwunderung setzen solle. Endlich Zog er einen Stuhl heran und setzte sich Klara gegenüber.
„Unter meines Vaters Papieren, die ich heute durchgesehen habe," begann er, „befindet sich ein Tagebuch desselben. Es ist nicht regelmäßig geführt:
der Zeit nach sind viele und große Lücken darin. Dennoch ist es so vollständig, daß ich mir einbilden kann, ich hätte unsichtbar neben und mit meinem Vater gelebt, während ich in der Fremde war. Und jetzt erst kenne ich ihn nnd freue mich, daß ein solcher Mann mein Vater war."
Er schwieg ein paar Sekunden, dann fuhr er belebter fort: „Es that mir Noth, diese Stimme zu vernehmen, gerade jetzt Noth, wo ich Entscheidungen der schwerwiegendsten Art zu treffen habe. ,Meiu Sohn könnte' — so heißt es in dem Tagebuche — ,in dem neuen deutschen Hause behaglich wohnen? Der alte Patriot hat Recht. Der Geist des Vaterlandes ist ein hoher Geist, deß bin ich allmälig inne geworden. Ergeben möchte ich mich ihm, möchte ihm ähnlich werden. Aber ich mißtraue mir. Alte Gewohnheiten halten mich gefesselt; des Tages ephemere Widerwärtigkeiten werfen mich aus der Bahn. Es müßte Jemand bei mir stehen, der beständig mit dem Finger nach oben weist. Ich will die Erbschaft meines Vaters antreten, ich will da einsetzen, wo er Zn wirken aufhörte, ich will dem Vaterlande meine ganze Kraft widmen, — wenn Sie, Klara, meine Gefährtin sein wollen, wenn Sie für immer zu mir treten als mein Weib, als inein Schutzgeist, meine Freundin, mein Alles."
Es war heraus. Klara, die arme Klara, schauerte zusammen, als das gefürchtete Geständniß an ihr lauschendes Ohr schlug. Unwillkürlich preßten sich ihre Hände auf der Brust ineinander; tief neigte sich ihr Kops herab. Vergeblich suchte Arthur ihren Blick. Endlich richtete sie die feucht gewordenen Augen voll auf ihn. „O Arthur," rief sie schmerzlich aus, „warum haben Sie mir das gethan? Warum sind Sie nicht barmherzig gewesen? Gefaßt ging ich meinen Weg; nun reißen auch Sie an mir und versuchen, mich meiner Pflicht abspenstig zu machen! Und Sie wissen doch, was an mir hängt, was mich nicht entbehren kann!"
„Wenn es nur das ist, Klara, nichts weiter als das —"
„Nein, nein, es ist mehr, weit mehr," unterbrach Klara hastig, wie erschrocken, daß sie bereits zu viel eingestanden habe. „Sie irren, Arthur, — etwas reißt Sie hin, ich weiß nicht was — Mitleid vielleicht — Sie haben die Aufzeichnungen Ihres Vaters gelesen — Sie sind weich geworden dabei
— heroische Entschlüsse kommen in solcher Stimmung wie etwas Gewöhnliches, Alltägliches; ihre Ausführung erscheint dem bewegten Herzen eine Kleinigkeit — ich muß für Sie denken, Arthur, für Sie besonnen sein
— o Gott, bin ich denn da, um geheirathet zu werden — ich, ein verwachsenes, kränkliches Geschöpf — eine Last, eine Plage da, wo ich nicht Helsen kann —"
„Halten Sie ein!" bat Arthur. „Ich mag nicht hören, daß Sie diese unwesentliche Seite Ihrer Persönlichkeit vorschieben, um mich stutzig, um mich bedenklich zu machen. Nur wer nicht liebt, steht vor dergleichen zaudernd still. Heute Morgen schon wollt' ich mein Anliegen Vorbringen; dann, als Sie mir Ihres Vaters Brief, Ihren Entschluß mitgetheilt hatten, Zwang ich mich zum Schweigen. Ich — nun ja, ich schämte mich vor Ihnen. Sie waren die