Heft 
(1890) 01
Seite
10
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Ist

entfernte Kirchhofspforte zu, wobei sie der Frau Menz mrd ihrem Sohne freundlich zunickten; aber ehe sie noch den Ausgang er­reicht hatten, erschien auch scholl im Gesichtskreis der nach wie vor­auf dem Grabstein Sitzenden ein breitschultriger und kurzhalsiger Mann von Mitte dreißig, dessen Stutzhut und hechtgrauer Rock mit grünen Rabatten, des Hirschfängers ganz zu geschweigen, über­feinen Beruf keinen Zweifel lassen konnten. Vorn, im zweiten Knopfloch, an einem absichtlich nicht allzu kurzen Bande, trug er das Eiserne Kreuz- das sich, eben weil das Band zu lang war, bei jedem Schritt in herausfordernder und jedenfalls in respekt­erwartender Weise Hill und her bewegte. Der ganze Mann ein Bild von Selbstbewußtsein und Hochmuth!

Guten Tag, Herr Förster," sagte Frau Menz und stand rasch auf, um ihm einen Knix zu machell.

Der Förster Opitz nickte kurz, streifte Lehnert, der sich nicht gerührt hatte, mit einem Blick und ging dann weiter.

Was bliebst Dil nicht sitzen, Mutter? Warum hast Du geknixt? Er kam, er mußte grüßen, nicht Du. Aber das ist immer die alte Geschichte mit Dir. Du hast nur zwei Gchall-ken: Angst und Vortheil, und hast keinen Stolz und keine Ehre. Du bist noch ganz aus der Kriechezeit. Und nun gar kriechen vor dem, vor solchem Schubbejack! Ist er denn Dein Herr? Unser Feind ist er, weiter nichts. Gott sei Dank, er fürchtet sich vor mir. Aber ich wollt' es ihm auch rathell! Er kennt mich noch vom Görlitzer Scheibenstand her und weiß, ich Hab' eine sichere Hand und ein gutes Auge."

Sei doch still, Junge! Tn red'st Dich noch ins Gericht. Und wenn Tu durchaus reden willst, so rede nicht so laut. Es kann's ja jeder hören."

Soll's auch!"

Er hatte wohl noch weiter gesprochen, wenn nicht in eben diesem Allgenblicke der alte Pastor Siebenhaar in Persoll von der Kirche her den Kirchhossgang heraufgekommen wäre, neben ihm der Küster, zu dem er leise sprach.

Und jetzt erhob sich auch Lehnert.

Ich möchte Dich noch sprechen," sagte der Alte, während er Lehnert im Vorübergehen die Hand reichte.Komm in einer Viertelstunde! Das heißt, so Dir's beliebt." Und mit einem freundlichen Blick, der Lehnert zu Herzen ging, schritt der Alte weiter, erst auf die Pforte und dann, etwas rechts abbiegend, auf das hinter einer Reihe verschnittener Linden gelegene Pfarr­haus zu.

Lehnert setzte sich nach dieser flüchtigen Begegnung wieder- Sonst, wenn der Gottesdienst aus war, ging er mit seiner Mutter ill den nahen Kretscham hinüber, um erst eine Stonsdorfer und hinterher einenGrünen" oder auch wohl einen Ingwer zu trinken. Heut aber war ihm nicht danach zu Muthe.Laß uns sehen, Mutter, wie das Grab aussieht!" sagte er.

Er meinte das seines Vaters, und während er so sprach, nahm er der alten Frau Arm und ging mit ihr den langen Hauptgang hinauf, bis sie vor einem gut gepflegten Grabe standen, an dem nur die halb verwaschene Inschrift erkennen ließ, daß der Todte schon seit Lange hier liegen müsse. Die Jahreszahl bestätigte das auch.Hier ruhet in Gott Alltoll Menz, Stellmacher und Schreiner zu Wolfshau bei Krummhübel, geb. 13. März 1821, i gest. 17. August 1859. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie i sollen getröstet werden." !

Lehnert faltete die Hände, als er die Worte las; wie er aber > sah, daß die Alte nach ihrem Sacktuch suchte, riß er die Hände gleich wieder auseinander und sah ärgerlich weg, weil er wußte, ^ daß alles bloß Schein und Komödie war und die Alte nur weinte, weil- sie weinen wollte. Sie steckte denn auch das Tuch wieder ein und bückte sich, um eine große gelbe Studentenblume zu pflücken. D !

Das war seine Lieblingsblume," sagte sie. . !

Weißt Du das gewiß, Mutter? Ich habe noch keinen ^ Menschen gekannt ..."

In diesem Augenblicke schlug die Thurmuhr ein Viertel und Lehnert unterbrach sich mitten im Satz.Es ist Zeit," fuhr er fort,ich kann den Alten nicht warten lassen und muß nun hin und mir meine Litanei Holen. Als ob ich in der Kirche nicht

schon genug gehabt hätte! Willst Dm hier auf dem Kirchhof warten oder gehst Du lieber gleich nach Hause? Eine Weile wird es in der Pastorstube doch wohl dauern, Siebenhaar ist nicht immer der kürzeste. Oder willst Du lieber nach dem Kretscham hinüber und Dir bei Pohl einen Ingwer geben lassen?"

Die Alte verschwor sich gegen den Kretscham und den Ingwer; ihr sei heute so andächtig wie lange nicht, und so wolle sie denn lieber gleich nach Hause. Da sei sie doch am liebsten und am nöthigsten. Opitzens Christine Hab' ihr freilich versprochen, in der Küche nach dem Rechteil zu sehen, aber vielleicht habe die gute Seele selber alle Hände Voll zu thun.

Und so verließen sie denn gemeinschaftlich den Kirchhof.

Als sie draußen vor der Pforte waren, mußte die Alte, wenn sie nach Krummhübel und Wolfshau zurück wollte, scharf nach links hül abbiegen, sie ließ sich's aber nicht nehmen, ihren Sohn erst noch bis zum Pfarrhaus, das nach der entgegengesetzten Seite hin lag, zu begleiten, wo sie vorsichtig wartete, bis er eingetreten und im Flur verschwunden war. Danil aber steuerte sie sofort mit einem geschickten kleinen Umwege nach dem Kretscham hinüber, um sich hier den Ingwer geben zu lassen, den sie,weil ihr heute so andächtig sei", vor wenig Minuten erst abgelehnt hatte. -

Lehnert stand inzwischen auf dem kühlen Fliesenflur und wartete, denn niemand erschien, trotzdem die Klingel zweimal an geschlagen hatte. Die Hofthür, hinter der ein alter Nußbaum stand, war weit auf und das Summen einer Wespe, die sich vom Hof her in den Flur verirrt hatte, war das einzige, was die Stille unterbrach. Endlich kam die Magd lind sagte, sie wisse schon, er möge nur eintreten.

Das that er denn auch.

Es wardes Alten" Studierstube, die Lehnert voll seinen Kindertagen her kannte. Das Christusbild, mit Friedrich Wilhelm III. und dem Kronprinzen zur Linken und Rechten, hing noch gerade so schief wie vor vierzehn Jahren, als er hier, wöchentlich zweimal, auf einer wackligeil Konfirmandenbank gesessen hatte. Alles genau wie damals und nur die Dieleil noch etwas ausgehöhlter.

Lehnert hatte so seine Betrachtungen, kam aber nicht weit damit, denn in der nächsten Minute scholl trat der Alte, der mittler­weile seinen Talar abgelegt und einen Imbiß genommen hatte, von der Nebenstube herein und ließ sich in einen vor seinem Schreibtisch stehenden Polstersessel nieder.

Ja, Lehnert," hob er an,es ist das alte Lied. Deine Mutter hat sich wieder über Dich beklagt."

Ach, Herr Prediger ..."

. . . Und daß Dll wieder Deine Tobsucht hast und nichts wie bittere Worte sagst und ihm, ich meine natürlich Deinen Nachbar Opitz, den Tod all den Hals wünschest und sülchst und Dich verschwörst, daß er dran glauben solle. Lauter gottes­lästerliches dummes Zeug, für das Du viel zu klug, und ich muß Dir das nachsagen, auch eigentlich viel zu gut bist. Ich begreife Dich nicht. Du hast doch einen guten Verstand und hast die gute Schule gehabt, und wenn ich auch weiß, daß man nicht immer­noch dem Worte Gottes lebt, so kennst Dn's doch und darfst nicht so sprechen, als ob Dn's nicht kenntest und als ob es gar nicht da wäre. Du weißt recht gut, daß es da ist, und weißt auch recht gut, daß Gottes Wort heilig ist und daß es das Klügste und Beste ist, seine Gebote zu halten. Aber Du redest drauf los wie eill Heide und Türke . . ."

Ach, Herr Prediger ..."

Wie ein Heide und Türke, sag' ich, und thust es nicht bloß zu Haus und ill Deinen vier Pfählen, Dll sagst es auch jedem, der's hören will, und wenn Du Dich müde gesprochen und keine Worte mehr gegen ihn finden kannst, dann bindest Du mit dem Grasen an, dem guten gnädigen Herrn, von dem Du doch weißt, wie nachsichtig er ist, und hältst ihm vor, daß er was Besseres thun könne, als solchen Großthuer und Menschenquäler in die Försterei zu setzell, und daß es kein gutes Ende nehme."

Lehnert nickte.

Null siehst Du, Du nickst und hältst es nicht 'mal für llöthig, .nein' zu sagen und Deinem alteil Freund und Lehrer, von dem Du weißt, daß er's gut mit Dir meint, mit einer Ent schuldigung oder so was Aehnlichem entgegenzukommen. Du bist geblieben, wie Du schon warst, als Du hier mit Deinem blonden Krauskopf auf der Konfirmandenbank saßest. Das krause Haar haben sie Dir bei den Soldaten weggekämmt, aber den krausen