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Deutsche Roman-Bibliothek.
meiner Mutter hätt' ich am Ende aufgeräumt, wenn sie's verlangt hätte. Aber nein, sie erklärte mir ohne jeden Vorbehalt, ich möge mir jeden Gedanken an sie aus dem Sinn schlagen, und sie hat eine sehr bestimmte Art an sich, Einem deutlich zu machen, woran man ist. Das ganze Gespräch dauerte keine fünf Minuten, da ließ sie mich stehen, und ehe ich mich nur so weit besinnen konnte, daß ich den Hut abnahm, war sie schon in die Hausthür geschlüpft."
Nur schwer konnte sich Arthur des Lächelns enthalten. „Sie sind wirklich bedauernswerth, Herr Klaus," sagte er. „Aber Sie werden sich hoffentlich dazu bringen, diese Enttäuschung mit philosophischem Gleichmuth zu nehmen. Geheimer Kummer taugt nicht sür's Geschäft; er trübt die Augen und lenkt die Gedanken ab."
„Ich werde bald wieder der Alte sein," versprach Hermann Klaus. „Schmerzlich aber ist's doch; eine weiche Stelle hat unsereiner auch." Er stand aus. „Also nicht wabr, Herr Ueberweg, Sie haben die Güte — was ich vorhin erwähnte — wie hoch sagten Sie doch, daß das Legat seid"
Arthur wiederholte die Summe.
„Es soll sogleich besorgt werden. Ein schönes Stück Geld, Herr Ueberweg! Wenn's nur der alte Holder, der Leichtfuß, nicht in die Finger bekommt!"
„Das kann uns Beiden gleichgültig sein, Herr Klaus," erwiederte Arthur.
Der Andere ging leise seufzend aus dem Kabinet des Prinzipals. Später brachte Arthur das Bankbuch in die Wohnräume hinüber, suchte Klara auf und legte es in ihre Hände. Sie ließ sich erklären, welche Bewandtniß es damit habe; dann gab sie es an Arthur zurück mit der Bitte, er möge es für sie ausbewahren. „Sollte ich einmal wirklich in Noth kommen," sagte sie, „so will ich's angreisen; nicht eher. Bis dahin bleibt es besser in Deinem Gewahrsam."
„Du magst Recht haben," erwiederte Arthur nach kurzem Besinnen. „Versprich mir aber, daß Du es nicht zum Aeußersten kommen lassen willst. Auch sollst Du das Maß Deiner Ansprüche Dir nicht herabschrauben lassen. Am liebsten würde ich Dir Deine Zimmereinrichtung nach Berlin senden, den Teppich, die Statue, die Stiche —"
„Nein, nein," protestirte Klara lebhaft. „Hier war's mein Recht, mich darin heimisch zu fühlen; anderswo könnt' ich's nicht. Beengen würde mich, was mich bisher erfreut hat."
„Du mußt nun einmal in allen Stücken Deinen Willen haben. Es würde Dir in meinen Augen nicht schaden, wenn Du etwas weniger vernünftig wärest. Noch Eins, Klara. Du gehst in eigenthüm- liche Verhältnisse. Deinen Vater hast Du in fünf Jahren nicht gesehen. Menschen ändern sich. Einer, der von seinem Dämon nach unten gezogen wird, kann in späten Jahren nur schwer die Wendung nach oben machen, selbst wenn ein Engel ihm dabei seine Hülse anbietet. Sollte der Fall eintreten, daß die Zügel Deinen Händen entschlüpfen, daß Du geschehen lassen mußt, was nicht sein darf, weil Deine Macht am Ende ist — dann, Klara, rufe mich. Ich rechne fest daraus, hörst Dud Wenn ich diese Gewißheit
nicht habe, kann ich um Deinetwillen nicht ruhig sein."
„Ich verspreche es Dir," sagte Klara einfach.
„So ist geordnet, was geordnet werden mußte, ehe Du gehst. Vergiß nicht, daß hier Deine Heimat sein wird; es wird Dich stärken, wenn Du zuweilen daran denkst. Und," fügte er lächelnd hinzu, „auch an Hermann Klaus und seine Mutter darfst Du Dich mitunter freundschaftlich erinnern —"
„Du weißtd"
Arthur nickte. „Du siehst, Klara, es muß doch ein recht strahlendes Licht in Dir sein, daß es sogar dieser Motte in die blöden Augen hinein geschienen hat!"
Mittags begleitete er sie zum Bahnhof. Beide waren einsylbig unterwegs. Einmal sagte Klara aus ihrer Wagenecke heraus: „Bei dieser Fahrt haben wir keine Lawinen zu fürchten."
Arthur starrte vor sich hin. „Und wenn der Himmel jetzt einfiele, was läge daran?" erwiederte er düster. „Ungewiß ist das Morgen, auf das ich hoffe. Nur ein Thor läßt sich mit der Verheißung zukünftigen Glückes abspeisen. Wie er sich's träumt, so kommt es nie — wenn es kommt. — Doch nein," fuhr er in hellerem Tone fort, „ich will Dir nicht den Mnthlosen, den Verzweifelnden Vorspielen. Es ist mein Fach nicht. Nein, Klara, der Himmel soll stehen bleiben und Sonne und Sterne sollen daran rnndwandern wie bisher." Er nahm ihre Hände in die seinigen. „Einst wird doch der Tag kommen, der die zusammen begraben Gewesenen wieder zu einander führt!"
Sie neigte sich zu ihm hinüber; er küßte sie aus den Mund und fühlte den leichten Gegendruck ihrer Lippen.
Das war der Abschied. Was sie noch unter sich verhandelten, bis der Zug davon rollte, bedeutete nichts mehr, war wie der konventionell ausklingende Schluß eines Symphouiesatzes, worin der Flug der Melodieen sich bis in die Wolken erhoben hat. Der letzte Akkord verhallte. Zurück in's öde Haus, Arthur, zur Arbeit, zu neuem Denken!
Hermann Klaus hatte wahrlich keine Zeit, in Melancholie zu verfallen. Der neue Chef setzte die Räder des träge gewordenen Werkes in solch' schleunige Bewegung, daß ihm zuerst Hören und Sehen dabei verging. Allmälig akkommodirte sich das arbeitsame Männlein dem schnellen Tempo; ja, er trabte mit einer Art von Begeisterung hinter Arthur her. Herr Ueberweg sei ein kaufmännisches Genie, versicherte er Jeden, der vertraulich bei ihm anfragte, wessen sich die Stadt von dem neuen Bürger zu versehen habe. Und die Stadt merkte allerdings bald, daß die Firma Konstantin Ueberweg mächtig aufschoß und sich ausbreitete. Nach alter Gewohnheit spann Arthur auch von dem neugewonnenen Central- puukte seine Fäden rasch und sicher nach allen Richtungen hinaus. Man suchte ihn; eh' er sich's versah, war er im Kreise der Berufsgenossen fast schon einheimisch. Ihm selbst aber schien es, als wenn seit Klara's Abreise sich sein Horizont beständig verengte. „Ich lehre Andere; ich selbst lerne nichts," sagte er sich. „Wie kommt das? Der Geist des