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Geländes, auf dem die Kämpfe hin- und herwogten. Die Chronik mancher Schlösser gehört mehr der Ortsgeschichte an; auch einige der hervorragenden Männer, deren Lebenslauf uns dargestellt wird, dürften sich nur wenig aus dem Bereiche der preußisch- brandenburgischen Geschichte erheben; doch auch an weltgeschichtlichen Größen fehlt es nicht und diese werden hier meist durch die kleinen Lichtslümmchen der Anekdote beleuchtet.
Ein so umfassendes Werk über eine einzelne Provinz zu schreiben, ohne daß der Strom der Darstellung allzu viele todte Arme bildet, dazu gehört ein aufgeschlossener Sinn für die kleinen Einzelzüge, die Fähigkeit zu einer meisterlichen Kleinmalerei und das warme Herz des Poeten, der alles, was einen höheren Flug nimmt, gleichfühlend zu verfolgen weiß. Und diese Vorzüge hat Theodor Fontane in seinen; Werke bewahrt. Spricht sich schon in diesem seine Vorliebe für das Kriegswesen und seine Begeisterung für preußischen Kriegsrnhm an jeder geeigneten Stelle aus , so trieb ihn beides auch zu selbständiger Darstellung der letzten großen Kriege an. Die Schrift „Der schleswig-holsteinische Krieg im Jahre 1864" erschien; 1866; diejenige über den „Deutschen Krieg von 1866" im Jahre 1869; die zweibändige Geschichte des „Deutschfranzösischen Kriegs" in der; Jahren 1874—76. Es sind keine militärischen; Machwerke, es sind Volksschriften. Allen gemeinsam sind die Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Darstellung, die Rück-- blicke auf die Geschichte, die Schilderung von Land und Leuten, die farbenreiche Charakteristik der Heerführer und Fürsten, welche auch die Anekdote nicht verschmäht.
Als „Schlachtenbummler" in Frankreich in; Jahre 1870 hatte Fontane Abenteuer zu bestehen, die er uns in seiner Schrift „Kriegsgefangen" in sehr eingehenden Plaudereien schildert. Niemand Geringeres als die Jungfrau von Orleans war schuld an der; Fährnissen, welche ihn; dort bereitet wurden. Im Oktober 1870 machte er von Toul einen Ausflug nach Domremy, den; Geburtsort der französischer; Heldin; da ihn; der Kutscher, der ihn fuhr, verdächtig erschien, nahm er sich einen Revolver mit, wie er auch im Besitze eines Stoßdegens war. Er besuchte die geweihte Stätte, wo die Jungfrau geboren wurde, und die gothische Kapelle, deren bunte Scheiben ihr Wappen aufweisen und vor deren Thore sich ihre Statue erhebt. Er klopfte mit seinen; spanischen Rohr an der Statue umher, um sich zu überzeugen, ob es Bronze oder gebrannter Thon sei. Da kamen 8 bis 12 Männer auf ihn zu und fragten ihn nach seiner Legitimation; er überreichte eine rothe Tasche mit Preußischen Papieren; man ging ins Wirthshaus zu näherer Untersuchung ; da kamen zufällig Stockdegen und Revolver zum Vorschein; die Stimmung war eine heikle; man brachte ihn auf die Svuspräfektur von
Neufchatean. Nun begann jene lange Reihe von Verhören, Untersuchungen und Gefängnißwanderungen bis auf die Insel Olöron in; Atlantischen Ocean, die uns Fontane in seiner kleinen Schrift so anschaulich und mit so gutem Humor schildert; es ist ein Gemälde, das nicht das geringste Kerkergrauen athmet. lieber den französischen Nationalcharakter spricht sich Fontane im ganzen sehr günstig ans; er hat nur die besten Eindrücke erhalten. Im allgemeinen kämen, sagt er, auf 10 oder 7 oder 5 Individuen immer ein unleidlicher Mensch, in Frankreich habe er etwa 200 verschiedene Personen kennen gelernt und nicht die geringste Unannehmlichkeit, geschweige Unart erfahren; „sie waren alle verbindlich, rücksichtsvoll, zuvorkommend, dankbar für jeden kleinen Dienst, nie beleidigt durch Widerspruch, vor allem ohne Schabernack und ohne Neid." Leichter Sinn und heitere Laune, große Gutmüthigkeit war bei allen zu finden, — ein Urtheil, das sehr für Fontanes Unbefangenheit und Unparteilichkeit spricht.
In den letzten Jahrzehnten ist Fontane auch als Roman- dichter aufgetreten; sein Hauptwerk ist der Roman „Vor den; Sturm" (4 Bünde, 1878). Er spielt in Preußen in der Zeit vor dem Befreiungskriege 1812 bis 1813 und giebt ein treffliches, oft mit peinlicher Genauigkeit und Sauberkeit ausgeführtes Gemälde der damaligen Stimmungen und Vorgänge in allen Lebenskreise;;. Volksthümliche Schilderungen, zum Theil mit humoristischer Beleuchtung, gehören zu den Glanzpunkten des Werkes. Die
Handlung selbst bewegt sich nur langsam vorwärts. Kleinere Romane Fontanes sind „Ellernklipp" (1881), ein düster schwer- müthiges Stimmungsbild von poetischer Wirkung, in welchem das Leben der Heide meisterlich gezeichnet und die Liebe von Vater und Sohn zu demselben Mädchen den Knotenpunkt der Ereignisse bildet; ferner „L'Adnltera", ein Sittenbild aus dem Berliner ^ Leben; „Schach von Wuthenow" und „Gras Petöfy". Die
Ortsfärbung und die Charakterzeichnung sind in allen diesen ! Romanen gleich rühmenswerth. Das jüngste Werk aber, das aus Fontanes Feder geflossen ist, freut sich die „Gartenlaube" als ein Angebinde zu des Dichters siebzigstem Geburtstage ihren Lesern vorlegen zu können. „Quitt" zeigt die glänzenden Eigenschaften des Romanschriftstellers Fontane, die Kunst der Herausarbeitung der Charaktere und der liebevollen Kleinmalerei in ihren; vollen Lichte.
Ein Dichter aber von solcher Schlichtheit der Empfindung, so schlagfertiger Knappheit der Schilderung, so warmem patriotischen Gefühl, so unermüdlichen; Fleiß in seinen geschichtlichen Studien und Vorstudien und überdies von so gesunden; volksthümliche;; Humor wird unserem Volke immer lieb und Werth bleiben.
Rudolf Von Gottschall.
H u i 1 t.
Roman von Theodor- Fontone.
Alle Rechte Vorbehalten.
ie Kirche war noch nicht aus, aber die alte Frau Menz und ihr Sohn Lehnert -— ein schlanker, hübscher Mensch von siebenundzwanzig Jahren, den; man, auch ohne seine siebziger Kriegsdenkmünze (neben der übrigens auch noch ein anderes Ehrenzeichen hing), den gedienten Soldaten schon auf weite Entfernung hin angesehen hätte — hatten den Schluß des Gottesdienstes nicht abgewartet. Sie saßen bereits draußen aus eine;;; großen Grabstein, zu dessen Hüupten eine senkrecht stehende Marmorplatte mit einer „Christi Himmelfahrt" in Relief in die dicht dahinter befindliche Kirchhofsmauer eingelassen war. Ter Sohn, der schon während einer ganzen Weile mit der Kante seiner Stiefelsohlen allerlei Rinnen in den Sand gezogen hatte, war augenscheinlich verstimmt und vermied es, die Mutter anzublicken, die ihrerseits ängstlich vor sich hin sah und darauf wartete, daß der Sohn reden solle. Dazu kam es aber nicht, und so hörte man denn nichts als die letzte Liederstrophe, die drinnen eben gesungen wurde. Sonst war alles still. Der grelle Sonnenscheil; lag auf den Gräbern, die Schmetterlinge flogen dazwischen hin und her und über dem Ganzen wölbte sich der tiefblaue Himmel und versprach einen heißen Tag.
Endlich nah;;; die Mutter ihres Sohnes Hand. Er zog sie aber unwirsch wieder zurück und sagte: „Ach, laß, Mutter! Du meinst es gut. Aber was Hab' ich davon? Eigentlich bist Du
doch schuld an allem/weil Di; nicht weißt, was Du willst, und es auch nie gewußt hast. Auf Paschen und Wildern hast Du mich erzogen und wenn's dann schief geht und Dn's mit der Angst kriegst, dann steckst Du Dich hinter Siebenhaar und jammerst ihm was vor, und der soll dann mit einem Mal einen Heiligen aus mir machen."
„Tu weißt ja doch, Lehnert, was er alles für Dich gethan hat."
„Weiß alles. Aber er darf mich nicht anpredigen, und wenn er's thut, so darf er nicht nach mir Hinsehen, daß auch der Dümmste merken kann, wen er meint. Das darf er nicht, und wenn ich ihn sehe, dann sag' ich's ihm auch."
„Er will Dich sprechen nach der Kirche."
„Da haben wir's. Also wieder abgekartet. Dacht' ich's doch. Ach Mutter, Du quälst mich und richtest nichts Gutes damit an."
In diesem Augenblicke schwieg es drin und statt des Ge sanges der Gemeinde hörte man nur noch das Nachzitter;; der Orgel und bald danach den eigenthümlichen Klapperton, mit den; die Pfennigstücke der einzeln und in Gruppen aus der Kirche Kommenden in die dicht an der Kirchenthür aufgestellte Sammelbüchse fielen.
Und nun kamen auch die Leute selbst und gingen an dem Grabstein vorüber, auf die weit vffenstehende kaum dreißig Schritt