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Die Grforschung der Meere.
AerLrg zum Lothen.
ul Sonlmer und Herbst des vorigen Jahres verfolgten die Zeitungsleser mit Spannung die Nachrichten von den Schicksalen des Dampfers „National", der eine deutsche Expedition zur Erforschung der Meere über den Atlantischen Ocean trug. Das Wort „Plankton", welches die Gesammtmasse aller im Meere treibenden Organismen bezeichnet und bis dahin nur einem engen Forscherkreise bekannt war, erhielt mit einemmal eine große Volkstümlichkeit; die Expedition bildete einen Anstoß, um das Interesse für das Meer und seine Wunder, das ewig in der menschlichen Brust schlummert, von neuem anzufachen. Die gelehrten Theil- nehmer an jenem Forscherzuge sind glücklich in die Heimath zurückgekehrt und damit beschäftigt, die gewonnene wissenschaftliche Ausbeute zu verarbeiten. Es dürfte darum an der Zeit sein, unsere Leser mit einigen Abschnitten der Meereskunde vertraut zu machen, ehe wir auf die Bedeutung und die Errungenschaften der jüngsten deutschen Expedition des näheren eingehen.
Seit uralten Zeiten wurde das Meer befahren, aber es war lange nur eine Handelsstraße. Die Grenzen des Oceans waren unbekannt und die Phantasie verlegte allerlei Wundergebilde dorthin. Eine neue Zeit begann erst, als Colnmbus den Atlantischen Ocean durchmessen hatte; auf die Entdeckung der Neuen Welt folgte die Entdeckung des „Südmeers", des Großen Oceans, und dreißig Jahre nach der ersten Fahrt des kühnen Genuesen erschien an der spanischeil Küste am 6. September 1522 das Schiff „Viktoria", von Würmern zerfressen, geflickt, mit zerbrochenen Masten, zerrissenen Segeln, das einzige Schiff von der Flotte Magalhaes', welches die erste Erdumsegelung ansgeführt hatte. Bei weitem größer, als man gedacht hatte, erschien jetzt das Meer, und jemehr Entdecker in die fernen Gegenden hinauszogen, desto mehr Wasser entdeckten sie, bis James Cook auf seinen Weltnmseglungen in großen Umrissen die Grenzen der Gewässer auf der Erde feststellte. Seit jener Zeit etwa wissen wir, daß Festland und Meer im Verhältniß von drei zu acht auf der Erdoberfläche vertheilt sind.
Man suchte schon damals nicht nur die Geographie, sondern auch die „Natur des Meeres" zu erforscheil, und die Physik des Meeres bildete einen wichtigen Theil der Aufgaben, die sich die beiden Förster, die Begleiter Cooks auf dessen zweiter XXXVIII. Nr. 3.
Reise, stellten. Demselben Gegenstände widmeten Benjamin Franklin und Alexander Humboldt ihren Scharfsinn, aber erst in jüngster Zeit wurde die Oceauographie, die Meereskunde, zu einem Wissenschaftszweig erhoben. Dem Amerikaner M. F. Maury verdanken wir, daß die Schiffe, welche jetzt die Oceane durchkreuzen, zugleich dem Handel und der Wissenschaft dienen, daß ihre Logbücher von den Seewarten wissenschaftlich verwerthet werden. Die Anregung hierzu ward vor kaum fünfzig Jahren gegeben.
Damals stand die Menschheit all der Schwelle des großen Zeitalters der Elektricität. Der Telegraph rückte weit entfernte Länder dicht aneinander; das Meer bildete eine Schranke zwischen der Alten und Neuen Welt, aber auch diese mußte fallen. Mail wollte dem Grund des Oceans das gedankenleitende Kabel anvertrauen, mall führte aus, was man wollte, und legte damit den Grund zur Erforschung des Meeresbodens und zu einem neuen Zweige der Wissenschaft, der Tiefseeforschung. Eine neue Welt, ein unterseeisches Reich, wurde damit entdeckt, und nun zogen Schiffe aus, um es zu erkunden.
Die Amerikaner forschten in ihren Gewässern, in den Binnenmeeren entfalteten alle Rationell eine rührige Tätigkeit, die Polarforscher suchten den Eismeeren ihre Geheimnisse zu entlocken, und dann wurde das englische Kriegsschiff „Challenger" (der Herausforderer) in ein Forscherschiff nmgewandelt und dampfte 1872 bis 1870 um die Erde, um mit einer wissenschaftlichen Riesenbeute aus allen Oceanen beladen heimzukehren.
Um dieselbe Zeit (1874 bis 1876) durchforschte die deutsche „Gazelle" unter dem damaligen Kapitän voll Schleinitz die Geheimnisse des Indischen und Atlantischen Oceans; im Anfang der achtziger Jahre zogen die französischen Schiffe „Travailleur" und „Talisman" zu gleichen Eroberungszügen hinaus. Zuletzt sahen wir den „National" von Kiel aus über das weite Meer kreuzen; wir werden sehen, welche Stellung dieser letzten Expedition unter den ruhmreichen Vorgängerinnen gebührt; naturgemäß suchte sie das zu erkläreil, was all den Funden der früheren räthselhaft geblieben war, und darum müssen auch wir weiter ausholen, bevor wir von ihren Ergebnissen sprechen können.
I. Auf dem Aruride des Meeres.
Wie tief ist das Meer? Seit jeher beschäftigte diese Frage die Menschen und für die Schiffer war sie auch voll praktischer Bedeutung. Aber bei den Lochungen, welche voll Kriegs- und -Handelsschiffen vorgenommen wurden, bediente man sich nur eines zwölfpfündigen Bleis und einer 200 Faden* langen Leine. Mit diesen Mitteln konnten nur die Untiefen des Meeres erkannt werden, der bei weitem größte Theil blieb — unergründlich. Wunderbare Ansichten bildete mall sich über den Meeresboden; man glaubte sogar das Wort „uuergründlich" wörtlich deuten zu müssen, und noch im siebzehnten Jahrhundert mußte Varenius in seiner ..Oeoo-uuplliu Beweise für die Richtigkeit der
Behauptung geben, daß der Ocean überall einen Boden habe.
Verworrene Allsichten herrschten auch lange Zeit über die physikalischen Verhältnisse in großen Tiefeil. Allgemein war die Meinung verbreitet, daß Schiffstrümmer, untergegangene Schätze, Heergeräth und Kanonenkugeln nicht bis zum Seegrunde hinab- sinken könnten, sondern voll den immer dichter werdenden Wassermassen der Tiefe in der Schwebe gehalten würden. Voller Geheimnisse war für die Menschen das Meer, ein Tummelplatz für allerlei ungeheuerliche Menningen. Erst unser Zeitalter ersann Mittel, „aus der unergründlichen schweigenden Tiefe eine Antwort zu erhalten." '
Und wie fiel diese Antwort aus? Was die Tiefensonde und das Schleppnetz unserm Geiste enthüllten, das war eine neue Welt: das waren unermeßliche, unterseeische Länder mit gewaltigen Bergen und breiteil Thülern, mit engen Kesseln und weit
* l Faden — l,883 m.