Heft 
(1890) 03
Seite
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Sees werden wir unter die Geschütze von Friedrichshall, vom ! römischen Janustempel zur Gralsburg, von Hannibals Kämpfen zum Krimkrieg, von den Cyklopenmauern an die Bastille geführt; von Nimrod versetzt uns der Dichter zu Cartesius und Gutenberg, von der ormuzdgläubigen Mandane zu dem Inka Perus, der zur Sonne betet. Doch immer huldigt der Dichter denGenien der Menschheit", nicht bloß in dem Gedichte, das diesen Namen trägt; immer tönt jener Orakelspruch von Dodona mit geheimnißv oller Weihe durch alle Geschichtsbilder und Herzensergüsse hindurch.

Eine Lieblingsform der Linggschen Dichtweise sind die mei­stens reimlosenFreien Rhythmen", die sich der üblichen strengen Messung entziehen und sich nur an das Taktgefühl wenden, ^ welches dem gebenden Dichter und dein empfangenden Leser ge­meinsam ist. Sie eignen sich, wie schon des Griechen Pindar Vor­gang bewies, für höheren Gedankenschwung; namentlich in der ^ SammlungLyrisches" finden sich derartige Gedichte, welche viel! Schönes, Grvßgedachtes und oft schlaghast Ausgesprochenes ent- H halten, so daß manche Gedanken wie in Erz gegossen, wie in ^ bleibende Votivtafeln eingetragen erscheinen. Bisweilen reimt ; Lingg auch solche Gedichte, wie das schwunghafteGirgenti" in - der SammlungLyrisches" und das prächtige NaturbildGewitter am Morgen" in denJahresringen" beweisen.

Einem so zum Großen und Gedankenschweren sich hinneigenden Talent scheint das eigentliche Lied mit seinem leichten Guß > und Fluß und seinem stimmungsvollen Duft ferner zu liegen; gleichwohl könnte man aus Linggs Gedichtsammlungen mühelos einen Liederband zusammenstellen, und obschon hier und dort eine Liederblüthe durch die auf ihr lastende Gedankenschwere geknickt wird, so bleibt doch noch ein reicher duftiger Liederstrauß übrig und des Dichters Eigenart bringt es mit sich, daß diese Lieder nicht der Alltagsflora angehören, sondern daß aus ihren Blüthen- kronen ein besonders würziger Hauch ausströmt. Und auch dem alternden Sänger hat sich dieser Zauber nicht verschlossen, wie das GedichtWilde Rose" in denJahresringen" beweisen mag:

Es war eine sternenlose,

Von Blitzen schwangere Nacht, Da ist die wilde Rose Zum vollen Blüh'n erwacht.

Es fiel kein Thau, kein Regen, Die Donner rollten fern,

Es war kein Heil, kein Segen, Kein Glück für uns, kein (Stern.

Da kamst du still gegangen,

Da flogst dn aus mich zu:

Ich hielt dich jubelnd umfangen, Du wilde Rose du!

Und durch die regungslose, Gewitterschwüle Luft Ergoß die wilde Rose Allein noch süßen Duft."

Wie melodisch und die Komposition herausfordernd klingen die Strophen des LiedesJulinacht", das die zweite Sammlung enthält:

Schwüle, schwüle Julinacht

Südwind küßt die Zweige,

Was dich so stolz und elend macht,

Schweige, mein Herz, verschweige!

Ueber den See, der stille ruht, Wehen die Wolkenschatten,

Ueber die stille schlafende Flnth, Ueber die schimmernden Matten.

Hörst du's, wie zur Hochzeitnacht Flöte tönt und Geige?

Was dich so stolz und elend macht,

Schweige, mein Herz, verschweige!"

Aber nicht bloß Liebeslieder und Stimmungsbilder, auch Lieder von weiterreichender Bedeutung und volksthümlichem Ge­präge hat Lingg gedichtet; Lieder mit einem mehr genrehaften Zug, wie dasLied an die Armen", dessen erste Strophen lauten:

Ihr Armen mit dein dürren Stab,

Der nimmer grünt und blühet,

Ihr geht die Erde aus und ab,

Verzehrt und abgemühet;

Ihr hoffet keinen Sonnenschein Und fürchtet keinen Regen;

Gedeiht das Korn, geräth der Wein,

Für euch ist's doch kein Segen.

Das Jahr sei noch so srüchtereich,

Bleibt euer Elend doch sich gleich.

Wann esset ihr euch satt an Brot?

Ja, wenn die Steine blühen!

Ihr säet Müh' und erntet Noch Und euer Feld sind Mühen.

Mit Distel, Dorn und Hagebutt Blüht' euer Garten immer,

Und euer Weinberg steht auf Schutt Und euer Gold ist Glimmer;

Mit Wolken deckt die Nacht euch zu,

Und Staub und Thau sind eure Schuh."

So erscheint das Bild des Lyrikers Hermann Lingg nn streitig als ein vielseitiges. Auch wo er sich der größeren epischen Schöpfung zuwendet, bleibt er ein Gedankendichter, der großartige Fresken malt im Kaulbachschen Stil. So in den drei Büchern seines EposDie Völkerwanderung" (18661868), welches allerdings keinen künstlerischen Damm gegen die Ueberfluthung der geschichtlich gegebenen Stofffülle errichtet, Völker und Helden in der Reihenfolge, wie sie auf der Weltbühne auftraten, an uns vorüberführt, so daß weder der epischen Schilderung, noch der verweilenden Betrachtung Zeit gelassen wird. Der Grundton bleibt derjenige einer Chronik in Versen, und der unermüdliche Vorbeimarsch der Gestalten erinnert an die Schattenwelt einer nächtlichen Heerschau". Es ist mehr das Auge des Denkers, der die Jahrhunderte umfaßt, als der Blick des Dichters, der liebevoll die einzelne Gestalt, das einzelne Begebniß ausspäht und in künstlerischer Harmonie gestaltet. Gleichwohl hebt sich auch hier aus dem beklemmenden Sturm und Drang der Völkerbewegung manches geschlossene Bild ab von fesselndem Reiz, und diese Episoden, die wie funkelnde Edelsteine an das weithinwallende, oft staub­aufwühlende Gewand der Dichtung geheftet sind, werden denjenigen volles Genügen gewähren, welche nur ungern dem raschen Flug der erzählenden Muse durch die Jahrhunderte folgen.

Von Linggs Dramen hatCatilina" (1864) wohl den be­deutendsten Eindruck gemacht, auch von der Bühne herab, da das Münchener Hoftheater dies Römerschauspiel zur Aufführung brachte. Es pulsirt Römerblut in diesem Drama; wir wissen ja aus den römischen Balladen, daß Linggs Muse den dichterischen Takt zu dem eisernen Schritt der Legionen in ihrer Gewalt hat. Ein­zelnes wie die erste Scene des zweiten Aktes-ist von trefflicher Haltung, und schwunghaft sind auch viele Reden Catilinas. Doch ist die Handlung etwas zersplittert und die Vorliebe für das Sagenhafte giebt einzelnen Auftritten durch Einführung derartiger Gestalten einen alterthümelnden Zug.Violante" (1871), ein in Süditalien spielendes Stück aus der letzten Hohenstaufenzeit, hat eine blässere Färbung; schwunghafter ist vieles in den Walküren" (1864), einer allerdings auf dem Boden der Sage stehenden Dichtung. Die Erfindung in dein SchauspielDer Doge Candiano" (1873) trägt ein dramatisches Gepräge und ist nicht ohne anmuthende Romantik. Der Doge hat sich in seiner Jugend, als ihn der Vater verbannt hatte, den See­räubern angeschlvssen, als Doge zieht er gegen dieselben zu Felde. Darin liegt ein Verhängniß, das wohl einen tragischen Ausgang herbeizuführen vermag. In einem ganz anderen Stil, in Fauftversen, ist das SchauspielBerthold Schwarz" (1874) gehalten, mit einem dem schlicht Volksthi'imlichen zugekehrten Streben. In dem mehr Historienhaften DramaMacalda" (1877) kehrt Lingg noch einmal zur Hohenstaufenzeit zurück. Die Tochter Manfreds, sowie diejenige Carls von Anjou spielen darin mit; die Hauptheldin aber, Macalda, ist mit der sicilianischen Vesper- eng verknüpft.Die Bregenzer Klause" (1887) behandelt Ver­wickelungen aus der letzten Zeit des Dreißigjährigen Krieges, ein anziehendes Stück von schlichter und natürlicher Sprache und un­gezwungener Steigerung der Handlung.

Dies Schauspiel hat der Dichter nach einer Erzählung in seiner NovellensammlungVon Wald und See" (1883) für die Bühne bearbeitet; denn auch als Novellist ist Lingg aufgetreten, besonders in denByzantinischen Novellen" (1881), und es be­währte sich auch in dieser Prosaform das Talent des Balladen­dichters, geschichtliche Stimmungsbilder von oft düsterer Beleuchtung zu schaffen.

So tritt das Bild des greisen Dichters am Ehrentage seines siebzigsten Geburtsfestes vor uns hin, bedeutsam in seiner Eigenart, dem Höchsten zugewendet im Denken und Dichten, in einer Zeit, in welcher leichtflüssige Gewandtheit allzusehr das Talent und glückliche Mache die schöpferische Kunst zu ersetzen vermag. Dem Nationalschatze deutscher Dichtung gehören einzelne seiner Gedichte für alle Zeiten an; denn sie haben das dauernde Gepräge, welches ein unter dem Antriebe echter Begeisterung schreibender Dichter- feinen Schöpfungen aufdrückt. Rudolf v. Gottschnll.